| Interview der Woche

Andreas Bechmann: „Das System ist perfekt abgestimmt“

Der Frankfurter Andreas Bechmann hat am Wochenende bei der Mehrkampf-DM in Halle/Saale das Tor zur internationalen Spitze aufgestoßen. Mit 6.017 Punkten eroberte er vorübergehend sogar die Führung in der Weltjahresbestenliste und holte sich Siebenkampf-Gold. Worauf der 19-Jährige diese Steigerung zurückführt und was Trainingspartnerin Carolin Schäfer sowie zwei Paar bunte Socken mit diesem Erfolg zu tun haben, verriet er anschließend im Interview.
Silke Bernhart

Andreas Bechmann, herzlichen Glückwunsch! Siebenkampf-Gold und 6.017 Punkte – was schießt Ihnen da als erstes in den Kopf?

Andreas Bechmann:

Ich war noch nie Deutscher Meister. Das ist mega schön. Und 6.000 ist eine mega Punktzahl. Sieben Bestleistungen sprechen für sich. Ich habe am zweiten Tag das fortgeführt, was ich am ersten Tag geschafft habe.

Wie war die Nacht zwischen den zwei Tagen?

Andreas Bechmann:

Ach, die ging eigentlich. Ich habe gemerkt, dass es hilft auszuschlafen und ich nicht schon um 9:00 Uhr auf dem Platz stehen musste [Anm. d. Red: Der zweite Siebenkampf-Tag begann um 12:20 h].

Wie haben Sie es geschafft, nach den ersten vier Bestleistungen den Fokus zu bewahren?

Andreas Bechmann:

Ich habe ein gutes Umfeld und mit Jürgen Sammert einen Trainer, der es immer schafft, mich emotional sowohl negativ als auch positiv in einer Balance zu halten. Und natürlich haben auch die Socken geholfen (lacht).

Zwei Paar bunte Socken, das erste für den ersten Tag, das zweite für den zweiten. Was hat es damit auf sich?

Andreas Bechmann:

Die haben mir geholfen, locker zu bleiben! Vor drei Jahren habe ich bei der U18-EM-Quali in Kreuztal auch nach dem ersten Tag geführt und bin dann extrem nervös geworden, als die anderen näher rankamen. Auch hier wusste ich: Über die Hürden können die anderen ein bisschen schneller laufen als ich, und dann muss ich gut Stab springen, weil die beiden Ulmer auch gut laufen können. Dieses Mal habe ich es wirklich geschafft, da ruhig zu bleiben.

Ist das insgesamt eine Entwicklung, die Sie in den vergangenen Jahren genommen haben?

Andreas Bechmann:

Auf jeden Fall. Ich bin älter geworden, reifer, nicht nur kräftiger, sondern auch mental stärker. Wettbewerbe wie die U20-WM im vergangenen Jahr helfen ungemein, um die Fehler, die man dort macht, abzustellen. Tampere war noch nicht der Höhepunkt, auch da habe ich noch viele Punkte liegengelassen.

Würden Sie sagen, Sie haben insgesamt ein höheres Leistungsniveau, oder gibt es einzelne Dinge, die zuletzt einfach besser liefen?

Andreas Bechmann:

Ich habe mich insgesamt verbessert. Stabi, Kraft, Technik... Aber Leistung zu bringen ist die eine Sache. Das alles konstant in einem Mehrkampf abzurufen, auf Top-Niveau, ist dreimal schwerer. Ich habe sieben Bestleistungen gemacht. Besser geht es gar nicht! So einen Wettkampf hatte ich noch nie. Ich war im Flow.

Was war für Sie im Verlaufe der zwei Tage der emotionalste Moment?

Andreas Bechmann:

Der Stabhochsprung. Da ist ein Knoten geplatzt, da habe ich gemerkt: Jetzt geht’s. Ich habe neue Stäbe, mit denen hat es in der letzten Woche noch nicht geklappt, da bin ich nach 4,70 Metern raus. Aber ich wusste, das Niveau für Sprünge weit über 5,00 Meter ist da. Jetzt habe ich es endlich geschafft, diese Marke zu knacken! Letztes Jahr habe ich es dreimal probiert und es hat dreimal nicht geklappt. Und heute springe ich direkt über 5,20 Meter – und höre dann auf. Das war noch nicht das Ende vom Lied.

Wo sehen Sie allgemein noch Luft nach oben?

Andreas Bechmann:

Die Versuche über 2,09 Meter im Hochsprung waren knapp. Der zweite Weitsprung-Versuch war super, leider ungültig. Bei den Hürden klappt die erste noch nicht. Ich glaube, der Sprint und der Lauf waren hier ausgereizt, da geht nicht viel mehr. Aber in allen anderen Disziplinen. Und das ist ein schönes Gefühl.

Mit Ihrer Punktzahl stehen Sie zurzeit in Europa auf Platz zwei. Für die Hallen-EM aber sind Arthur Abele und Kai Kazmirek gesetzt. Ist das ein Wermutstropfen – dass eine Einladung nach Glasgow nur dann noch realistisch ist, wenn einer der Beiden absagt?

Andreas Bechmann:

Ich hoffe, sie bleiben gesund! Ich habe nicht mal im Ansatz damit gerechnet, dort zu starten. Ich wollte über 5.700 Punkte machen. Das war das Ziel. Wir haben vorher gerechnet und gesagt: Wenn es richtig gut läuft, könnten es 5.800 werden. Und jetzt habe ich 6.000. Das ist doch schön. Die Hallen-EM wäre vielleicht auch ein bisschen zu früh – da direkt mit den besten Zehnkämpfern der Welt anzutreten. Da warte ich noch ein Jahr oder zwei.

Und mit welchen Erwartungen sind Sie in dieses Jahr gestartet?

Andreas Bechmann:

Eigentlich habe ich das Jahr als Durchgangsjahr betrachtet. Neuer Anlauf im Weitsprung. Neuer Anlauf im Hochsprung. Neue Stäbe im Stabhochsprung. Neue Gewichte in den Würfen. Wir haben fast alles verändert! Wahrscheinlich war das hier mein Vorteil: Ich bin locker rangegangen, ohne jegliche Erwartungshaltung. Ich wusste, ich kann’s, aber ich muss hier niemanden schlagen. Das war vielleicht das Geheimnis.

Sie sprachen Ihr Umfeld an. Welche Rolle spielt Ihre Trainingspartnerin, die Vize-Weltmeisterin im Siebenkampf Carolin Schäfer?

Andreas Bechmann:

Ich trainiere jetzt im zweiten Jahr mit Caro Schäfer. Und ich habe es zuletzt schon in einem anderen Interview gesagt: Man lernt so viel, wenn man mit Caro trainiert, in einem so professionellen Umfeld!

Das Mehrkampf-Training erfordert viel Zeit. Dennoch haben Sie sich zusätzlich zu einem Studium entschieden. Warum?

Andreas Bechmann:

Ich brauche den Ausgleich, ich kann nicht nur Sport machen, sonst fokussiere ich mich zu sehr darauf. Ich brauche auch was für den Kopf, daher habe ich nach dem Abi auch keine Pause gemacht. Ich studiere in Vollzeit – ich werde nur zwei Monate länger brauchen als die anderen und mit 21 meinen Bachelor of Arts in International Management machen.

Wie schaffen Sie es, Leistungssport und Vollzeit-Studium miteinander zu verbinden?

Andreas Bechmann:

Das geht nur, weil ich in der accadis Hochschule in Bad Homburg eine Uni habe, die mich super unterstützt. Ich kann dort meinen Stundenplan um das Training herumbauen und habe Ansprechpartner, mit denen ich mich austauschen kann. Ich fühle mich wohl. Das Lernen fällt mir nicht schwer, weil es mir Spaß macht. Bachelor, Master, Promovieren – ich werde die nächsten Jahre noch beschäftigt sein. Das System ist perfekt abgestimmt. Mit Jürgen, mit Caro, mit der Uni, und auch privat läuft es super. Nur so kann man locker an einen Wettkampf rangehen.

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