| Interview der Woche

Andreas Hofmann: „Als würde der gesamte Körper unter Strom stehen“

Es war der hochklassigste Leichtathletik-Wettbewerb der Universiade von Taipeh (Taiwan). Und mittendrin: Andreas Hofmann. Der Speerwerfer von der MTG Mannheim, der an der Uni Heidelberg studiert, holte sich mit 91,07 Metern Silber, nur 29 Zentimeter hinter dem überraschend starken Taiwanesen Chao-Tsun Cheng. Wir haben mit ihm nach seiner Rückkehr nach Deutschland gesprochen. Über einen fast schon schicksalhaften Wettkampf. Adrenalin pur. Die Faszination Universiade. Heimvorteil. Und über vier Wochen Urlaub.
Silke Bernhart

Andreas Hofmann, viele Bilder der Universiade zeigen, wie Sie in Taipeh nach dem sechsten Versuch die Hände vor dem Gesicht zusammenschlagen und zu Boden sinken. Dort lagen Sie dann eine Weile mit dem Gesicht zur Bahn. 91,07 Meter. Und Platz zwei. Was ist Ihnen da durch den Kopf gegangen?

Andreas Hofmann:

Das waren irgendwie zwei Gefühle in einem. Als der Speer meine Hand verlassen hat, war ich mir nicht sicher, wie weit genau der Wurf war. Aber ich habe gemerkt, dass er der Weite des Taiwanesen ziemlich nahe kommt. Dann wurden die 91,07 Meter angezeigt. Und ich dachte mir: Geil, 91! Zugleich wurde mir bewusst: Es reicht nicht. Ich bin – ich sage mal „nur“ – Zweiter. Ich dachte: Das kann nicht sein! Du wirfst bei einer Universiade 91 Meter und wirst nur Zweiter? Aber die Freude hat doch überwogen. Ich habe mich tierisch gefreut!

Lieber der 90er oder lieber die Goldmedaille – die Antwort auf diese Frage fällt also eindeutig aus?

Andreas Hofmann:

Der silberne Rang war Gold wert! Ich bin mit dem zweiten Platz sehr, sehr glücklich. Das war wohl die schönste Silbermedaille, die ich jemals erringen werde.

Haben Sie beim Abwurf gespürt, dass der Speer über die 90-Meter-Marke fliegen könnte?

Andreas Hofmann:

Es war ja mein erster 90-Meter-Wurf. Daher konnte ich das nicht hundertprozentig einschätzen. Aber ich habe gemerkt, dass er viel besser war als vorher der 88-Meter-Wurf. Auf der Anzeigetafel haben sie links die Platzierung gezeigt und rechts den Wurf im Video. Da konnte ich die 70- und 80-Meter-Linien drauf sehen und dass mein Wurf mega weit drüber war. Ungefähr genauso weit wie der Wurf von Cheng.

Es war erst der zweite Wettkampf in der Geschichte des neuen Speers, in dem zwei Werfer die 91-Meter-Marke überbieten konnten. Kann man von perfekten Bedingungen sprechen?

Andreas Hofmann:

Perfekt… Ich weiß nicht. Es waren sehr gute Bedingungen. Der Wind war vielleicht auf 20, 25 Metern Höhe. Es war trocken, und da der Wettkampf abends stattgefunden hat, waren auch die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit nicht mehr ganz so hoch.

Nicht ideal war sicherlich, dass ihr Heimtrainer Lutz Klemm nicht an Ihrer Seite war. Sie wurden von Winfried Heinicke gecoacht, der alle Wurfdisziplinen und den Stabhochsprung betreut hat. Wie konnte er Sie unterstützen?

Andreas Hofmann:

Er war am Anfang noch auf der anderen Seite der Leichtathletik-Anlage beim Stabhochsprung und hat dort gecoacht. Ich habe mich alleine draußen auf dem Wurfplatz eingeworfen. Klar, von anderen größeren Wettkämpfen wie der Diamond League kennt man es, ohne Trainer zu sein. Aber so eine Meisterschaft ist dann doch noch mal was anderes. Daher habe ich wohl auch ein bisschen gebraucht um reinzukommen, für mich hat der Wettkampf eigentlich erst im dritten Versuch richtig angefangen. Dann konnte Winfried mir Anweisungen geben und ich habe mich sicherer gefühlt. Anschließend haben wir Athleten uns selbst gegenseitig hochgepusht.

Was hat Winfried Heinicke Ihnen vor dem sechsten Versuch mit auf den Weg gegeben?

Andreas Hofmann:

Das ist jetzt wirklich so passiert. Vor der letzten Runde hat er mich zur Seite gerufen und hat gesagt: „Andy, beim nächsten Versuch läufst du genauso an, setzt den Speer ein bisschen flacher, und dann wirst du hier im sechsten Versuch den ersten 90er werfen.“ Da habe ich ihn angeguckt und gesagt: „Okay, mache ich.“ So viel Adrenalin wie vor dem sechsten Versuch habe ich noch nie gespürt. Das war, als hätte ich fünf Red Bull getrunken! Als würde der gesamte Körper unter Strom stehen.

Wie fielen anschließend die Reaktionen in Ihrer Heimat aus?

Andreas Hofmann:

Mein Trainer hat gewusst, was in mir steckt. Nach der WM hat er zu mir gesagt: „Du fährst nach Taiwan und holst dir den dritten Platz der Weltjahresbestenliste zurück!“ Damit hat er auf die 90 Meter angespielt, auch wenn wir nicht direkt darüber geredet haben. Im ersten Training vor Ort habe ich dann schon 83 Meter geworfen, im zweiten 85 Meter. Und wir wussten: Okay, da kann was gehen. Nach dem Wettkampf musste ich ihm dann sagen: „Ich freue mich über die 90 Meter. Mit dem dritten Platz der Weltjahresbestenliste hat aber es leider nicht geklappt.“ Da hat er gelacht.

Mein Vater war vor dem Wettkampf noch aufgeregter als ich. Da hat mein Opa zu ihm gesagt: „Lass den Jungen erstmal in Taiwan ankommen. Dann fällt die 90 von ganz alleine.“ Der hat das auch gespürt. Das war unfassbar! Das Schicksal hat seinen Weg gefunden (lacht).

Bei der WM in London sind Sie mit 83,98 Metern Achter geworden. Den einen mit dem anderen Wettkampf zu vergleichen ist schwierig – und im Nachhinein müßig. Aber was sagen Sie denjenigen, die fragen, warum es bei der WM in London nicht so gut lief wie in Taipeh?

Andreas Hofmann:

In Taipeh konnte ich mir und allen anderen beweisen, dass mit mir auf den Punkt zu rechnen ist. Bei der WM hat das im Finale leider nicht so geklappt. Da habe ich zwar oben den Speer gut getroffen, aber die Beine haben nicht mitgemacht. Und wenn die Geschwindigkeit fehlt, kommt keine Weite zustande. In Taipeh war es andersrum. Da bin ich schneller angelaufen. Angerannt! Das war der schnellste Anlauf, den ich je hatte. Und wenn man den Wurf dann oben noch trifft, segelt er auch über 90 Meter. Das war ein ganz anderes Wurfgefühl.

In Taipeh war das Stadion oft vollbesetzt, die Taiwanesen waren euphorische Zuschauer, die Lokalmatadoren wurden frenetisch bejubelt. Wie haben Sie selbst die Universiade erlebt?

Andreas Hofmann:

Was da abging, war einfach unglaublich. Da kann ich Geschichten erzählen! Aber die Taiwanesen waren sehr fair und haben nicht nur ihre Athleten angefeuert. Als ich von der Haupttribüne zur Gegentribüne gelaufen bin, wo zwei kleine deutsche Fanblocks waren, sind die Taiwanesen aufgestanden und haben für mich geklatscht.

Ich finde es sehr schade, dass die Universiade in Deutschland nicht diesen Stellenwert hat und dass kaum über die Wettbewerbe berichtet wurde. Ich kann es nicht mit den Olympischen Spielen vergleichen, weil ich noch nicht dabei war. Aber es gab auch ein Athletendorf, für 7.700 Sportler und insgesamt 13.000 Leute. Man war mit dem gesamten deutschen Team und mit Athleten aller Sportarten zusammen. Die Judoka saßen bei uns auf der Tribüne und haben uns angefeuert, und wir waren bei denen. Ich habe beim Turnen zugeschaut, beim Fechten, beim Basketball… Der Teamgedanke war etwas ganz Besonderes. Und alle studieren. Da ist man sowieso auf einer Wellenlänge. Es war ein sehr schönes Event. Und ich bin sehr froh, dass ich dabei war!

Im kommenden Jahr starten die deutschen Leichtathleten mit Heimvorteil, bei der EM 2018 in Berlin. Wie sehen Sie Ihre Rolle im deutschen Speerwurf mit nunmehr drei 91-Meter-Werfern?

Andreas Hofmann:

Thomas [Röhler] und Johannes [Vetter] haben in diesem Jahr eine konstantere Saison absolviert, das ist mir leider noch nicht gelungen. Obwohl das eigentlich auch eins meiner Ziele war: konstant gut zu werfen. Jojo hat in jedem Wettkampf 87, 88+ Meter gezeigt – zumindest in einem Wurf, und das reicht ja. So sind wir dann auch zur WM gefahren. Ich gönne beiden den Erfolg, den sie in diesem Jahr hatten. Da bin ich Sportsmann genug.

Aber wir sind in einer Individualsportart, da schaut schließlich jeder auf sich, und von Wettkampf zu Wettkampf. Da muss man sich immer neu profilieren. Nächstes Jahr ist ein neues Jahr und eine neue Saison. Da kann wieder so viel passieren. Jetzt steht erstmal der Winter vor der Tür, die Vorbereitung, Trainingslager, und dann steht alles in den Sternen. Ich lasse die nächste Saison genauso kommen wie die letzte. Und dann hoffe ich, dass ich an die Erfolge und Resultate anknüpfen kann. Mir ist es wichtig, Konstanz reinzubringen. Nicht wie dieses Mal: Erst kommt ein 88er, dann kommen zwei 84er, dann ein 79er. Das sieht ja auch doof aus (lacht). Jetzt aber schon im Detail über 2018 zu philosophieren, wäre zu weit vorgegriffen.

Dann schauen wir weniger weit in die Ferne. Als nächstes dürfte die Saisonpause bevorstehen. Was ist geplant, um Abstand zu gewinnen und den Kopf frei zu kriegen?

Andreas Hofmann:

Erstmal bin ich jetzt zwei Wochen zuhause. Ich bin froh, meine Familie mal wiederzusehen. Meine Schwester hat mich vom Flughafen abgeholt und zum Essen eingeladen. Ich habe eine Freundin in Heidelberg besucht. All das werde ich in den nächsten Wochen nachholen, das habe ich zuletzt vernachlässigt, weil ich so viel unterwegs war. Und dann geht es noch mal richtig in den Urlaub. Mit einem Kumpel und seiner Freundin mache ich einen Road Trip durch Europa. Amsterdam, Kopenhagen, Göteborg. Ein bisschen in den Norden und über Schottland und England wieder zurück. Da habe ich jetzt richtig Bock drauf. Dann fängt Mitte Oktober das Studium wieder an. Und langsam, ganz langsam geht’s in die Vorbereitung auf 2018. Aber daran denke ich jetzt noch gar nicht!

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