| Porträt

Andrei Tivontchik: Ein Leben für den Stabhochsprung

Seit Anfang Oktober ist der Zweibrücker Andrei Tivontchik im DLV als Bundestrainer für den Stabhochsprung der Männer verantwortlich. Zuvor hatte er neun Jahre lang die deutschen Springerinnen betreut. Große Erfolge feierte der in Weißrussland geborene Stabhochsprung-Experte auch als Athlet für Deutschland: 1996 wurde er in Atlanta Olympia-Dritter.
Manuel Keil

Der Stabhochsprung der Männer ist in Deutschland traditionell eine sehr erfolgreiche Disziplin. Die letzten internationalen Höhepunkte, die Olympischen Spiele in Rio (Brasilien) und die Weltmeisterschaften in London (Großbritannien), liefen dagegen aus unterschiedlichen Gründen eher enttäuschend. Das Ziel von Andrei Tivontchik in seiner neuen Funktion als Bundestrainer der Männer ist es, die DLV-Stabhochspringer rechtzeitig zur Heim-EM in Berlin wieder in die Erfolgsspur zurückzuführen.

„Dieses Jahr gab es leider recht viele Stabbrüche, und auch einige Verletzungen haben dazu geführt, dass die deutschen Springer zuletzt nicht mehr an die Erfolge und Medaillen der Vorjahre anknüpfen konnten“, analysierte er vor Kurzem bei der Pressekonferenz für das Merziger Neujahrsspringen (13. Januar 2018). Betroffen war davon auch sein eigener Schützling Raphael Holzdeppe, den er als 14-Jährigen als Trainer übernommen und 2013 zum WM-Titel in Moskau (Russland) geführt hatte.

Talent in weißrussischer Grundschule entdeckt

Geboren wurde Andrei Tivontchik am 13. Juli 1970 in Gorki (heute Nischni Nowgorod) in der ehemaligen Sowjetunion UdSSR. Er wuchs in der weißrussischen Sowjet-Republik auf, wo ihn in Slonin zu seiner Grundschulzeit ein Stützpunkttrainer bei einer Sichtung entdeckte. „Unter dem Stützpunkttrainer, der zwei bis drei Mal in der Woche in die Schule kam, habe ich meine ersten Erfahrungen mit allen leichtathletischen Disziplinen gemacht“, erinnert er sich. Seitdem hätten viele Trainer an seiner Karriere mitgebastelt.

„Die Grundlagen für den Stabhochsprung wurden in einem Sportinternat mit 13 Jahren gelegt. Ab diesem Zeitpunkt und besonders während des Studiums zum Diplom-Sportlehrer habe ich viele entscheidende Impulse erhalten“, berichtet er. An Erfolgen sei hier 1989 sein vierter Platz in der U20-Weltbestenliste mit 5,40 Metern genannt.

Während des Studiums stellte Andrei Tivontchik die eigenen sportlichen Ambitionen zunächst hinten an und sammelte stattdessen erste Erfahrungen als Trainer mit jungen Talenten. Den Zeitraum von 1990 bis 1992 mit dem Zerfall der Sowjetunion beschreibt er als schwierige Phase, in der auch die Förderung eingestellt wurde.

In schwieriger Phase Wechsel nach Zweibrücken

Nachdem er 1992 mit 5,20 Metern weißrussischer Meister geworden war, folgte Andrei Tivontchik 1993 einer Einladung aus Zweibrücken, fortan dort zu trainieren und Wettkämpfe für das LAZ als Verein zu bestreiten. Seinen neuen Trainer Vladimir Ryzih hatte er bereits ein Jahr zuvor beim letzten Länderkampf zwischen Deutschland, der UdSSR und Großbritannien in Ulm kennengelernt.

„Mein Aufwärtstrend erhielt einen entscheidenden Schub, als ich mit 22 Jahren zum LAZ nach Zweibrücken kam und bei Vladimir trainierte“, erinnert sich Andrei Tivontchik, der noch immer froh ist, diesen Schritt gewagt zu haben.

Nach seiner Einbürgerung startete der Stabhochspringer 1994 erstmals für Deutschland und wurde bei der EM in Helsinki (Finnland) Sechster. 1995 steigerte er den deutschen Rekord auf 5,80 Meter und holte Hallen-WM-Bronze in Barcelona (Spanien). Sein größter Erfolg gelang ihm ein Jahr später als Dritter bei den Olympischen Spielen in Atlanta (USA), wo er mit 5,92 Metern höhengleich mit dem Sieger den olympischen Rekord egalisierte. Seine Bestleistung steigerte er 1996 sogar auf 5,95 Meter. Besonders stolz ist er auch auf seinen dritten Platz beim Weltcup 1994.

Fließender Übergang vom Athleten zum Trainer

1999 wechselte Andrei Tivontchik noch für zwei Jahre zu Herbert Czingon nach Mainz. Seinen Traum von einer weiteren Olympiateilnahme 2000 in Sydney (Australien) konnte er wegen einer Knieverletzung, die 2001 auch zum Ende der sportlichen Karriere führte, nicht mehr verwirklichen.

Dass er anschließend eine Trainerkarriere einschlagen würde, war zu diesem Zeitpunkt schon relativ sicher. "Im letzten Jahr meiner Karriere haben ich mir schon verstärkt Gedanken über meine berufliche Zukunft gemacht, wobei sich das Traineramt immer mehr herauskristallisierte“, erinnert er sich. „Bereits als Athlet habe ich den Sechs-Meter-Springer Dmitri Markov in Zweibrücken trainiert und mich bei dieser Tätigkeit sehr wohl gefühlt.“ Markov hat wie er weißrussische Wurzeln und startete später für Australien.

Andrei Tivontchik nahm 2001 ein Angebot als Nationaltrainer aus Katar an, wo er bis 2004 tätig war. Anschließend kehrte er mit seiner Frau in die Heimat nach Zweibrücken zurück, wo er seitdem als Trainer arbeitet. Ein Jahr später übernahm er zudem im DLV den männlichen Nachwuchs von Jörn Elberding, dessen Nachfolge er nun auch bei den Männern antritt. Dazwischen war er seit November 2008 Bundestrainer für die Frauen.

Gesund bleiben für das große Ziel Heim-EM

Für seine neue Tätigkeit hat der Stabhochsprung-Experte vor allem einen Wunsch: „Ich hoffe, dass jetzt alle gesund bleiben für das große Ziel Heim-EM.“ Das gelte auch für Torben Laidig (noch WGL Schwäbisch Hall, ab 2018 LAV Stadtwerke Tübingen) in den USA, damit er sich anständig vorbereiten kann.

Ab Montag steht gemeinsam mit den deutschen Stabhochspringerinnen ein erstes DLV-Trainingslager im südafrikanischen Stellenbosch an. Dort wird der Feinschliff für die Hallensaison gelegt, in der auch die Hallen-WM in Birmingham (Großbritannien; 1. bis 4. März) „mitgenommen“ werden soll, wenn alles normal läuft.

Der aktuelle Stand der Vorbereitung zumindest sei sehr gut: Raphael Holzdeppe springt aktuell im Training aus zehn Schritten bereits Höhen im Bereich von 5,50 bis 5,60 Meter. Im Trainingslager soll der Anlauf schrittweise verlängert werden. Anfang Januar will Andrei Tivontchik beim Season-Opening in Leverkusen weitere Erkenntnisse sammeln, bevor eine Woche später für die meisten Kaderathleten in Merzig der Saisoneinstieg ansteht. Dank tiefergelegtem Anlaufsteg hofft er, dass Raphael Holzdeppe dort vielleicht sogar schon aus 16 statt 14 Anlaufschritten springen kann.

Technische Fortschritte bei Bo Kanda Lita Baehre

Gespannt ist er dort auch auf die Leistung des jungen Deutschen Meisters Bo Kanda Lita Baehre (TSV Bayer 04 Leverkusen), dem er deutliche Fortschritte im technischen Bereich bescheinigt. Im Sommer traut er ihm ein Niveau von 5,70 Metern zu, womit der noch 18-Jährige ebenfalls ein EM-Kandidat ist.

Auf die Unterschiede zwischen Frauen und Männern bezüglich seiner Bundestrainer-Tätigkeit angesprochen scherzte Andrei Tivontchik kürzlich, dass Männer weniger herumzicken würden als Frauen. „Bei den Männern ist es kein Problem, mehrere gute Springer in einer Trainingsgruppe zu haben. Bei Frauen benötigt man dagegen viel mehr Personal Training“, findet er.

Dass er beides kann, hat Andrei Tivontchik schon mehrfach bewiesen. Kristina Gadschiew (LAZ Zweibrücken), die 2016 ihre Karrie beendete, führte er 2011 zu Hallen-EM-Bronze. Aktuell betreut er in Zweibrücken mit Raphael Holzdeppe, Daniel Clemens (beide LAZ) und dem neu dazu gestoßenen Karsten Dilla (TSV Bayer 04 Leverkusen) gleich drei seiner Kaderathleten. Außerdem kümmert er sich mit einem Trainerkollegen noch um eine zehnköpfige LAZ-Nachwuchsgruppe und ist auch für Teile des Trainings von Weitspringerin Sosthene Moguenara (LAZ Saar 05 / TV Wattenscheid 01) verantwortlich.

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