Andrej Tiwontschik – Trainer junger "Überflieger"
Sein dritter Platz bei den Olympischen Spielen in Atlanta 1996 markierte den Anfang des deutschen Stabhochsprung-Booms. Dass die Erfolgsgeschichte dieser faszinierenden Disziplin noch lange fortbesteht, daran arbeitet Andrej Tiwontschik seit seinem unfreiwilligen Karriereende 2001 mit Hochdruck als Trainer.
Andrej Tiwontschik engagiert sich jetzt als Trainer (Foto: Gantenberg)
Mit jetzt 36 Jahren trägt er seit Anfang 2005 als DLV-Disziplin- und Stützpunkttrainer in Zweibrücken Verantwortung für einige der talentiertesten deutschen Nachwuchsathleten beider Geschlechter.Sein Werdegang war immer geprägt von großen Herausforderungen. Andrej Tiwontschik hat diese nie gescheut. Weder 1993, als Sponsoren dem gebürtigen Weißrussen den Weg nach Deutschland ebneten, dem ein Jahr später die Einbürgerung folgte, noch als schon zu Beginn seiner Trainerkarriere das Angebot kam, als Nationaltrainer für Stabhochsprung ins fremde Scheichtum Katar zu gehen.
Drei Jahre in Katar
Drei Jahre hat er dort verbracht, fernab der neuen Heimat. "Ich bin dort vom Athleten zum Trainer gereift", sagt Andrej Tiwontschik zurückblickend. Er wusste, dass ihn optimale Trainingsmöglichkeiten und ein Umfeld mit international erfahrenen Leichtathletiktrainern in diesem kleinen Land am Persischen Golf erwarten, er die Möglichkeit haben würde ohne großen Erfolgsdruck etwas aufzubauen.
Wahrlich keine schlechten Ausgangsbedingungen für einen Trainerneuling. In den drei Jahren hatte er die Verantwortung für die hoffnungsvollsten Talente des Landes im Alter von 15 bis 17 Jahren. Einer von ihnen schaffte in seiner Zeit den Sprung über die 5-Meter-Marke. Trotz der großen Umstellung, die sein Leben in der Hauptstadt Doha mit sich brachte, findet Andrej Tiwontschik nur positive Worte über seine Zeit in Katar. Er lobt "den engen Austausch mit anderen Trainer", von denen er viel gelernt habe und spricht begeistert über die hervorragenden Bedingungen, die ihm die Verantwortlichen dort ermöglichten. So war er mit seinen jungen Athleten mehrfach international zu Wettkämpfen unterwegs, überdies in drei- bis viermonatigen Trainingslagern im Ausland.
Kein Stillstand
Trotz allem hat der ehemalige Weltklasseathlet diese Zeit immer nur als einen Lebensabschnitt gesehen. Er wusste, dass ihn der Weg zurück nach Deutschland führen wird. "Irgendwann bleibt man halt auf einem gewissen Punkt stehen", beschreibt er die Situation, als Anfang 2005 das Angebot kam, an den Olympiastützpunkt Zweibrücken, seinem früheren Wohnort, zurückzukehren.
"In Katar ging es darum, mit den Athleten vielleicht arabischer Meister zu werden, hier ist die Herausforderung eine ganz andere, nämlich Weltklasseathleten zu formen." Nach seiner Ernennung zum DLV-Nachwuchstrainer ebenfalls in 2005 gilt dieser Anspruch erst recht. In seiner Trainingsgruppe in Zweibrücken tummeln sich zahlreiche hoffnungsvolle Stabhochhochsprung-Talente, darunter die Nachwuchs-Kaderathleten Natasha Benner, Ann-Katrin Schwarz und Raphael Holzdeppe. Seit einigen Monaten betreut Andrej Tiwontschik zudem die frühere Deutsche Meisterin Carolin Hingst vom USC Mainz, die nach stagnierenden Leistung wieder in den Weg in die Erfolgsspur sucht.
Die Arbeitsweise des Olympia-Dritten von Atlanta ist sehr eigenständig. Er verweist natürlich auf die Einflüsse seiner eigenen Trainer wie Wladimir Ryshich, betont aber stets den Anspruch, nicht die eigene Athletenerfahrung kopieren zu wollen. Und trotz der engen und offenen Zusammenarbeit mit anderen Vereins- und Verbandstrainern - etwa im Rahmen von Lehrgängen - lässt sich Andrej Tiwontschik gerade was die eigene Trainingsgestaltung angeht nicht beeinflussen.
Eigene Formen entwickelt
"Er hat eigene Formen entwickelt, man konnte die Veränderungen in seiner Arbeit gut beobachten", sagt auch Karl-Heinz Werle, der stellvertretende Vorsitzende des Zweibrücker Stützpunktes. Zudem charakterisiert er seinen Trainer als ruhigen und ausgeglichenen Menschen, der zudem über die nötige Fach- und Methodenkompetenz verfügt. Dennoch sieht Werle noch keine abgeschlossene Entwicklung bei Andrej Tiwontschik, "dafür sei er noch zu jung und die Disziplin entwickele sich schließlich stetig weiter".
Für Andrej Tiwontschik selbst ist das Trainer-Athleten-Verhältnis von elementarer Bedeutung: "Ich konzentriere mich voll auf meine Arbeit, weil ich will, dass meine Athleten nach vorne kommen", sagt er. Eigene Ambitionen stehen da zurück und folgerichtig thematisiert er auch nicht, ob er über den Nachwuchsbereich hinaus eines Tages DLV-Disziplintrainer werden könnte, was ihm viele zutrauen.
Seinen jungen Stabhochspringern will er vor allem die positive Einstellung und mentale Stärke vorleben, die man für diese Disziplin benötigt. Danben ist die allgemeine körperliche Vorbereitung sehr wichtig, müssen Stabhochspringer doch vielfältige Anlagen mitbringen, wie der Zweibrücker erklärt. So überrascht es nicht, dass er auch die turnerische Vorbereitung selbst in die Hand nimmt, wobei gerade die Mädchen hier vieles schon mitbringen. Er weiß jedoch, dass viele aus Angst verkrampfen, mit dem Druck nicht klar kommen und so dauerhaft Probleme bei der Ausübung des Sportes haben.
Jugendliche begeistert
Deshalb baut der 36-jährige seine Athleten behutsam auf, beginnt spät mit stabhochspringspezifischem Training und dosiert die Trainingsintensität. Andrej Tiwontschik will den Sport nicht in den Mittelpunkt stellen, wie er es ausdrückt, sondern ermahnt seine Schützlinge stets dazu, die Prioritäten gerade im Hinblick auf die Schule richtig zu setzen. Er beklagt aber auch die fehlende Unterstützung für die besten Nachwuchsathleten, die andere Länder besser organisieren, beispielsweise mit Hilfe von Stipendien zur besseren Vereinigung von Ausbildung und Beruf mit dem Leistungssport.
Nichtsdestotrotz konstatiert der langjährige Weltklassemann eine weiterhin sehr breite Nachwuchsbasis im Stabhochsprung. "Die Sportart finden Jugendliche spektakulär, es begeistert sie einfach", lautet seine Einschätzung. Der rege Zulauf in seine Trainingsgruppen in Zweibrücken begründet sich für ihn auch durch die Bindung des Vereins ans Stabhochspringen, quasi als Aushängeschild. Die beste Werbung ist dabei sicherlich das jährliche Marktplatzspringen.
Andrej Tiwontschik hat trotz seiner ruhigen Art und seiner Trainingsphilosophie ehrgeizige Ziele, die er offen ausspricht. Carolin Hingst (26) traut er im nächsten Jahr eine Medaille bei der WM in Osaka (Japan) zu, seinem vielleicht hoffnungsvollsten Talent Raphael Holzdeppe (17) den Titel bei der Junioren-Europameisterschaft. Schon dieses Jahr konnte jener als jüngster Teilnehmer einen exzellenten 5. Platz bei der Junioren-WM belegen.
Begeisterung für und bei Raphael Holzdeppe
Seinem Schützling attestiert er wie vielen in seiner Trainingsgruppe eine hervorragende Einstellung. "Raphael will eher noch immer zuviel machen, ich muss ihn bremsen. Seine Stärke liegt eindeutig im mentalen Bereich. Er hat keine Angst härtere Stäbe zu nehmen", lobt Andrej Tiwontschik. Da im Bereich Krafttraining noch viele Reserven liegen, lässt sich wahrlich auf eine international erfolgreiche Zukunft dieses Athleten hoffen.
Und was sagt der Springer selbst über seinen Trainer? "Für mich ist Andrej der Bundestrainer, mein alleiniger Ansprechpartner, auch wenn er nicht alle Entscheidungen selbst trifft", verdeutlicht Raphael Holzdeppe die sehr enge Bindung an Tiwontschik. Er beschreibt ihn ebenso als ruhig und geduldig, als Trainer der viel erklärt und Fehler direkt anspricht.
Positiv findet der Hoffnungsträger auch die Gleichbehandlung im Training, wo "alle die gleichen Aufgaben" bekommen und die Rücksichtnahme bei schulischer Beanspruchung. Wenn am Ende die Erfolge sich so einstellen wie die beiden es stets zu Saisonbeginn planen, dann hat Andrej Tiwontschik bewiesen, dass er auch diese Herausforderung wieder gemeistert hat.