Andy Dittmar - Amateur macht den Spagat zur WM
Kugelstoßer Andy Dittmar (BiG Gotha) will zur WM nach Berlin (15. bis 23. August), will am Morgen des 15. August, bei einer der ersten Entscheidungen dieser WM im Olympiastadion dabei sein und sich für das Finale am gleichen Abend qualifizieren. „Die WM-Norm von 20,30 Metern ist für mich machbar. Ansonsten wäre ich das Ganze nach den zurückliegenden Verletzungen nicht nochmals angegangen“, sagt er.
Vier bis fünf deutsche Konkurrenten hat er im Kampf um die drei WM-Tickets auf der Rechnung. Neben Ralf Bartels (SC Neubrandenburg), Peter Sack (LAZ Leipzig) und Marco Schmidt (VfL Sindelfingen) rechnet er auch mit Jungstar David Storl (LAC Erdgas Chemnitz).Andy Dittmar bewies sich selbst in dieser Hallensaison, dass er es noch mal packen kann. Dabei waren die Voraussetzungen schon deshalb nicht so günstig, weil sein langjähriger Trainer Stephan Schreyer seit November 2008 nach einem Herzinfarkt außer Gefecht gesetzt war.
Technische Probleme
„Es schlichen sich danach einige Probleme im technischen Bereich ein“, erklärt der 34-Jährige. Er versuchte, diese mit der Unterstützung vom Magdeburger Trainer Klaus Schneider, kommissarischer DLV-Disziplintrainer im Kugelstoßen der Männer, zu beseitigen, aber das war mit einem hohen Reiseaufwand verbunden.
„Entweder bin ich für zwei Tage nach Kienbaum gefahren oder aber in der Woche einmal nach Magdeburg oder nach Leipzig, um dort mit Peter Sack zu trainieren“, blickt Andy Dittmar zurück. Für lange Trainingslager in Kienbaum war keine Zeit, denn Andy Dittmar ist hauptberuflich als leitender Angestellter bei einer Krankenkasse tätig, und deshalb ist seine Freizeit zeitlich sehr begrenzt.
Mit holprigem Anlauf nach Turin
Trotzdem schaffte er sein erstes Jahresziel, sich für die Hallen-Europameisterschaften in Turin (Italien) zu qualifizieren – auch wenn der Anfang etwas holprig war und die Erlösung erst spät kam. Für den Saisoneinstieg in Nordhausen hatte er sich 19,00 Meter vorgenommen, „denn dann wäre ich mir sicher gewesen, die EM-Norm von 19,50 Metern schaffen zu können.“ Aber kurz vor dem Wettkampf legte ihn eine Grippe lahm, zudem ging ihm das Schicksal seines Trainers nicht aus dem Kopf. So wurde es nichts mit den 19,00 Metern.
Aber es folgten bei den Süddeutschen Hallen-Meisterschaften in Hanau 19,10 Meter, wobei er schon einen ungültigen Versuch über 19,50 Meter hatte, den er aber nicht halten konnte. Es folgte ein Rückschlag beim Erdgasmeeting in Leipzig, wo er sich zwar mit 20 Metern einstieß, aber dann technisch sehr unsicher war und nur auf 19,02 Meter kam.
Knapp daneben
Bei den Norddeutschen Meisterschaften in der Berliner Rudolf-Harbig-Halle verfehlte er mit 19,46 Metern die Norm nur knapp, „aber eigentlich war das die Norm. Leider ist dort die Weitenmessung sehr schwierig. Die Kugel schlägt mit 100 Sachen ein und hinterlässt einen Krater von 40 Zentimeter Durchmesser im Sand. Die Kampfrichter haben nicht den Kugelpunkt gemessen, sondern wie beim Weitsprung das letztmögliche sichtbare Sandkörnchen.“ So musste Andy Dittmar weiter warten.
Die DM in Leipzig sollte seine letzte Chance sein und er nutzte sie. „Ich wusste, dass ich einen Stoß richtig treffen musste, entsprechend groß war meine Spannung. Zudem konnte David Storl noch von hinten kommen, er ist ein Sensationstalent.“ 19,50 Meter und der dritte Platz waren gefordert, und das gelang mit einer Punktlandung. „Aber es war nicht nur Glück, sondern ich habe echt etwas dafür getan“, betont Andy Dittmar.
Seit 2000 bei fast jeder Hallen-EM
Der Weg nach Turin war damit für ihn frei. „Seit 2000 habe ich bei jeder Hallen-EM mitgemacht, außer in Birmingham, wo ich verletzungsbedingt nicht starten konnte. Es war immer ein schönes Erlebnis für mich. Allerdings war es mir nie vergönnt, die Quali zu überstehen“, erzählt der EM-Siebte von 2006. Und das war auch diesmal nicht der Fall, denn mit 19,38 Metern kam er zwar nahe an seine Saisonbestweite heran, aber das langte nur zu Platz 13.
In Erfurt ist er leitender Angestellter bei der AOK. Dort wechselt er täglich das Sport-Trikot gegen einen dezenten Anzug. „Bei mir stand die berufliche Karriere immer im Vordergrund, auch weil zuhause in Gotha eine Frau und drei Kinder ernährt werden wollen. Aber der Job macht mir auch sehr viel Spaß, bietet eine willkommene Abwechslung zum Sport.“
Striktes Zeitmanagement
Allerdings ist es für Andy Dittmar oft ein Spagat, das Zeitmanagement muss strikt eingehalten werden. „Oft komme ich erst abends 21 Uhr zum Training, denn oft bin ich von 8 bis 18 Uhr an meinem zweiten Bürositz in Erfurt.“ Ansonsten organisiert er die Arbeit meistens aus seinem Wohnort Gotha, wo er seinen anderen Bürositz hat, ein Zugeständnis seines Arbeitgebers.
Wegen des Berufes kommt er nicht jeden Tag zum Training. „Oft komme ich gerade mal auf vier bis fünf Trainingseinheiten pro Woche, teilweise werden es noch weniger. Auch die Familie fordert ihr Recht, die Kinder machen inzwischen auch Sport, meine Frau ist ebenfalls aktiv und absolviert gerade eine Rettungsschwimmerausbildung.“ Man kann also mit Fug und Recht sagen: Andy Dittmar ist Amateur. „Sport ist mein Hobby“, charakterisiert er es selbst. Umso beachtlicher, was er mit diesem geringen Aufwand bisher erreicht hat.
Ein Traum wird wahr in Göteborg
Sein größter Erfolg war der siebte Platz bei der EM 2006 in Göteborg (Schweden), bei eben jenem Wettkampf, als Ralf Bartels Europameister wurde. „Mental habe ich den Hype dieser EM mitgenommen. Es war ein Traum für mich, international zu starten und dann noch im Finale zu stehen. Das sportliche Häkchen für mich selbst habe ich damit gemacht.“
Seine Form blieb auch danach gut. „Im Januar 2007 kam ich ein ganzes Stück über 20 Meter, aber dann riss mir beim Bankdrücken am rechten Brustmuskel fast alles ab.“ Das hieß ein Jahr komplett Pause. „Ende 2007 haben wir die ersten dezenten Stöße wieder versucht, im Februar 2008 konnte ich mit angezogener Handbremse wieder einsteigen.“
Rückkehr mit Spaß
Mit dem geringen Training stieß er gleich über 18 Meter, und das gab ihm Auftrieb. Gerade auch, weil vorher viele gesagt hatten, dass nach solch einer Verletzung Kugelstoßen nicht mehr möglich sei. Auch die Ärzte waren skeptisch gewesen, hatten ihm angesichts seines Alters (Jahrgang 1974) geraten, aufzuhören. Aber Andy Dittmar dachte nicht daran. „Es machte mir einfach noch Spaß. Und ich mag die Leute und die Wettkämpfe.“
2008 ging es dann so schnell aufwärts, dass er sogar wieder an Olympia denken konnte. Doch dazu langte es nicht. 19,63 Meter war seine beste Weite, „aber einige Trainingsstöße deuteten auf mehr. Doch es war eine Hau-Ruck-Geschichte, mit vier Monaten Vorbereitung war es doch nicht möglich, die Olympianorm von 20,30 Metern zu packen.
Mit Überstunden Trainings-Zeit freischaufeln
Nun nimmt Andy Dittmar also einen neuen Anlauf, um beim internationalen Großereignis des Jahres dabei zu sein. Allerdings wird sein sportliches Leben weiterhin amateurhaft ablaufen, was den Trainingsumfang betrifft. Kleine Zeitreserven sieht er noch. „Ich kann Überstunden und ein paar Tage Sonderurlaub ansammeln, und deshalb auch Anfang Mai für drei Wochen ins Trainingslager nach Portugal fahren. Sollte die Tendenz dann sehr gut sein, das heißt sollte ich in den ersten Wettkämpfen Richtung WM-Norm von 20,30 Meter stoßen, wird es möglich sein, dass ich einen Monat Wehrersatzübung bei der Sportfördergruppe in Oberhof mache, damit vier Wochen komplett aus dem Arbeitsrhythmus herausgehe und mich voll auf den Sport konzentriere.“
Geht sein Konzept auf, dann wäre es keine Überraschung, wenn er am 15. August zu den drei Athleten gehören würde, die den DLV im Kugelstoßring vertreten.