Anika Leipold trifft Heike Drechsler
Die zweifache Olympiasiegerin Heike Drechsler hat sich am vergangenen Sonntag beim ISTAF in Berlin von ihren deutschen Fans verabschiedet. Auf der Pressetribüne war Anika Leipold, die aktuelle B-Jugend-Meisterin und damit legitimiert als eine der möglichen Nachfolgerinnen aus einer neuen Weitsprung-Generation, als Teil des leichtathletik.de-Teams Augenzeugin. Wenige Stunden zuvor hatten sich die beiden, die ein Altersunterschied von 22 Jahren trennt, noch im Meetinghotel getroffen. Lesen Sie selbst...
Heike Drechsler und Anika Leipold - ein Treffen der Weitsprung-Generationen (Foto: Klaue)
Anika Leipold:Hallo Heike...
Heike Drechsler:
Hallo Anika, schön Dich zu sehen. Wie bist Du überhaupt zu so einem Job beim ISTAF gekommen?
Anika Leipold:
Ich habe letztes Jahr von der U18-WM in Sherbrooke schon für leichtathletik.de Impressionen geschrieben und dieses Jahr bei der Junioren-WM in Grosseto auch wieder. Dann kam Christian Fuchs auf mich zu und hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte auf das ISTAF. Da habe ich natürlich nicht Nein' gesagt und nun bin ich hier. Ich möchte auch einmal ein Studium in Richtung Sportmanagement oder Sportjournalismus beginnen.
Heike Drechsler:
Machst Du noch andere, ähnliche Sachen?
Anika Leipold:
Ne, das ist für mich das erste Mal bei so einer richtig großen Veranstaltung. Ich finde es aber total interessant, so etwas von der anderen Seite, also nicht als Athletin, zu sehen. Das ist wie in einer anderen Welt.
Heike Drechsler:
Ich komme mir manchmal auch schon vor wie in einer anderen Welt. Die jungen Springerinnen, zu denen Du ja auch schon oder bald gehörst, kommen alle aus einer anderen Generation als noch meine. Wir sehen uns bei Wettkämpfen und kennen uns untereinander, aber nicht mehr so genau. Ich bin nicht mehr so ganz tief drin in der aktuellen Weitsprung-Generation wie noch vor Jahren.
Anika Leipold:
Du bist aber nun auch eine der erfolgreichsten Leichtathletinnen der Welt, zu der gerade wir junge Springerinnen aufschauen können. Was gibst Du uns denn mit auf den Weg, um auch mal so erfolgreich Leistungssport machen zu können?
Heike Drechsler:
Am allerwichtigsten ist in der heutigen Zeit, dass man die richtigen Prioritäten setzt. Ich denke, dass die Verbindung Beruf und Sport inzwischen sehr schwierig geworden ist. Aber es gibt nach wie vor Möglichkeiten, beides zu arrangieren. Man muss sich genau überlegen, wie man den Tagesablauf zeitlich organisiert. Will man es bis zu den Olympischen Spielen schaffen, muss man auf den Sport den Schwerpunkt legen können und mit dem Arbeitgeber reden, um auch die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Viele Chefs sehen den Sport manchmal leider nur als Hobby. Das ist immer hart für den einzelnen Sportler. Ich denke aber, es gibt Chancen, dass sich diese Problematik in der Zukunft wieder verbessert.
Anika Leipold:
Die Kanutin Birgit Fischer hat doch das Sportsystem in Deutschland heftig kritisiert, vor allem was den sportlichen Gedanken an Eliteschulen und die schlechte Betreuung im Verein angeht. Siehst Du das ähnlich?
Heike Drechsler:
Das liegt vor allem an den Strukturen, man kann das DDR-System, das ich von früher kenne, nicht mit dem heutigen vergleichen. Wenn man ein gutes Sportsystem hat, in dem Talentsichtung stattfindet, bei dem in jedem Verein genug Trainer da sind, die eine fachlich gute Ausbildung haben, dann weiß man, dass es funktioniert mit dem Weg nach ganz oben. Dann sind die Entwicklungsmöglichkeiten auch da.
Anika Leipold:
Was sollte jetzt passieren, gerade wo auch die Leichtathletik so kritisiert wird?
Heike Drechsler:
Ich denke, man muss die jetzige Situation analysieren und das Beste draus machen, die positiven Dinge von dem Sportsystem in der DDR übernehmen. Die Stärken daraus wurden jetzt nicht genutzt für das momentane System. Nur so kann es funktionieren. In Leistungszentren, in jedem Bundesland, in Gesamtdeutschland. Es ist wichtig, dass nicht nur jedes Bundesland einen funktionierenden Olympiastützpunkt hat, sondern wirklich Leistungssport im Gesamten gefördert wird.
Anika Leipold:
Kannst Du Dir denn vorstellen, selbst einen Beitrag dazu zu leisten, zum Beispiel als Trainerin?
Heike Drechsler:
Nein, als Trainerin eher nicht. Ich habe aber selbst für meine Zukunft schon ein paar Projekte im Kopf. Ich möchte in jedem Fall dem Sport treu bleiben. Ich würde gerne eine Art Beraterin für die jungen Leute sein, wenn sie Sorgen haben. Ich könnte mir vorstellen, die Trainer auch in technischen Fragen zu unterstützen, aber selbst würde ich als Trainerin nicht arbeiten wollen. Ich möchte die Leute vielmehr insgesamt dazu animieren, mehr für ihre Gesundheit zu tun. Daraus würde sich vielleicht auch in den jungen Jahrgängen eine Breite entwickeln, die man dann für den Leistungssport nutzen könnte. Wenn man in die Schulen reinkuckt, merkt man nämlich, dass der Schulsport in Deutschland nicht gerade der Beste ist. Wenn sie da die Pisa-Studie angesetzt hätten, wäre der Turm umgefallen.
Anika Leipold:
Was bewegt Dich, wenn Du nun an diese ganze phänomenale Entwicklung vom Jugendalter bis jetzt zur abtretenden zweifachen Olympiasiegerin zurückdenkst?
Heike Drechsler:
Es ist einfach schade, dass die Zeit so schnell vergangen ist. Wenn es ginge, würde ich am liebsten noch zehn Jahre dranhängen. Ich würde das DDR-System nicht missen wollen, weil ich davon jahrelang profitiert habe.
Anika Leipold:
Würdest Du denn alles noch einmal ganz genauso machen?
Heike Drechsler:
Ja, ich würde alles wieder so machen und mich ganz für den Sport entscheiden. Man muss nur in der heutigen Zeit aufpassen, dass für einen als Sportler die Vermarktung nicht im Vordergrund steht und eine gewisse Balance prioritätengerecht gehalten wird. Außerdem muss man die Leidenschaft für den Sport haben. Die hatte ich 27 Jahre und die ist immer noch da. Bei mir kribbelt es nach wie vor, wenn ich die Leute an der Grube sehe.
Anika Leipold:
Mir geht es mittlerweile auch schon so und ich finde es toll, wenn Zuschauer am Rand sind und sich mein Trainer und meine Eltern mit mir freuen, ich sie mit meinen Leistungen glücklich machen kann. Deshalb ärgere ich mich wahrscheinlich auch immer so sehr, wenn ich meinem Trainer eine schlaflose Nacht bereite, weil ich schlecht gesprungen bin.
Heike Drechsler:
Anika, die Freude an der Sache ist das Wichtigste. Das hat irgendwas. Auch dieses Kämpfen, den anderen schlagen zu wollen.
Anika Leipold:
Das, die Freude, der Wille, ist doch sicher auch ein Grund, warum man sich immer wieder nach Verletzungen, wie Du sie hattest, aufrappeln kann...
Heike Drechsler:
Für mich war es am Schluss natürlich leichter, weil ich schon Erfolge hatte und weil ich lange ohne Verletzungen durchgekommen bin. Da verkraftet man Niederlagen auch einfacher, man kann aus den Erfolgen Kraft schöpfen. Wäre ich schon viel früher mit Verletzungen geplagt gewesen, dann hätte ich die Laufbahn wohl schon eher in Frage gestellt.
Anika Leipold:
Ich glaube übrigens ganz fest an Rituale, an gewisse Kuscheltiere, die immer mit müssen. Ich glaube ganz fest, manchmal ein bisschen zu fest. Es gibt bei uns schon seit sechs Jahren am Abend vor dem Wettkampf immer Nudeln mit Tomatensauce, seit ich damals nach so einem Abendessen zum ersten Mal fünf Meter gesprungen bin.
Heike Drechsler:
Bei mir ist das die Tasche, die riecht zwar schon ein bisschen muffig. Aber sie kann noch so schmutzig und kaputt sein, sie muss mit. Die Spikes versuche ich kaum zu wechseln, es sei denn sie sind richtig kaputt. Man springt gerne mit Schuhen, mit denen man schon mal weit gesprungen ist und weil man sich darin wohl gefühlt hat. Ein weiteres Ritual ist bei mir, dass ich zwei Stunden vor dem Wettkampf unerträglich werde.
Anika Leipold:
Oh, Hilfe, dann ist es ja bald so weit...
Heike Drechsler:
Ich will damit auch niemandem zu nahe treten. Aber da ist einfach die Zeit, da gehe ich in mich hinein und da bin auch schon mal ein bisschen nervös.
Anika Leipold:
Wie geht es denn jetzt nach dem ISTAF noch bei Dir weiter?
Heike Drechsler:
Ich plane grundsätzlich nicht mehr so weit hinaus, denn es kann immer viel passieren wie zum Beispiel bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig in diesem Jahr. Mensch, das war ärgerlich... Als nächste Wettkämpfe sind jetzt noch Yokohama und Tahiti, also ein bisschen Urlaubsweitspringen zum Genießen, geplant. In Karlsruhe gibt es noch einen Abschied, für den der Termin aber noch nicht genau feststeht. Da kommen alte Konkurrentinnen aus den vergangenen Jahren. Jackie Joyner-Kersee und Fiona May zum Beispiel. Die Vorbereitung ist zwar ein Haufen Arbeit und ob alle können, ist noch eine andere Sache. Aber ich freue mich darauf, die Athletinnen von damals wiederzusehen. In welchem Rahmen das stattfindet, ist noch offen. Vielleicht ein Springen, für die, die noch können. Für die anderen muss ich mir was anderes einfallen lassen.
Anika Leipold:
Zum Beispiel Kampfrichter...
Heike Drechsler:
Ja, das wär eine Idee oder was anderes Lustiges.
Anika Leipold:(lacht)
Es könnten ja dann noch alle wie Frank Busemann jetzt hier beim ISTAF 1.500 Meter laufen...
Heike Drechsler:
Nein, das tut zu sehr weh. Das möchte ich niemandem zumuten.
Anika Leipold:
Ach, eine Frage noch. Gibt es denn ein Lebensmotto, das Dich den ganzen Tag begleitet?
Heike Drechsler:
Spaß am Leben haben, denn jeder Tag könnte der letzte sein. Man sollte den Tag immer so organisieren, dass man an den Sachen, die man mag, Freude hat, auch wenn es manchmal noch so schwer ist. Mit einem strahlenden Gesicht durch's Leben zu gehen, ist einfacher als sich ständig selbst Fragen zu stellen. Stress haben wir genug.
Anika Leipold:
Das habe ich selber auch schon gemerkt, dass man mit einem strahlenden Lachen besser durch's Leben geht. Danke für das Gespräch, Heike. Ich wünsche Dir alles Gute weiterhin.
Heike Drechsler:
Ich wünsche Dir auch alles Gute. Tschüß, Anika!