"Lockerer Vogel" André Niklaus musste Haare lassen
Eigentlich hätte sich André Niklaus schon vorstellen können, eine kaufmännische Lehre zu machen. Zumindest bis zu diesem Sommer. "So ein Anzugtyp, dass würde mir Spaß machen", sagt der Zehnkämpfer grinsend. "Aber wie soll ich bei zwei Mal Training am Tag noch acht Stunden Arbeit dazwischen schieben?" Deshalb hat sich der 22-jährige Berliner nun für die Bundeswehr und die Sportfördergruppe entschieden.

Bei der WM hatte André Niklaus noch lange Haare. (Foto: Klaue)
Zuvor hatte er eine Zivildienststelle am Olympiastützpunkt in Berlin. "Das hört sich komisch an. Erst Zivildienst, dann Bundeswehr, aber für den Sport ist es das Beste", sagt der 1,90 Meter große junge Mann. Im Moment hat der Schützling von Rainer Pottel allerdings nicht viel zu lachen. Seit drei Wochen macht er die Grundausbildung. "Ich glaube, ich habe den Bund ein bisschen unterschätzt. Ich bin ein lockerer Vogel und lockere Vögel hat die Bundeswehr nicht immer gleich lieb", sagt André Niklaus mit einem Augenzwinkern. Aber dieser Disziplin muss er sich noch einige Wochen beugen. "Ich stehe um 4.45 Uhr auf und der Tag ist selten vor 21 Uhr vorbei." Kein Zuckerschlecken. Trainingsrückstand am Wochenende aufholen
Auch wenn der Zehnkämpfer harte Einheiten und großen Aufwand gewohnt ist. In der Vergangenheit gondelte er bis zu einer Stunde durch die Stadt an den Olympiastützpunkt. Für das Speerwerfen fuhr er nach Magdeburg – zu Ralf Wollbrück. "Um acht Uhr bin ich weg, damit ich um zehn auf der Matte stand."
Bei der Bundeswehr ist er in guter Gesellschaft, teilt sich mit drei Radfahrern und einem Sportschützen das Zimmer. "Das sind Supertypen. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht lachend auf dem Boden liegen." Nach dem Dienst versucht er wenigstens noch zu laufen. "Da muss ich meinen Schweinhund ganz schön überwinden. Ansonsten versuche ich die fehlenden Einheiten samstags und sonntags nachzuholen."
Friseurbesuch als Medienereignis
Nach der Grundausbildung hofft er nach Berlin zu kommen. Im Frühjahr will er ins Trainingslager nach Südafrika. Einen kleinen Wehmutstropfen hat er über sich ergehen lassen – er musste seine schulterlangen Haare opfern, was zum regionalen Medienereignis führte. Die Tageszeitung BZ schickte einen Fotografen zum Friseur. "Nach dem Schneiden dachte ich, dass kleine Hamster auf dem Boden um mich herumlagen, das wäre eine schöne Perücke geworden." Doch er hat sich an die Frisur gewöhnt. "Sie gefällt mir sogar."
Dass er 2003 die höchste Punktzahl eines deutschen Zehnkämpfers erreicht hat, nimmt er relativ gelassen zur Kenntnis. "Deshalb renne ich nicht den ganzen Tag mit einem breiten Grinsen im Gesicht herum." Der 22-Jährige fühlt sich keineswegs als "Retter der (Zehnkampf)Nation", aber er zeigt, dass es noch Athleten gibt, die eine Eigenschaft haben, die viele vermissen lassen: Kampfgeist und Willen. "Ich bin einer, der eher den schweren Weg geht", sagt André Niklaus über sich selbst.
Sogar die "Bunte" berichtete über WM-Auftritt
Als Baby hat er sich selbst heißes Wasser über den Körper geschüttet. 70 Prozent der Haut sind verbrannt. Die Narben sieht man heute noch. "Ich habe keine Erinnerung mehr daran, aber vielleicht hat mich das Erlebnis doch geprägt", sagt André Niklaus. Aufgeben ist kein Thema für ihn. Wenn er etwas angefangen hat, zieht er es durch. Klar hat er Träume, aber er weiß genau, dass es ein Leben nach dem Sport gibt. "Von irgendetwas muss ich später leben".
André Niklaus ist der Typ, der den deutschen Mehrkampf wieder ein wenig auf Trab bringen könnte. Sympathisch, optimistisch, freche Klappe, flotte Sprüche – und eine vernünftige Einstellung. Der Berliner behält sich vor, was junge Leute brauchen, um sich entwickeln zu können: Zeit. Aber er gab bei der WM eine gute Figur ab und machte nicht nur mit Platz acht auf sich aufmerksam, sondern auch mit seinem Auftreten und seinem frechen, witzigen Mundwerk. Selbst die Illustrierte "Bunte" widmete ihm einige Zeilen unter der Rubrik "Leute von heute".
Das Fenster für junge Hüpfer ist offen
Dabei sah es im Mai gar nicht gut aus für ihn. Er sprang bei einem Stabhochsprung-Wettkampf in Rhede neben die Matte zog sich mehrere Haarrisse im Fuß zu. Das bedeutete: Aquajogging anstatt Hochsprung, Joggen anstatt Sprinten. Doch André Niklaus hat einen starken Willen. Nun hat er die Olympischen Spiele im Kopf. "Ich will nach Athen." Er sagt: "Ich will", kein "Vielleicht", oder "mal sehen wie es läuft". Er brennt darauf.
Mit der Bürde auf den Schultern, in Paris der einzige Deutsche zu sein, ging er leger um. Vor den Fernsehkameras plauderte er genauso locker wie bei Presskonferenzen und Interviews. Seine Sorge, "zu sehr im Mittelpunkt zu stehen, anstatt sich hinter zwei erfahrenen Athleten zu verstecken", legte sich schnell. Weil er keinen Grund hatte sich zu verstecken. Er hat erkannt: "Das Fenster ist offen für uns junge Hüpfer, nun müssen wir die Chance nutzen.".
Begeisterung für die USA
André Niklaus ist sehr sportbegeistert. Basketball, Schwimmen, Fußball, Surfen. Und er hat ein Faible für die USA. "Ich könnte mir vorstellen, an ein College zu gehen und dort zu trainieren, dort wird man nur so oft verheizt." Das schreckt ihn ab. Seit 1998 sieht sich Niklaus als Zehnkämpfer. 2000 hat er zu Trainer Rainer Pottel gewechselt, der seinen Rohdiamanten behutsam aufbaut. Der 22-Jährige hat Reserven in allen Disziplinen. Sein Highlight: Stabhochsprung, hier hat er schon 5,40 Meter überquert. "Ich bin ein Springertyp, aber die Sprintfähigkeit kommt noch, ich mache nur zu viele Fehler", glaubt der U23-Europameister. Sein Auftreten und sein Optimismus erinnern an Frank Busemann, der im Sommer den Rücktritt erklärt hatte. "Man muss sich eine gute Basis schaffen, das andere kommt mit den Adrenalinkicks im Wettkampf." Es scheint zu funktionieren. Wenn doch alles so einfach wäre.