Anna Rüh in neuen Dimensionen
Geplant hatte Anna Rüh (SC Neubrandenburg) eigentlich nur mit der U20-WM im Juli in Barcelona (10. bis 15. Juli). Diese Planung wurde bei den Halleschen Werfertagen am Samstag ordentlich durcheinander gewirbelt: Mit einem Wurf auf 63,04 Meter überbot sie die Olympia-Norm und kann nun auch mit einem Olympia-Ticket liebäugeln. Glück brachte der 18-Jährigen in Halle ein ganz besonderes Wurfgerät.
Die schwarze Diskusscheibe, die Anna Rüh mit zu den Werfertagen gebracht hatte, nutzte einst die dreimalige Weltmeisterin Franka Dietzsch, die zu ihrer aktiven Zeit ebenfalls für den SC Neubrandenburg startete. Bei der WM 2007 in Osaka (Japan) schleuderte sie ihn auf die Siegesweite von 66,61 Meter.An ihren Wurf vom Vormittag konnte Anna Rüh sich schon am Nachmittag nicht mehr so recht erinnern. „Ich war wahrscheinlich so erleichtert, dass ich es geschafft habe, und dann fiel eine Last von mir.“ Auf die Frage, ob sie danach sofort an London gedacht habe, lautete die spontane und ehrliche Antwort: „Ja, denn ich habe einen Meter über der Norm geworfen!“
Ticket nach London umkämpft
Anna Rüh räumte allerdings ein, dass die Reise nach London noch lange nicht gebucht sei. „Ich habe zwar gute Chancen, aber es gibt auch noch andere Werferinnen, die die Norm packen könnten.“
Dazu zählen sicherlich Heike Koderisch (SC Magdeburg) oder die ebenfalls noch der U20-Jugend angehörende Shanice Craft (MTG Mannheim).
Auch Bundestrainer Werner Goldmann bestätigte: „Natürlich haben im Moment Nadine Müller, Julia Fischer und Anna Rüh die besten Karten. Aber ich denke, dass auch andere Athletinnen bei guten Bedingungen noch in den Normbereich kommen können.“
Respekt vor Frauen-Konkurrenz
Nach dem U20-Wettbewerb am Vormittag maß sich Anna Rüh am Nachmittag mit den Frauen und zeigte einigen Respekt: „ Das ist natürlich ein Riesenniveau. Da versucht man sich anzupassen an dieses Niveau. Aber ich war auch viel nervöser“.
Aus nächster Nähe konnte sie beobachten, wie Nadine Müller (Hallesche LA-Freunde) mit 66,68 Metern alle Konkurrentinnen hinter sich ließ und auch Julia Fischer (SCC Berlin) mit 63,37 Metern erneut die Olympianorm übertraf. Sie selbst konnte ihre Leistung vom Vormittag bestätigen und wurde mit 62,32 Metern Sechste.
Trainingsleistung bestätigt
Für die blonde Athletin kam die Leistungssteigerung nicht überraschend. „Ich habe im Training gesehen, dass ich über 60 Meter werfen kann. Und im Wettkampf bin ich noch stärker als im Training, denn da kommt noch das Adrenalin hinzu.“
Trainiert hatte der Schützling von Dieter Kollark in der letzten Zeit nicht nur im heimischen Neubrandenburg, sondern auch viel in Kienbaum bei Berlin. Zwar habe sie sich von den Kraftwerten her nicht viel gesteigert, nur etwas an Körpergewicht zugelegt habe sie, die bei 1,84 Meter Größe jetzt rund 80 Kilogramm wiegt. „Aber wir haben viel Technik trainiert, und das hat sich ausgezahlt.“
Erstmals war sie zudem für eine Woche mit den anderen Spitzenwerfern im Trainingslager in Albufeira (Portugal). „Dort hat sie sehr gut trainiert, sodass die zweimalige Normerfüllung für mich keine Überraschung darstellt“, berichtete Bundestrainer Werner Goldmann.
Kaufmännische Ausbildung
Das Leben der 18-Jährigen besteht allerdings nicht nur aus Sport. In Neubrandenburg hat Anna Rüh im Sportgymnasium den Realabschluss gemacht und dann ein Jahr lang ein Praktikum in der Unternehmensberatung Hannig absolviert.
Da ihr das gefiel, begann sie dort anschließend eine Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation. Und sie hat das Glück, dass ihr Chef sportbegeistert ist und ihr für Training und Wettkämpfe die nötigen Freiräume lässt.
Im vergangenen Jahr holte sie sich in Tallinn (Estland) bei der U20-EM mit dem Diskus Silber und bewies mit Bronze im Kugelstoßen ihre Vielseitigkeit. Doch gegenwärtig konzentriert sie sich mehr aufs Diskuswerfen. „Wir haben das Kugelstoßen etwas zurückgestellt, aber ich fange damit bald wieder an“. Vielleicht wird sie bei der U20-WM in Barcelona sogar wieder mit beiden Geräten antreten.
Schwarzer Diskus als Glücksbringer
Dass Anna Rüh nicht unbedingt mit der Olympiachance gerechnet hatte, zeigt sich auch darin, dass über die nächsten Wettkämpfe noch keine Klarheit herrscht. „ Ich werde in Leipzig starten und dann natürlich bei den Deutschen Meisterschaften. Mehr weiß ich noch nicht“.
Fest steht, dass sie auch bei den nächsten Wettkämpfen wieder auf die Disken von Franka Dietzsch zurückgreifen wird. Im Moment bringt ihr die schwarze Scheibe von Osaka Glück: „Wenn man weiß, dass der Diskus schon mal so weit geflogen ist, dann vertraut man ihm.“ Und Anna Rüh hätte nichts dagegen, wenn der Diskus auch bei den Olympischen Spielen in London weit fliegen würde.