Anna Rüh schmerzfrei und optimistisch
Ein WM-Verzicht, zwei Wochen vor der Meisterschaft? Dafür muss es ernste Gründe geben. Die hatte Anna Rüh (SC Neubrandenburg), als sie sich Ende Juli für die Knie-OP und gegen den Start in Moskau (Russland) entschied. Wenige Wochen später stand sie erst beim DKB-Cup in Elstal und dann beim Diamond League-Finale in Brüssel (Belgien) wieder im Ring. Die Schmerzen sind weg – und die Motivation für das kommende Jahr mit der EM in Zürich (Schweiz) ist riesig.
Anna Rüh hat eine steile Karriere hingelegt. Jedes Jahr eine Steigerung ihrer Bestleistung. Jedes Jahr ein neues Ausrufungszeichen. Die Krönung im vergangenen Jahr: Gold bei der U20-WM und Platz zehn bei den Olympischen Spielen. Wäre es nach der 20-Jährigen gegangen, hätte das nahtlos so weitergehen können. Aber so ganz wollte der Körper da nicht mitspielen.Schon im Oktober des vergangenen Jahres musste sich die Neubrandenburgerin am rechten Knie operieren lassen. Der Meniskus war eingerissen. Die OP verlief gut, die Hoffnung auf eine erfolgreiche und vor allem schmerzfreie Saison war groß.
Mit Schmerzen zu U23-EM-Gold
Der Saisoneinstieg verlief vielversprechend. Bis auf 64,33 Meter – Bestleistung um fast einen Meter gesteigert – flog der Diskus im Mai beim Werfercup in Wiesbaden. Aber dann kamen sie wieder, die Schmerzen. Diesmal im linken Knie. „Ich habe gespürt, dass etwas nicht stimmte. Dann knackte es. Mal tat es weh, dann wieder nicht“, erinnert sich Anna Rüh. Untersuchungen ergaben, dass nach dem operierten rechten nun auch der linke Meniskus angerissen war.
Kritisch wurde es, als die Werferin merkte, dass die Aggressivität verloren ging. Bis zur U23-EM in Tampere (Finnland) quälte sich die 20-Jährige noch, holte trotz Schmerzen mit 61,45 Metern die Goldmedaille. „Dabei konnte ich vorher nicht mal ordentlich gehen!“ sagt sie.
Anschließend stand ein Trainingslager in Kienbaum auf dem Programm – die Vorbereitung auf die WM in Moskau, zu der Anna Rüh drei Wochen später aufbrechen sollte. Mit Cortison versuchte sie gemeinsam mit ihrem medizinischen Team die Probleme in den Griff zu bekommen, ohne Erfolg.
WM vor dem Fernseher
„Mein Trainer hat gesagt: ‚Entweder du schaffst es aggressiv zu werfen und 100 Prozent zu geben, oder wir sagen die WM ab‘“, blickt Anna Rüh zurück. Aber 100 Prozent waren einfach nicht drin. Die Angst begleitete sie bei jedem Wurf. An einem Dienstag fiel die Entscheidung, die Saison abzubrechen, am Freitag lag Rüh bereits auf dem OP-Tisch.
Die Weltmeisterschaften, bei denen sie mit ihren Vorleistungen Chancen auf eine Endkampf-Teilnahme gehabt hätte, musste die junge Athletin vor dem Fernseher mitverfolgen. Doch sie wusste, dass der Startverzicht die einzig mögliche Entscheidung war. So konnte sie den Diskus-Wettbewerb ohne große Wehmut und mit sportlichem Interesse anschauen: „Wo ich mich einsortiert hätte, habe ich natürlich schon überlegt“, sagt sie.
Schnelle Genesung
Zehn Tage Ruhe waren nach der Operation angesagt, dann begann das allgemeine Training mit Kraft- und Stabilisationsübungen. Das ging erstaunlich gut. „Und irgendwann habe ich einfach mal wieder probiert zu werfen“, sagt Anna Rüh. Erst in der Halle, dann draußen, erst mit leichteren Wurfgeräten, dann mit dem Wettkampf-Diskus. Das Ergebnis: es klappt, ganz ohne Schmerzen.
Bereits fünf Wochen nach der Operation stand die Deutsche U23-Meisterin beim DKB-Finale in Elstal wieder für einen Wettkampf im Ring. Am vergangenen Freitag folgte beim Diamond League-Finale in Brüssel (Belgien) der nächste Auftritt auf großer Bühne. Die wichtigste Erkenntnis: „Mir tut nichts weh! Ich habe keine Hemmung, das Stemmbein zu setzen.“
EM-Podium im Blick
Die Frage, warum die Entscheidung zur Knie-OP nicht schon früher gefallen ist, muss Anna Rüh seitdem oft beantworten. „Hätten wir gewusst, dass ich so schnell wieder werfen kann, hätten wir die OP früher gemacht“, sagt sie. Die Probleme begannen schließlich bereits im Mai. „Aber ich bin ja noch jung und habe hoffentlich noch viele Weltmeisterschaften vor mir!“
Eine WM steht im kommenden Jahr nicht auf dem Programm, dafür aber die Europameisterschaften in Zürich (Schweiz). Und auf die ist jetzt der Blick der 20-Jährigen gerichtet. „Letztes Jahr in Helsinki bin ich Vierte geworden“, sagt Anna Rüh und fügt selbstbewusst hinzu: „Nächste Jahr habe ich da gute Chancen. Eine Medaille ist drin.“ Knieprobleme sollten sie daran jedenfalls nicht mehr hindern.