Anna Willard will die Beste sein
Gibt Anna Willard* Gas, dann ist sie kaum mehr zu bremsen. Sie kommt aus dem Nichts und lässt ihre Gegnerinnen einfach nur stehen. Mittig blondiert, gerne auch mit ein wenig Pink in ihrem eigentlich brünetten Haar, sucht das Kraftpaket aus den USA - optisch Gefahr und Selbstvertrauen symbolisierend - in der Schlussphase eines Rennens ihre Chance. Sie setzt alles auf diese eine Karte und das inzwischen immer öfter mit beeindruckendem Erfolg.
Wenn überhaupt, dann kannte man sie bis vor kurzem vor allem als Hindernisläuferin. Doch im letzten Jahr hat Anna Willard alles auf den Kopf gestellt.Zwar reichte es bei der WM in Berlin nur zu einem sechsten Platz über 1.500 Meter, doch die lediglich 1,63 Meter große Läuferin sorgte den Sommer über mit ihrem kraftvollen Schritt und einem unwiderstehlichen Finish für soviel Furore, dass sie ihre Gegnerinnen auf den Mittelstrecken künftig auf der Rechnung haben werden.
Einen Namen machte sich Anna Willard zunächst im Satz über die Hindernisse. Sie lieferte sich einen Schlagabtausch mit Jenny Barringer, der beide US-Amerikanerinnen zu internationaler Klasse führte. Wenn aber dann eine Athletin, die bislang nur eine unter vielen war, plötzlich über 800 Meter bei drei großen Meetings vorne ist, auch beim Weltfinale gewinnt und damit ungeschlagen aus der Saison geht, dann horcht man auf und schaut ein wenig genauer hin.
Auf der Farm angepackt
Aufgewachsen ist Anna Willard in Greenwood im US-Bundesstaat Maine. Dort hat sie ihrem Vater auf der Farm geholfen, saß auf Traktoren und hantierte mit anderen Maschinen. „Wenn ich das erzähle, dann glaubt mir das niemand“, sagt sie. Es unterstreicht, wie sehr sie sich in ihrer Persönlichkeit verändert hat und was sie dorthin gebracht hat, wo sie jetzt ist.
Das College, sie landete zunächst an der Brown University und später an der University of Michigan, und auch die dortigen Aussichten im Sport waren Gelegenheit genug, sich aus Maine zu verabschieden. Dem Feldhockey hatte sie dann eine Absage erteilt, weil sie kein Röckchen tragen wollte. Also verschlug es sie mit ihrer kompakten Figur auf die Laufbahn, das war die andere Option.
Trainer erkannte Potenzial
2007 gelang ihr schließlich der Sprung ins WM-Team, in Osaka (Japan) schied sie aber dann in der Hindernis-Qualifikation aus. Im Jahr darauf lief es trotz einer Verletzung im Winter davor besser. Bei den Olympia-Trials in Eugene eilte Anna Willard zum Titel und brach in 9:27,59 Minuten den US-Rekord. Zweieinhalb Wochen später steigerte sie sich auf 9:22,76 Minuten. In Peking (China) wurde sie Olympia-Zehnte, nachdem sie geschwächt die zwei Tage zuvor Elektrolytgetränke im Übermaß gebraucht hatte. Spekuliert hatte sie aber auch schon da auf einen Platz unter den ersten Fünf.
Auf die flachen Mittelstrecken brachte sie dann aber Terrence Mahon, der sie als neuer Trainer unter seine Fittiche nahm. Er war es, der die Fähigkeiten von Anna Willard erkannte, Wettkämpfhärte und Schnelligkeit zu verknüpfen. So kam es, dass die Athletin mit ihren signifikanten Steigerungen auf 1:58,80 bzw. 3:59,38 Minuten über 800 und 1.500 Meter auf Platz zehn bzw. vier der Weltbestenliste des letzten Jahres liegt.
Medaillen im Visier
Auf sich aufmerksam machte sie im letzten Sommer reichlich, aber noch lange nicht genug. Bei den Meetings in New York (USA), Paris (Frankreich), Brüssel (Belgien) und London (Großbritannien) räumte sie die Siegprämie ab, zum Teil zur Überraschung ihrer verdutzten Mitstreiterinnen.
Anna Willard ist eine Wettkämpferin, dessen ist sie sich bewusst und diese Stärke kann sie gnadenlos ausspielen. Wie viel Talent ihr wirklich in die Wiege gelegt worden sei, wisse sie hingegen nicht, meint sie. Als Einzelsportlerin im Mittelpunkt zu stehen, etwas gewinnen zu können, gefällt ihr. „Vielleicht mag ich die Aufmerksamkeit.“
Davon will sie jetzt noch mehr. Die nächsten Ziele sind klar. So wie auf der Bahn kommt die 25-Jährige, die jetzt in Kalifornien lebt, auch in ihrer verbalen Ansage auf Touren: „Ich möchte Medaillen gewinnen. Darauf liegt in den nächsten Jahren das Augenmerk. Ich will die Beste sein.“
YouTube: Anna Willard gewinnt in New York
YouTube: Anna Willard triumphiert in Paris
Hinweis:
* Anna Willard hat Ende letzten Jahres den Hindernisläufer Jonathan Pierce geheiratet und trägt nach einem Video-Interview von competitor.com nun den Namen Anna Pierce.