Aries Merritt - Reifeprüfung mit Hindernissen
Als am 1. Januar 2012 zum Jahreswechsel die Sektkorken knallten, hatte Hürdensprinter Aries Merritt (USA) genau eine internationale Medaille in seiner Medaillensammlung: Gold von der U20-WM 2004 in Grosseto (Italien). Wenige Monate später ist der 27-Jährige der unumstrittene König im Hürdenwald. Den späten Durchbruch hat sich Aries Merritt gemeinsam mit seinem deutschen Coach Andreas Behm hart erarbeitet.
Zugetraut hatten es ihm viele. Was dann aber beim Diamond League-Finale in Brüssel (Belgien) passierte, übertraf die kühnsten Erwartungen. Um ganze sieben Hundertstel auf 12,80 Sekunden steigerte Aries Merritt die vier Jahre alte Bestmarke des Kubaners Dayron Robles – auf den Sprintdistanzen ein Quantensprung. Die letzte ebenso deutliche Steigerung des Hürden-Weltrekords schaffte 1981 Renaldo Nehemiah (USA), der seine eigene Marke von 13,00 auf 12,93 Sekunden verbesserte.Der Weltrekord von Aries Merritt war jedoch nur das i-Tüpfelchen auf einer überragenden Saison. Schließlich rannte der Überflieger 2012 von einem Triumph zum nächsten. Die stolze Bilanz: Hallen-Bestzeit über 60 Meter Hürden in 7,43 Sekunden und Hallen-WM Gold in 7,44 Sekunden. Sieg bei den hart umkämpften US-Trials in Bestzeit von 12,93 Sekunden. Gold bei den Olympischen Spielen in 12,92 Sekunden. In sieben Rennen blieb er 2012 unter der 13-Sekunden-Marke, bis er sich in Brüssel endgültig die Krone aufsetzte.
Starke College-Karriere
Warum erst jetzt? mag man sich da fragen. Mit 27 Jahren ist Aries Merritt schließlich nicht neu in der Szene. Als U20-Weltmeister gehörte er schon 2004 zu den hoffnungsvollen US-Talenten. In den darauf folgenden Jahren steigerte er sich kontinuierlich von 13,47 Sekunden (2004) über 13,38 und 13,12 auf 13,09 Sekunden (2007).
In seinem letzten College-Jahr 2006 als Student an der Universität von Tennessee gewann Aries Merritt jedes seiner Rennen über 55, 60 und 110 Meter Hürden. Er feierte 18 Siege in Folge und wurde mit neuem Meisterschaftsrekord von 13,21 Sekunden US-College-Meister.
Verletzungsgeplagtes Jahr 2010
Doch dann ging es nicht mehr bergauf, sondern langsam wieder bergab. 2009 konnte sich der US-Athlet zwar für die WM in Berlin qualifizieren, schied aber in 13,70 Sekunden bereits im Vorlauf aus. Der Tiefpunkt folgte 2010. Nur dreimal stand Aries Merritt da in den Starblöcken. Die ernüchternden Ergebnisse: 14,47 Sekunden, 13,95 und 13,64 Sekunden.
Die Gründe waren ein Bänderriss gefolgt von einer Stressfraktur im linken Knöchel. Aries Merritt konnte nach der Hürdenüberquerung weder auf seinem Schwungbein landen noch sich wieder abdrücken und musste die Saison abbrechen. Es folgten unzählige Stunden in der Reha.
WM-Fünfter in Daegu
„Im Hinterkopf war da immer dieser Gedanke: Schaffe ich es jemals, wieder zurück zu kommen?“ sagte Aries Merritt im September dieses Jahres rückblickend in einem Interview. Und gab dann selbst mit einem Lächeln auf den Lippen die Antwort auf diese Frage: „Ich hatte Glück, diese schwere Zeit zu überstehen, und jetzt renne ich wieder!“
2011 deutete Aries Merritt bereits in der Halle mit einer Zeit von 7,46 Sekunden an, dass wieder mit ihm zu rechnen ist. Im Freien löste er in 13,12 Sekunden als Zweiter der US-Trials das Ticket zur WM in Daegu (Südkorea). Dort stand er sieben Jahre nach seinem U20-WM-Titel zum zweiten Mal in einem internationalen Finale und wurde in 13,67 Sekunden Fünfter.
Unterstützung von deutschem Trainer
Die Resultate im Olympiajahr 2012 haben ihren Ursprung in der harten Arbeit im Anschluss an die schwere Verletzung. „Alle sehen die Erfolge in diesem Jahr“, sagt Aries Merrits Trainer Andreas Behm. „Aber eigentlich sind sie das Ergebnis eines Zwei-Jahres-Prozesses.“ Der 33 Jahre alte Frankfurter, der 1999 als Sportmanagement-Student in die USA ging und mittlerweile in Austin, Texas als Trainer arbeitet, betreut Aries Merritt seit Ende 2009.
„Wir haben begonnen, einige Dinge zu verändern, um ihn an den Wechsel von acht auf sieben Schritte zur ersten Hürden heranzuführen“, erklärt Andreas Behm. Diesen Wechsel hat sein Schützling mittlerweile vollzogen. „Wir wussten immer, dass er sehr, sehr talentiert ist. Wir hatten immer eine Vision von dem, was er erreichen kann. Es ist schön zu sehen, wie so eine Vision Realität wird.“
Student des Hürdensprints
Aries Merritt selbst erklärt, er habe seine Ernährung umgestellt, sei schlanker und fitter geworden und erhole er sich nach harten Trainingseinheiten schneller. Vor allem aber sei er zum ersten Mal ohne Verletzungen geblieben – ein weiterer, wohl entscheidender Schlüssel zum Erfolg des Weltrekordlers, für den die Karriere als Hürdensprinter einst begann, weil sein Coach zufällig sah, wie er über einen Zaun sprang.
Dabei ist Aries Merritt nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Theorie des Hürdensprints ein echter Experte: „Er schaut viele Videos und weiß viel über andere Hürdensprinter und ihre Technik. Oft kommt er nach dem Training zu mir und sagt mir, was er falsch gemacht hat, bevor ich es ihm sagen kann“, berichtet Andreas Behm. „Er ist ein sehr intelligenter Athlet. Er ist älter und reifer geworden. Gemeinsam mit seinem Talent ist das die perfekte Kombination.“
Perfektes Rennen?
Die Arbeit von zwei Jahren fand ihre Höhepunkte 2012 in den Rennen von London und Brüssel. Das Olympia-Gold bleibt, der Rekord stellt die Hürdensprinter der Zukunft vor eine große Herausforderung. „Es war das beste Rennen meines Lebens“ sagt jedenfalls Aries Merritt über seinen Rekordlauf.
Im Alter von 27 Jahren hat es der US-Amerikaner geschafft, sein Talent, körperliche Fitness und geistige Reife optimal miteinander zu verbinden. Ja, es sei das perfekte Rennen gewesen, erklärte er in der Pressekonferenz im Anschluss an seinen Weltrekord. „Aber ich glaube, da ist noch immer Luft nach oben. Ich werde alles neu überdenken und versuchen, noch besser zu werden.“