| Interview der Woche

Arne Gabius: "Ich bin volles Risiko gegangen“

Aus der angepeilten Verbesserung des eigenen deutschen Rekordes wurde am Sonntag in Frankfurt zwar nichts, dafür konnte Arne Gabius (TherapieReha Bottwartal) seinen dritten Marathon unter 2:10 Stunden beenden – und das mit Maßarbeit: 2:09:59 Stunden wurden gestoppt! Im Interview und der Post-Race-Pressekonferenz spricht der frischgebackene Vater und Deutsche Meister über seine „All-in“-Strategie auf den letzten Kilometern und erklärt, warum er trotz EM-Norm bei den Europameisterschaften in Berlin lieber auf der Bahn startet.
Pamela Ruprecht

Arne Gabius, Sie sind vor drei Tagen Vater geworden, dann der Marathon in Frankfurt. Ereignisreiche Tage für Sie. Sind Sie mit Rückenwind ins Rennen gegangen?

Arne Gabius:

Ich bin erst am Samstag angereist, da fehlen eigentlich zwei Tage, um die Stimmung hier aufzunehmen und den Spannungsbogen aufzubauen. Auf der anderen Seite war ich sehr beflügelt, es hat alles gepasst. Der errechnete Geburtstermin war am Tag des Rennens. In unserem Haushalt lief also der Countdown für zwei Ereignisse. Unser Sohn hat sich beeilt, genauso, wie ich mich beeilt habe, unter 2:10 Stunden zu laufen. Eine Sekunde darunter, da kann man nur zufrieden sein. Alles perfekt, sich über das Wetter zu beschweren, ist überflüssig.

Wie ist das Rennen aus Ihrer Sicht gelaufen?

Arne Gabius:

Die ersten 10 Kilometer waren okay. Wenn man Rückenwind hat, läuft man schon mal 2:55 Minuten pro Kilometer. Leider mussten zwei der drei Tempomacher bereits nach neun Kilometern das Rennen vorzeitig beenden. Sie sollten uns eigentlich bis Kilometer 30 bringen. Der verbliebene Tempomacher, Isaac Langat, war bis zum Halbmarathon dabei, zwischen Kilometer 10 und 20 sind wir mit Rückenwind richtig gerollt. Bis dahin waren wir nur 30 Sekunden langsamer als vor zwei Jahren.

Schwierig wurde es dann im dritten Viertel…

Arne Gabius:

Zwischen Kilometer 20 und 29 hätten wir Tempomacher gebraucht, das war der wichtigste Part. Da hatte ich Pech, aber man muss sich mit den Begebenheiten abfinden. Der Brite Dewi Griffiths vor mir war richtig stark. Das war ein tolles Marathon-Debüt von ihm.

Wenn Sie sich zurückerinnern, was war härter, die letzten Kilometer bei ihrem Rekordlauf (2:08:33 h) 2015 oder beim Marathon dieses Jahr?

Arne Gabius:

2015 war der letzte Abschnitt härter. Das war aber auch eine andere Situation. Es war durch den Wind heute schwerer. Der letzte Kilometer war „friss oder stirb“. Ich bin volles Risiko gegangen, da meine Hamstrings [Anm. d. Red.: hintere Oberschenkelmuskulatur] bereits bei Kilometer 30 sehr fest wurden und ich befürchten musste, dass sie nicht halten würden. Entweder komme ich mit einer Zeit knapp unter 2:10 Stunden in der Festhalle an, oder ich humpel mit 2:12 Stunden über die Ziellinie. Ab Kilometer 30 war es also nur noch mein Ziel, unter 2:10 zu bleiben.

Was geht einem über die zwei Stunden alles durch den Kopf?

Arne Gabius:

Ich denke in Fünf-Kilometer-Schritten, da befinden sich nämlich die Getränkestationen. Man versucht in der Gruppe zu bleiben und sich auf das Rennen zu konzentrieren. Zwei Stunden sind gar nicht so lang, im Training laufe ich häufig länger.

Wie lief Ihre Vorbereitung nach all den Rückschlägen?

Arne Gabius:

Im August war ich in St Moritz im Trainingslager, wo meine alte Schambein-Entzündung erneut Probleme bereitet hat. Es war der gleiche Schmerz wie 2016, da war ich am Boden zerstört. Das war wirklich ein Tiefpunkt, da dachte ich, es ist vorbei, das Jahr ist gelaufen. Ich habe das aber innerhalb von einer Woche in den Griff bekommen, meine Ernährung komplett umgestellt und andere Übungen gemacht. Nach der Deutschen Meisterschaft über 10 Kilometer in Bad Liebenzell, bei der ich bereits nach zwei Kilometern aussteigen musste, habe ich wenige Tage später nochmals einige Veränderungen in der Ernährung vorgenommen. Seitdem lief es richtig gut. Schon während des Halbmarathons in Kopenhagen sind mir drei große Steine vom Herzen gefallen.

Sie haben die EM-Norm für Berlin geschafft. Spielt der Marathon bei den Europameisterschaften gar keine Rolle für Sie?

Arne Gabius:

In Berlin kann man jedes Jahr laufen, da findet einer der größten Marathons der Welt statt. Es ist immer ein Festival für uns Läufer. Ich finde 25 Runden im vollen Olympiastadion vor 40.000 oder mehr Menschen ist auch eine tolle Party. Ich habe noch etwas nachzuholen nach meiner Verletzung, ich muss meine Schnelligkeit trainieren, ich habe Rückstand auf der Unterdistanz. Dafür muss ich Halbmarathon-Training machen und da passen die 10.000 Meter wunderbar rein, also warum nicht die 10.000 Meter? Und dann einen Herbstmarathon. Wenn ich bei der EM Marathon laufe, kann ich keinen Herbstmarathon laufen.

Warum bevorzugen Sie die großen City-Marathons?

Arne Gabius:

In Frankfurt war es wieder eine tolle Party. Ich habe die letzten Jahre so viel positives Feedback bekommen, seitdem ich auf der Straße bin. Das ist auch Motivation für andere. Es ist mein dritter Marathon unter 2:10 Stunden gewesen, das hat außer mir nur noch Jörg Peter geschafft. Es bringt für den deutschen Laufsport mehr, wenn ich einen großen Herbstmarathon laufe und mich bei der EM in Berlin auf der Bahn präsentiere. Ich bin Langstreckenläufer und nicht nur Marathonläufer, also kann ich auch 10.000 Meter laufen. Ich sehe da keinen Widerspruch. Ich teile die Leichtathletik nicht in Stadion-Disziplinen und stadionferne Disziplinen. Die Leichtathletik kann nur gemeinsam überleben. Ich habe es immer genossen, bei Nationalmannschafts-Einsätzen mit Athleten anderer Disziplinen am Tisch zu sitzen, mit Kugelstoßern, Diskuswerfern oder Sprintern. Die Vielseitigkeit macht die Leichtathletik aus.

Wie erholt sich die Familie Gabius in den nächsten Tagen?

Arne Gabius:

Ich freue mich aufs Windelwechseln. Meine Frau soll liegen, das Wochenbett hat sie sich mehr als verdient. Die Geburt unseres Sohnes hat drei Tage gedauert, das, was ich geleistet habe, nur zwei Stunden. Wir wollen jetzt gemeinsam die Zeit genießen. Das Laufen steht in den nächsten Wochen hinten an, vielleicht kommt am Jahresende noch ein Silvesterlauf.

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