| Interview

Arthur Abele: „8.605 Punkte? Irre, einfach nur irre!“

Nach neun Jahren hat Arthur Abele (SSV Ulm 1846) wieder das Mehrkampf-Meeting in Ratingen gewonnen. Zwischen den Triumphen 2007 und am Wochenende vollendete der 29-Jährige ganze acht Zehnkämpfe. Oft wurde er von Verletzungen zurückgeworfen: Probleme mit Hüfte, Knie oder Fuß, Nabel- und Leistenbruch, Bänderriss, Ermüdungsbruch, Schambeinentzündung, Achillessehnenriss füllen seine Krankenakte. Doch der Kämpfer ließ sich nicht unterkriegen. Am zweiten Tag des Ratinger Mehrkampfs sammelte er auf dem Weg zur Weltjahresbestleistung von 8.605 Punkten stolze 4.339 Zähler - und damit nur drei weniger als Ashton Eaton (USA) bei seinem Weltrekord 2015 in Peking (China; 9.045 Punkte). Im Interview spricht Arthur Abele über sein sagenhaftes Comeback, die außergewöhnlichen Methoden seines Trainers und Olympia in Rio.
Martin Neumann

Arthur Abele, herzlichen Glückwunsch zum Sieg mit Weltjahresbestleistung beim 20. Ratinger Mehrkampf-Meeting!

Arthur Abele:
Dankeschön.

Sind Sie mit dem Ziel in den Wettkampf gegangen, 8.605 Punkte zu machen?

Arthur Abele:
Absolut nicht. Das Ziel waren 8.100 Punkte und damit die Norm für die Olympischen Spiele in Rio. Wir wussten halt nicht, was die anderen Jungs noch machen. Jan Felix Knobel war ein Kandidat, auch Pascal Behrenbruch. Er hat sich aufgrund seiner bevorstehenden Vaterschaft erst kurzfristig gegen einen Start entschieden. Ich war vor elf Wochen in derselben Situation wie er. Deshalb bin ich in den vergangenen Wochen auch ab und an aufs Sofa ausgewichen, um genügend Schlaf zu bekommen. Wir wollten alle ersten Versuche gültig machen, da ich mir ja in Götzis vor vier Wochen drei ungültige Versuche im Kugelstoß geleistet habe. Das ist zum Glück trotz des schlechten Wetters aufgegangen.

Hat Sie das April-Wetter beeinflusst? Speziell am Samstag war in Ratingen ja ab und an Land unter?

Arthur Abele:
Nein, Kai Kazmirek hat mir gesagt: „Das Wetter ist nur in den Köpfen der Gegner.“ Das habe ich mir zu eigen gemacht. Nach meinen Trainingsleistungen wusste ich natürlich, dass 8.100 Punkte auch bei schlechter Witterung kein Problem sein sollten. Dass es nun 8.605 Punkte und Weltjahresbestleistung geworden sind, ist irre, einfach nur irre.

DLV-Cheftrainer Idriss Gonschinska hat von einem „sportlichen Wunder“ gesprochen, das die Zuschauer an den beiden Ratingen-Tagen erlebt haben. Schließlich kehren Sie gerade erst von einer schweren Verletzung zurück. Vor 433 Tagen haben Sie sich die Achillessehne gerissen. Haben Sie sich ein solches Mega-Comeback erträumt?

Arthur Abele:
Ich habe Idriss Gonschinska einen Tag nach meiner Operation Folgendes geschrieben: „Ich komme stärker zurück, als ich gegangen bin. Darauf kannst du wetten.“ Das ist nun eingetroffen. Aber klar haben wir richtig rangeklotzt. Mein Trainer Christopher Hallmann hat sich verrückte Sachen ausgedacht und mich schon wieder früh an die Geräte herangeführt. So haben wir Kugelstöße und Diskuswürfe im Sitzen gemacht, dazu kamen Einstich-Bewegungen für den Stabhochsprung. Oder einbeinige Läufe im Wasser. Wir haben alles ausprobiert, was möglich ist. Auch das Reha-Programm bei Dr. Siggi Wentz (Anm. d. Red.: Olympia-Dritter im Zehnkampf 1984, Bestleistung: 8.762 Punkte) hat den Heilungsprozess extrem beschleunigt. Ich war fünf Wochen bei ihm in Bad Peterstal-Griesbach im Schwarzwald, seine Behandlung, seine Methoden haben mich wieder nach vorn gebracht und im Heilungsprozess geschätzte vier Monate Zeit gespart. An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal entschuldigen, dass ich seine Isokinetik-Maschinen fürs Krafttraining dreimal zerlegt habe ...

Und so konnten Sie schon wieder im Dezember – ganze acht Monate nach dem Achillessehnenriss – wieder Wettkämpfe bestreiten.

Arthur Abele:
Genau. Da habe ich ja schon eine neue Kugelstoß-Bestleistung geschafft, dazu mit 4,70 Metern den Stabhochsprung angetestet. Ende Februar lief auch der Hürdensprint-Test bei den Deutschen Hallenmeisterschaften sehr gut. Das alles hat gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Heute haben wir für die harte Arbeit die Lorbeeren geerntet.

Sie sprechen von „wir“ und meinen damit Ihren Trainer Christopher Hallmann, der selbst 8.000-Punkte-Zehnkämpfer war. Für ihn war das Kugel-Ergebnis mit 15,79 Metern der „Dosenöffner“ auf dem Weg zur Weltjahresbestleistung. Wie haben Sie Ihren fulminanten Zehnkampf erlebt?

Arthur Abele:
Die 100 Meter waren noch nicht so pralle. 10,95 Sekunden ist nicht das, was man erwartet, trotz Regen und Gegenwind. Für mich war der Weitsprung schon eine Art „Dosenöffner“. 7,48 Meter im ersten Versuch waren schon richtig stark. Wie gesagt: Es ging um 8.100 Punkte, um mehr nicht. Nach Götzis war ich natürlich vor dem Kugelstoß richtig nervös. Da habe ich in Ratingen vor dem ersten Versuch sogar vergessen, die Handgelenks-Manschette anzulegen. So aufgeregt war ich, gemerkt habe ich es aber erst im Ring. Darum habe ich auch nur aus dem Stütz gestoßen. Im zweiten Versuch habe ich dann voll draufgehämmert. 15,79 Meter haben gepasst, zumal ich den Stoß gar nicht erwischt habe. Beim Hochsprung wurde es im Regen noch einmal kritisch. Ich habe viele Versuche gebraucht, mich aber mit 1,98 Metern noch gut aus der Affäre gezogen. Die 400 Meter waren auch okay. So lag ich nach dem ersten Tag keine 50 Punkte hinter meiner Bestleistung zurück. Da wusste ich: Die 8.100 Punkte werden kein Problem sein, zumal der zweite Tag mein stärkerer ist. Dass es hinten raus so gut wurde, war allerdings gar nicht auf dem Schirm.

Sie haben in Ratingen in allen drei Wurfdisziplinen Bestleistungen aufgestellt. Hatte sich das im Training angedeutet?

Arthur Abele:
Ja, auf jeden Fall. Kraftwerte und Technik passen momentan einfach super zusammen. Und es geht sogar noch einiges mehr. Vielleicht nicht im Speerwurf, den Versuch auf 71,89 Meter habe ich optimal getroffen. Aber mit der Kugel kann es schon noch einen halben Meter weiter gehen. Auch mit dem Diskus habe ich im Training schon weiter geworfen als 46,20 Meter. Der Wurf ist einfach stabil. Meine Punkte-Bank, auf die ich bauen kann. Es wäre fahrlässig, wenn ich meine Kraft nicht dementsprechend einsetzen würde.

Das nächste Mal können Sie das in Rio machen. Mit 8.605 Punkten sind Sie plötzlich Medaillenkandidat bei den Olympischen Spielen. Ist das schon im Kopf angekommen?

Arthur Abele:
So darf ich gar nicht denken. Olympia wird noch einmal ein ganz anderer Wettkampf. Ich war ja vor acht Jahren schon einmal in Peking dabei und hab’s erlebt. Klar versuche ich, die gute Form zu konservieren. Ich glaube auch fest, dass es mir gelingen wird. In Rio muss ich genauso von Disziplin zu Disziplin arbeiten wie in Ratingen. Wenn mir das bei besseren Bedingungen gelingt, kann ich auch noch ein paar Punkte draufpacken. Und mit 8.600 Punkten kann man eine Medaille abgreifen. Aber das ist mehr ein Traum, ich mache mir da keinen Druck.

Nach neun Jahren haben Sie wieder in Ratingen triumphiert. 2007 kamen Sie schon auf 8.269 Punkte. Wie viele Tage waren Sie seitdem verletzt?

Arthur Abele:
Das waren so einige. Nicht nur Tage, sondern sogar Jahre. Aber das interessiert im Moment nicht mehr. Die Verletzungen sind ad acta gelegt.

Welcher Sieg war schöner: 2007 oder 2016?

Arthur Abele:
Ganz klar 2016. Vor neun Jahren kam ich nicht aus so vielen Verletzungen zurück wie jetzt. Nun bin ich 29 Jahre alt und habe mich zurück an die Weltspitze gekämpft. Darum schätze ich den Sieg deutlich höher ein.

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