Auch die Leichtathleten trauern um Lisa Gelius
Eine schlichte Anzeige für Lisa Gelius (* 23. Juli 1909; + 14. Januar 2006), die am Fuß der Seite mit den Todesanzeigen in der "Süddeutschen Zeitung" zu lesen ist, weckt auch bei den Kennern der Sportgeschichte tiefe Trauer um eine der weltbesten Leichtathletinnen aus dem letzten Jahrzehnt vor dem Zweiten Weltkrieg.

Lisa Gelius war eine herausragende Athletin ihrer Zeit (Foto: BLSV)
Lisa Gelius hat alle anderen Siegerinnen von den Frauen-Weltspielen 1930 in Prag und 1934 in London überlebt. In einer großen Serie, die das Fachblatt "Leichtathletik" im Vorfeld der EM 2002 in München veröffentlichte, wurde die sehr vielseitige Münchnerin als die älteste noch lebende Goldmedaillengewinnerin von den ersten Frauen-Europameisterschaften 1938 in Wien bezeichnet. Elisabeth (genannt Lisa) Gelius starb auf den Tag genau ein halbes Jahr nach dem Tod ihrer großen Frankfurter Konkurrentin Tilly Fleischer (*2. Oktober 1911 in Frankfurt, + 14. Juli 2005 in Lahr). Der Speerwurfsieg der Frankfurterin (45,18 m) am ersten Tag der Olympischen Spiele 1936 wurde "eingerahmt" von drei stolzen Erfolgen der "Dauerbrennerin" aus Bayern.
Große Stunden der Frauen-Leichtathletik
Zwischen dem Sieg bei den Frauen-Weltspielen 1934 (42,23 m) und den Europameisterschaften 1938 (45,58 m) warf sie am 14. Juni 1936 mit 45,22 Metern deutschen Rekord. Danach galt sie als Olympiafavoritin, bevor eine Verletzung ihre Teilnahme in Berlin verhinderte.
Am 18. September 1938 war sie in Wien - gut sechs Wochen, nachdem sie bei den Deutschen Meisterschaften in der Breslauer Schlesier-Kampfbahn als dritte Athletin den bei den Frauen-Weltspielen 1934 von der Darmstädterin Ruth Engelhard aufgestellten Weltrekord über 80 Meter Hürden (11,6 sec) egalisiert hatte - an einer der größten Stunden der deutschen Frauen-Leichtathletik mitbeteiligt.
Frauen-Abteilung des TSV 1860 München
Olympiasiegerin und Weltrekordlerin Gisela Mauermayer (TV Neuhausen-Nymphenburg), Hildegard Sommer (VfB Breslau) und Paula Mollenhauer (Eimsbütteler Turnverband) im Diskuswurf und bald darauf Lisa Gelius (Turnerschaft Jahn München), Susanne Pastoors (Turngemeinde in Berlin) und die Olympia-Zweite Luise Krüger (Dresdner Sport-Club) sorgten für die ersten dreifachen Siege eines Landes in der Geschichte der Europameisterschaften.
Lisa Gelius kam aus einem begüterten Elternhaus. Als Beruf wird für sie "Haustochter" angegeben. Ihr Vater war Direktor des weltberühmten Deutschen Museums. In den ersten sechs Jahren ihrer Laufbahn gehörte sie der legendären Frauen-Abteilung des TSV 1860 München an. Der ersten ihrer Art in Deutschland.
Sie war spornstreichs gegründet worden, nachdem der Braunschweiger Johannes Runge, der damalige Vorsitzende des Leichtathletik-Verbandes Deutsche Sportbehörde für Athletik im Januar 1919 die Vereine aufgefordert hatte, Abteilungen für Frauen-Leichtathletik ins Leben zu rufen. Von 1932 startete Lisa Gelius für die Turnerschaft Jahn München.
Zwölfmalige Deutsche Meisterin
Für den MTV 1879 München, dessen Farben sie seit 1948 trug, stand die zwölfmalige Deutsche Meisterin der Jahre 1928 bis 1940 mit 41 Jahren 1950 in Stuttgart als Fünfte im Speerwurf zum letzten Male in einem Finale bei Deutschen Meisterschaften. Es waren jene Titelkämpfe, bei denen der erste Bundespräsident Professor Theodor Heuss als Ehrengast voller Begeisterung über die Leistungen der Sportler in seiner Schlussrede im Neckarstadion ausrief: "Wir sind wieder da!"
Das geschah fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, der verhinderte, dass noch mehr internationale Medaillen in der stolzen Erfolgsbilanz der am vergangenen Samstag im Alter von 96 Jahren verstorbenen ehemaligen Ausnahme-Athletin stehen.