Auf den Spuren von Raymond Ewry
Bei den meisten ist es schon in Vergessenheit geraten, dass der Standhochsprung einige Zeit, nämlich von 1900 bis 1912, zum Programm der Olympischen Spielen gehörte. Der ungewöhnliche Platz war der Renaissance am Montag schließlich der ungewöhnlichen Disziplin angemessen. In 103 Metern Höhe, auf dem Dach des DB-Towers direkt am Potsdamer Platz in Berlin, hatte man die Sprungständer aufgebaut, die Matten ausgelegt.
Ex-Weltmeister Martin Buß versuchte sich im Standhochsprung (Foto: Chai)
Der gegenwärtige "Weltrekord" solle bei 1,46 Metern liegen, meinten die Organisatoren herausbekommen zu haben. So hatten sie die Idee, im Vorfeld des Golden-League-Meetings ISTAF, das am kommenden Sonntag, 4. September, im Berliner Olympiastadion stattfindet, als Werbung einen solchen Wettbewerb durchzuführen und dabei diesen Weltrekord zu überbieten.Aus dem Stand, die Latte im Rücken, floppte man sich schließlich höher und höher. Am Ende blieben noch der Ex-Weltmeister im Hochsprung, Martin Buß (Barmer TV Wuppertal) und WM-Vierte im Zehnkampf, André Niklaus (LG Nike Berlin), übrig.
1,60 Meter für Martin Buß und André Niklaus
Martin Buß kam im zweiten Versuch über die 1,60 Meter, Andre Niklaus folgte mit dem dritten, so dass der Sieg an den Hochsprung-Routinier ging. "Es war ein völlig neues Gefühl, in solcher Höhe zu springen, aber Spaß gemacht hat es", sprach der Berliner anschließend in die Fernsehkamera. "Ich hoffe, dass mir dieser Spaß am Springen erhalten bleibt. Nach meiner dreijährigen Verletzungspause habe ich es in diesem Jahr noch nicht geschafft, an alte Höhen im richtigen Hochsprung anzuknüpfen. Aber ich hoffe, dass mir das im nächsten Jahr gelingt."
Ein inoffizieller Weltrekord, wie zunächst vermutet, war es aber dann doch keiner. Denn die historischen Unterlagen weisen bereits andere Höhen aus. Der Amerikaner Raymond Ewry (USA) sprang 1900 bei den Olympischen Spielen in Paris 1,65 Meter hoch, gewann anschließend auch bei den Olympischen Spielen 1904 mit 1,50 und 1908 mit 1,57 Metern diese Disziplin, den Hochsprung aus dem Stand. 1912 siegte mit Platt Adams ebenfalls ein Amerikaner, der 1,63 Meter schaffte.
1936 bereits 1,68 Meter
Die erste inoffizielle Bestmarke soll bereits 1888 mit damals 1,475 Metern aufgestellt worden sein. Der erste offizielle Weltrekord wurde schließlich 1896 von Raymond Ewry mit 1,61 Metern verbucht, der letzte 1936 von dem früheren Doppel-Olympiasieger Harold M. Osborn, einem weiteren US-Amerikaner, der seinerzeit für eine Regeländerung im Hochsprung verantwortlich war, weil er immer die Latte auf die Halterung gedrückt hatte, mit 1,68 Metern.
Also war die Freude über einen vermeintlichen Weltrekord von Martin Buß, der sich eigentlich 1,75 Meter zugetraut hatte, nur von kurzer Dauer. Auch "deutscher Rekord" war es keiner.
Auch Carlo Thränhardt aus dem Stand
Mit seinen Standhochsprung-Versuchen befand er sich hierzulande jedoch in bester Gesellschaft. Erst im letzten Jahr hatte sich auch Carlo Thränhardt, also einer seiner großen Vorgänger in der deutschen Hochsprungszene, in Langen in dieser Disziplin versucht und dabei eine glänzende Figur abgegeben. Der zu diesem Zeitpunkt 46-Jährige überflog 1,61 Meter, sprang also einen Zentimeter höher als nun Martin Buß in Berlin.
Seine Berechtigung hat der Standhochsprung übrigens noch bei den sogenannten "Retrolympics", dem Sportfest der ehemals Olympischen Sportarten, das 2003 in Kranichfeld seine deutsche Premiere feierte. Dort wird Manuel Beck aus Heidelberg mit 1,39 Metern in der "ewigen Bestenliste" als Erster geführt.