Aus Peking - Geschöntes Wetter
Die Sonne scheint, keine Wolke über Peking. Das Thermometer klettert in diesen Frühlingstagen auf über 20 Grad. Ideale Bedingungen also für den olympischen Marathon-Test am Sonntagmorgen (20. April) in der Gastgeberstadt der Sommerspiele 2008. Doch der (Sonnen)Schein trügt. Ein schwerer Feinstaub-Schleier liegt über Chinas Hauptstadt. Die Sichtweite beträgt einen knappen Kilometer.
Jenseits dieser Distanz verschwimmen die Konturen. Es war schon wesentlich schlimmer in diesem Jahr, aber auch schon deutlich besser. So oder so zählt Höchstleistungssport unter freiem Himmel zu den Dingen, die an Tagen wie diesen am wenigsten vernünftig erscheinen.„Bei solchen Bedingungen würde ich nicht jeden Marathon laufen, aber den olympischen ja“, sagt Olympiasieger Stefano Baldini. Der Italiener schnuppert in dieser Woche erstmals Pekinger Atmosphäre. Nie zuvor ist er bei solchen schlechten Luftverhältnissen wie denen in Peking 42,195 Kilometer gelaufen.
Mentale Vorbereitung
Auch am kommenden Sonntag verzichtet Stefano Baldini darauf. Weniger wegen der Luft, als vielmehr wegen seines persönlichen Trainingsplans, der eine solche Belastung im Augenblick nicht vorsieht. Hitze und Feuchtigkeit hingegen waren anderswo schon schlimmer.
Stefano Baldini will sich mit seiner Reise nach China vor allem mental auf den Wettbewerb im August vorbereiten. „Diese Bedingungen sind eine Frage der Psyche. In anderen Städten ist der Himmel blau, aber die Luft auch nicht besser. Deshalb ist es wichtig, sich von diesem Schleier nicht beeindrucken zu lassen“, sagt der Goldmedaillen-Gewinner von Athen 2004.
Verständnis für Haile Gebrselassie
Weltrekordler Haile Gebrselassie aus Äthiopien sieht das anders. Für ihn kommt ein Marathon-Start nicht in Frage. Er beschränkt sich auf die 10.000 Meter. Haile Gebrselassie ist an Asthma erkrankt und will kein unkalkulierbares Risiko für seine Gesundheit eingehen.
Stefano Baldini hat Verständnis für diese Entscheidung. Für ihn selbst kommt ein Rückzug nicht in Frage. „Ich sehe meine Gesundheit nicht gefährdet durch ein einziges Rennen bei diesen Bedingungen“, sagt er.
Unangenehmes Gefühl im Rachen
Auch sein Trainer Luciano Gigliotto stellt klar: „Es gibt keine verlässliche Studie darüber, welche Auswirkungen die Luftverschmutzung auf einen Marathonläufer hat.“ Problematisch sieht der Coach allerdings die Zeit der Akklimatisierung in Peking zehn bis zwölf Tage vor dem Wettkampf. Er selbst empfinde schon nach zwei Tagen ein „unangenehmes Gefühl“ im Rachen.
Doch es soll ja alles besser werden, verspricht das Organisationskomitee BOCOG sich selbst und dem Rest der Welt. Den bislang verkündeten Umwelt-Maßnahmen wie das Fahrverbot für die Hälfte aller Pekinger Autos während der Spiele sowie die Emissions-Begrenzung für Industrieanlagen folgte zum Wochenanfang die Verkündung einer neuen Maßnahme.
Bauarbeiten eingestellt
„Alle Bauarbeiten in der Stadt werden ab dem 20. Juli komplett eingestellt“, sagte Du Shaozhong vom Pekinger Umweltbüro. Der durch die Bauarbeiten aufgewirbelte Feinstaub zählt zu den wesentlichen Faktoren der Luftverschmutzung.
Dass es seit 1998 angeblich Jahr für Jahr besser wird mit der Belastung sollen Zahlen belegen, die das Umweltbüro tagtäglich publiziert. Demnach sei in diesem Zeitraum beispielsweise die Feinstaubbelastung um 17,8 Prozent gesunken, der Ausstoß von Karbonmonoxid habe sich um 39,4 Prozent verringert, heißt es.
Zweifelhafte Zahlen
Doch es gibt Zweifel an diesen Zahlen. Steven Q. Andrews aus Washington nennt sich unabhängiger Umweltberater. Er behauptet, die Zahlen von zwei Messstationen mit eklatant hohen Werten werden von Peking seit Anfang dieses Jahres nicht mehr berücksichtigt, um die Zahlen für das laufende Jahr zu schönen.
„Es ist faktisch falsch, wenn das Umweltbüro behauptet, dies sei nicht der Fall“, sagt Steven Q. Andrews. Er verweist auf zwei Internetseiten mit den entsprechenden Statistiken. Eine stammt vom 31. Dezember 2007 und beinhaltet die Werte der Messstationen Qianmen und Chegongzhuang. Die andere Internetseite stammt vom 1. Januar 2008, auf der ebenjene Stationen nicht mehr auftauchen.
Nonsens-Gerede Natürlich beschäftigte sich auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) während seiner Tagung in der vergangenen Woche in Peking mit der Luftproblematik.
Was die Hüter der fünf Ringe von der Diskussion um die Verschmutzung halten, machte ausgerechnet der Leiter der IOC-Medienkommission, Kevin Gospar aus Australien, deutlich. „Das Gerede über Gesundheitsgefährdung ist absoluter Nonsens“, sagte dieser. Zumindest Olympiasieger Stefano Baldini gehört zu denen, die das gerne glauben.