Backley zum vierten Mal Europameister – Henry auf drei
Der Schock saß tief. Sergey Makarov stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben, als der Speer des britischen Titelverteidigers Steve Backley im fünften Versuch bei 88,54 Metern im Rasen des Münchener Olympiastadions steckte. Dadurch verlor der Russe (88,05 m) doch noch den schon fast sicher geglaubten Titel. Der dritte Platz ging nach Deutschland. Boris Henry hat nach WM-Bronze 1995 nun auch bei der EM Bronze gewonnen.
Steve Backley durfte zum vierten Mal bei einer EM jubeln. (Foto: Kiefner)
Endgültigen Jubel löste bei Henry, der wie die gestrige Speerwurf-Zweite Steffi Nerius von Helge Zöllkau trainiert wird, der letzte Versuch des viertplatzierten Eriks Rags aus Norwegen aus. Nachdem dieser nicht über Henrys 85,33 Meter hinausging, stand der Saarbrücker als Medaillengewinner fest. Ein Dank geht an die Zuschauer
"Das ist wie eine Erlösung. Mir fehlen die Wort. Endlich ist der Knoten geplatzt und ich bin da, wo ich hingehöre: in die Weltspitze", sprudelte es aus dem 28-Jährigen heraus. "Die Stimmung hier in München hat die von Stuttgart 1993 noch übertroffen. Meine Medaille geht zu 50 Prozent auf das Konto der Zuschauer. Danke!"
Mit Henry jubelte auch Kelly White. Die derzeit verletzte US-Sprinterin, deren Mutter 1972 an den Olympischen Spielen in München teilnahm, ist die Freundin des neuen EM-Dritten. Um ihrem Boris die Daumen zu halten, war sie schon am Dienstag nach Deutschland gekommen und hatte auch die Qualifikation mitverfolgt. Während des Finals saß sie ganz nah am Anlauf und ließ den Sportsoldaten keine Sekunde aus den Augen. Und so war es auch kaum verwunderlich, dass Henry zuerst auf sie losstürmte, nachdem er als Medaillengewinner feststand.
Enttäuschung bei Raymond Hecht über Platz fünf
Des einen Freud ist des anderen Leid. Während Boris Henry sein Glück kaum fassen konnte, haderte der zweite Deutsche, Raymond Hecht aus Magdeburg, mit seinem Schicksal. 83,95 Meter langten nur zu Rang fünf, womit er selbst gar nicht zufrieden war. Aus seinem Ziel, die in Budapest gewonnene Bronzemedaille zu verteidigen, wurde nichts. "Ich hatte technische Schwierigkeiten, habe einige Würfe überzogen. Der Wettkampf war einfach krass. Das lange Warten hat genervt. Immer wieder gab es Siegerehrungen und Laufstarts. Aber ich freue mich für Boris", gab Hecht zu Protokoll. Ihn solle jetzt aber ja keiner abschreiben. "Paris und Athen sind die nächsten Ziele. Ich gehöre noch nicht zum alten Eisen", so der knapp 34-Jährige, der in diesem Jahr erst spät in die Saison einsteigen konnte, weil er sich im Frühjahr zum fünften Mal am Wurfarm operieren lassen musste.
Makarov dachte zu viel an den Sieg
Hecht war indes nicht der einzige enttäuschte Athlet. Auch dem zweitplatzierten Sergey Makarov war der Frust deutlich anmerken. Fast in jedem Saisonwettkampf hatte der Russe die Konkurrenz schon mit unerreichbaren Weiten in seinen ersten Versuchen bezwungen und sich dadurch reihenweise Siege gesichert. Lange sah es auch in München so aus. Doch dann kam der britische Titelverteidiger Steve Backley und schnappte dem mit 92,61 Metern Weltjahresbesten noch die Goldmedaille weg. "Vielleicht habe ich zu viel an den Sieg gedacht", analysierte Makarov, dessen Vater bei den Olympischen Spielen 1980 die Silbermedaille gewonnen hat.
Und Steve Backley? Der stellte erfreut fest, "dass es etwas Besonderes ist, zum vierten Mal Europameister geworden zu sein, zumal ein Sieg hier für gewöhnlich schwerer fällt als bei Olympia." Während der Vorbereitung im Winter habe er erstmals daran gedacht, dass ein vierter Triumph möglich ist. "Im Wettkampf habe ich mich dann von Versuch zu Versuch besser gefühlt."