Belgien - Kleines Land ganz groß
10,5 Millionen Einwohner zählt Belgien, und fünf von ihnen sorgten bei den Olympischen Spielen in Peking (China) für die größten Leichtathletik-Erfolge seit mehr als 30 Jahren. Tia Hellebaut gewann Gold im Hochsprung, die 4x100-Meter-Staffel der Frauen mit Olivia Borlée, Hanna Mariën, Elodie Ouédraogo und Kim Gevaert sicherte sich Silber. Es waren die ersten olympische Medaillen für belgische Leichtathletinnen überhaupt.
Der Belgische Leichtathletik-Verband (Ligue Royale Belge d’Athlétisme LRBA), der administrativ in die Regionen Flandern mit rund 90 Vereinen und die Region Wallonien mit rund 45 Vereinen aufgesplittet ist, hatte 21 Athleten in die chinesische Hauptstadt entsandt, und es war schon im Vorfeld nicht ausgeschlossen, dass dieses kleine Team mit Medaillen die Heimreise antreten könnte.Bereits bei den vergangenen Welt- und Europameisterschaften standen belgische Athleten weit oben auf dem Treppchen. Allen voran Kim Gevaert, Doppel-Europameisterin 2006 in Göteborg (Schweden) über die 100 und 200 Meter. Willy Pennoit, Generalsekretär der LRBA, glaubt, dass es auch auf sie zurückzuführen ist, dass die Mitgliederzahl im Verband innerhalb von wenigen Jahren von 24.000 auf über 50.000 angestiegen ist.
Kim Gevaert Europas Sprintkönigin
Die 31-jährige Kim Gevaert, die jüngst beim Golden League-Meeting im heimatlichen Brüssel ihren Abschied feierte, zählt seit vielen Jahren zu den besten europäischen Sprinterinnen. Schon 2002 bei der EM in München stand sie als Silbermedaillen-Gewinnerin über beide Sprintstrecken auf dem Podium. Ihre Bestzeiten, gleichbedeutend mit den belgischen Landesrekorden, stammen aus dem Jahr 2006 und stehen bei 11,04 Sekunden über 100 Meter und 22,20 Sekunden über 200 Meter.
In der Halle hat sie seit 2002 dreimal in Folge den EM-Titel gewonnen. Bei den Hallen-Europameisterschaften in Birmingham (Großbritannien) stellte sie 2007 mit 7,10 Sekunden ihre 60-Meter-Bestmarke auf. Ein Jahr später verpasste die Vorzeigesprinterin der belgischen Leichtathletik als Vierte des Hallen-WM-Finales in Valencia (Spanien) nur knapp ihre erste Einzelmedaille bei einer Weltmeisterschaft.
Intensives Staffeltraining
Im Sog Kim Gevaerts steigerte sich auch die nationale 4x100-Meter-Staffel. In Osaka (Japan) sprintete das Quartett 2007 in derselben Besetzung wie ein Jahr darauf bei den Olympischen Spielen überraschend zu WM-Bronze. Mit einem intensiven Staffeltraining wurde auch für Peking der Grundstein zum Erfolg gelegt, doch die Einzelleistungen der weiteren Staffelläuferinnen können sich ebenfalls sehen lassen.
Die Jüngste im Team, die 22-jährige Olivia Borlée, hat über 200 Meter mit 22,98 Sekunden bereits die 23-Sekunden-Marke unterboten und über 100 Meter eine Bestzeit von 11,39 Sekunden zu Buche stehen. Nur wenig langsamer sind die Bestmarken von Elodie Ouédraogo (11,40 sec) und Hanna Mariën (11,41 sec).
Tia Hellebaut auf den Punkt topfit
Zeitgleich mit Kim Gevaert feierte auch Tia Hellebaut 2006 in Göteborg den ersten internationalen Titelgewinn. Mit zu dem Zeitpunkt neuer persönlicher Bestleistung und Landesrekord von 2,03 Metern sicherte sie sich überraschend EM-Gold und unterstrich, dass der Wechsel vom Siebenkampf zum Hochsprung die richtige Entscheidung gewesen war.
Unter dem Hallendach konnte sie diese Höhe wenige Monate darauf noch einmal steigern. In Birmingham übersprang sie 2,05 Meter und wurde Hallen-Europameisterin. Damit, dass ihr diese Leistung bei den Olympischen Spielen im Freien noch einmal glücken würde, hatten vermutlich jedoch die wenigsten gerechnet. Die 30-Jährige war auf den Punkt topfit und fügte Seriensiegerin Blanka Vlasic (Kroatien) die erste Niederlage der Saison zu.
Männer in Vergangenheit erfolgreicher
Auch auf den Langstrecken hatte der belgische Verband in Peking zwei Athletinnen an den Start geschickt. Veerle Dejaeghere, 2006 EM-Fünfte und in 9:28,47 Minuten Landesrekord-Halterin über 3.000 Meter Hindernis, konnte sich jedoch nicht für das Finale qualifizieren. Nathalie de Vos belegte über 10.000 Meter den 24. Platz.
Somit führen die Geschichtsbücher weiterhin nur männliche Athleten, die über die Mittel- und Langstrecken für das Königreich zu olympischen Ehren kamen. 1976 in Montreal (Kanada) durften die Belgier das bis zu diesem Jahr letzte Mal über Edelmetall jubeln: Ivo van Damme holte Silber über 800 und 1.500 Meter, Karel Lismont wurde Dritter im Marathon. Noch weiter zurück liegen die Zeiten belgischer Olympiasieger. 1948 gewann Gaston Reiff in London (Großbritannien) den 5.000 Meter-Wettbewerb, 1964 siegte Gaston Roelants in Tokio (Japan) über die 3.000 Meter Hindernis.
Landesrekorde für Viertelmeiler
Zwar gab es für die belgischen Männer im Vogelnest keine Medaillen, ihre Leistungen konnten sich jedoch trotzdem sehen lassen. An zwei Tagen in Folge unterbot die 4x400 Meter-Staffel mit den Zwillingsbrüdern Kevin und Jonathan Borlée, Cédric van Branteghem und Arnaud Ghislain den belgischen Rekord. Im Finale verpassten sie in 2:59,37 Minuten als Fünfte nur knapp einen Platz auf dem Podium.
Kevin Borlée hatte vier Tage zuvor schon als Einzelstarter die nationale Bestmarke von Cédric van Branteghem unterboten. In 44,88 Sekunden fehlten ihm ganze sechs Hundertstelsekunden zum Finaleinzug. Ebenfalls bis ins Halbfinale schaffe es über die Hälfte der Distanz Kristof Beyens, der dann aber in 20,69 Sekunden Achter und Letzter wurde.
Keine Chance auf den Langstrecken
Mit Spannung erwartet wurde der Auftritt Monder Rizkis über die 5.000 Meter. Im heimatlichen Heusden hatte er sich Ende Juli auf 13:04,06 Minuten gesteigert und als einziger Europäer unter die besten Zwölf der Welt geschoben. In Peking kam er jedoch im Vorlauf nicht über Platz neun hinaus. Pieter Desmet konnte als Vorlauf-Elfter über die 3.000 Meter Hindernis ebenfalls nicht an die Tradition starker belgischer Langstreckler anknüpfen.
LRBA-Generaldirektor Willy Pennoit weiß, dass es aufgrund der afrikanischen Konkurrenz schwer ist, im weltweiten Vergleich über die langen Distanzen Erfolge zu erzielen. In der belgischen Leichtathletik sei deswegen in den vergangenen Jahren der Schwerpunkt auf die Sprintstrecken gelegt worden. Zusätzlich nennt er die Errichtung von Sportschulen sowie die Beschäftigung professioneller Trainer – einer von ihnen der Vater der Borlée-Geschwister, Jacques Borlée – als Gründe für den zunehmenden Erfolg belgischer Athleten.
2007 in der ersten Liga
So startete das belgische Männerteam, das in der Breite besser aufgestellt ist als die Frauen, im vergangenen Jahr in München das erste Mal in der ersten Liga des Europacups. In der Qualifikation hatte es unter anderem die Mannschaft Schwedens um Hochspringer Stefan Holm und 400-Meter-Läufer Johan Wismann hinter sich gelassen.
Monder Rizki sorgte in München über die 5.000 Meter für den einzigen Einzelsieg. Insgesamt reichte es für die Belgier jedoch nur zum achten Platz von acht teilnehmenden Mannschaften, was mit einem direkten Wiederabstieg verbunden war.
Drei Finalteilnahmen bei Junioren-WM
Ob der belgische Leichtathletik-Nachwuchs die Erfolge der jüngsten Vergangenheit fortführen kann, bleibt abzuwarten. Bei der Junioren-WM in Bydgoszcz (Polen) machten in diesem Sommer vor allem drei Athleten auf sich aufmerksam.
110 Meter-Hürden-Läufer Quentin Ruffacq verbesserte in dieser Saison kontinuierlich den belgischen Juniorenrekord und steigerte sich im WM-Halbfinale schließlich auf 13,57 Sekunden. Im Endlauf belegte er in 13,65 Sekunden Rang acht. Anne Zagre wurde im Hürdensprint der Juniorinnen in persönlicher Bestleistung von 13,55 Sekunden Fünfte.
Den größten Erfolg konnten die Belgier jedoch wie wenige Wochen darauf in Peking in der weiblichen Hochsprung-Konkurrenz bejubeln. Die 19-jährige Hannelore Desmet sprang mit Hausrekord von 1,86 Metern hinter Junioren-Weltmeisterin Kimberly Jeß (LG Rendsburg/Büdelsdorf) zur Bronzemedaille. Vielleicht spornen sie die Erfolg ihrer 11 Jahre älteren Landsfrau Tia Hellebaut ja auch in Zukunft zu weiteren Höhenflügen an.