Berliner Ampelmännchen-Marathon abgewickelt
Spätestens im nächsten Januar wird der traditionelle „Berliner Team-Marathon“ Sporthistorie sein. Vor wenigen Tagen, am letzten Wochenende, endeten drei Jahrzehnte „deutsch-deutscher“ Laufsportgeschichte, die mit vielen Erinnerungen auch an DDR-Zeiten verbunden sind.
Garantiert keine frenetischen Zuschauermassen, keine „Blueline“, Haferschleim als Streckenverpflegung und riskant vereiste Piste bei tendenziell klirrender Kälte, das versprach seit drei Jahrzehnten der traditionell im Frostmonat Januar ausgerichtete „Berliner Team-Marathon“ - stark sinkende Teilnehmerzahlen inklusive.Der „Clou“ dieses Wettkampfs sei, so steht es weiterhin auf der Homepage von SCC-Running, die klassische Distanz als Dreiercrew in geschlossener Formation zu bewältigen. So, wie es die auf „schön im Dreiklang Laufen“ getakteten, ostdeutschen Designer-Ampelmännchen des eigens dafür kreierten Labels symbolisch vorzumachen scheinen.
Gewiss eine läuferische Herausforderung, die sich nach physikalischem Prinzip: „Jede Kette ist so gut wie ihr schwächstes Glied“ interpretieren ließe. Zudem ein exotisch anmutendes Laufvergnügen, das im „Leichtathletik-WM-Jahr“ 52 Dreierteams - darunter vier Frauenriegen - an den Start lockte.
Wintermarathon mit bizarrer Streckenführung
Was durchaus bemerkenswert ist, denn schließlich boten die 42,195 Kilometer auch diesmal weder kontrastreiche Naturimpressionen in Flora und Fauna, noch stundenlanges, pedales Eintauchen in Berlins neuurbane Szenerie mit kühn-moderner Stahl- und Glasbau-Architektur. Dafür aber einen rauen Dauer-Rundkurs, der wohl eher für „kontemplative Bewusstseinslagen“ gestrickt zu sein schien.
Erst nach acht 5-Kilometer-Runden mit „2.195-Meter-Nachbrenner“ durch den Plänterwald - eine der vielen Berlins Stadtpläne grün sprenkelnde Naturflächen und im Südostbezirk Treptow-Köpenick gelegen - ging’s ins Ziel. „Eine starke Leistung“, posaunte dort Bernd Sehmisch - redegewandter Leipziger, als jahrzehntelanges Eventinventar mit der Lizenz zur Dauermoderation ausgestattet - am 17. Januar mit volkstümlich intoniertem „Roll-R“ aus dem Äther.
Rutschpartie endete unter drei Stunden
Zeitgleich passierte das Trio Nummer 40 den Kontrollpunkt der 30-Kilometer-Marke. Da klickte die elektronische Ziffernfolge der Marathonuhr auf 2:03 Stunden - klare Führung der rutschfesten Läuferschar um Kapitän Ralph Koritz (41) mit Andreas Bram (42) und Youngster Johann Gehrisch (23) im Schlepptau.
Ihr Erfolgsrezept: Tempostringenz im Vierzehner-Schnitt gepaart mit stoischem Willen zur frostresistenten Langzeitausdauer. Das zahlte sich aus. Der komfortable Zweidritteldistanz-Vorsprung genügte der Troika vom Skiklub Dresden-Niedersedlitz nach 2:55:26 Stunden zum Sieg. Sehr zur Freude von Koritz’ Lebensgefährtin Mandy Doerr (27), deren gemeinsamer zwölf Wochen alter Sprössling Sebastian wohlig warm gewickelt in Muttis Arm erste Marathonimpressionen sammelte.
„Toll, das Ralph nach seiner auskurierten Herzmuskelentzündung schon wieder so gut laufen kann“, meinte Mandy Doerr über die ansteigende Formkurve des dreimaligem Rennsteiglaufsiegers. Nach 3:45:34 Stunden kam - wie bereits 2008 - der „ICE Berlin-Hamburg“ mit dem Frauen-Siegertrio über die „vereisten Streckengleise“ zum Stehen.
Getreu dem Rundendiktat: Acht Mal 2.500 Meter nach Norden, flussabwärts an der Spree und nach scharfer Südkehre entlang eines schnurgeraden Pfades, an dessen Wegesrand Spalier zu stehen scheinende Birken die Piste mit ihren lichtdurchfluteten Wipfeln in gleißendes Sonnelicht tauchten.
Finaler Startschuss durch Horst Milde
Eitel Sonnenschein strahlt über dem Winterklassiker künftig keiner mehr: Im Herbst 2008 titelten die SCC-News, das Event müsse ausfallen, was selbige elektronische Seite Ende Oktober dementierte, um Mitte Januar die 31. Auflage als letztmalige zu melden. Den „finalen Startschuss“ feuerte Berlins Ex-Marathon-Chef Horst Milde (SCC) ab.
„Der Lauf wurde 1979 von Empor Brandenburger Tor (EBT) als Wintertraining für engagierte Langstreckler ins Leben gerufen“, erklärte 2:18-Marathon-Veteran Folker Lorenz, fünfzehnmaliger Team-Absolvent, der sich wegen seiner Sportlerkarriere am Zenit zum staatlich gelenkten DDR-Spitzensport heute gern als „Spitzenedelamateur“ bezeichnet.
Kalter Krieg für Sportkontakte
„Das vom SED-Regime verordnete Verbot ganz normaler Sportkontakte zwischen Ost- und West dauerte trotz Glasnost und Perestroika bis 1989“, berichtet Horst Milde zur rigiden Praxis der DDR-Grenzorgane: „Ich wurde komplett durchgefilzt, Marathon-Flyer wie Aufkleber beschlagnahmt“. Für die SED-Nomenklatur galt das Mitführen solcher Werbeträger bereits als verbotene „Westpropaganda“.
Dabei war sein damaliger Reisezweck äußerst banal. Horst Milde wollte lediglich Roland Winkler, 10.000 Meter DDR-Vize (1969) und EBT Team-Marathon-Mitinitiator, der 1988 entsprechend herrschender SED-Sportdoktrin illegal beim Berlin Marathon startete, in der „DDR-Hauptstadt“ besuchen, um deutsch-deutsche Laufkontakte aufzubauen.
“Bei interministeriellen Gesprächen beider deutscher Staaten wurde ausschließlich über offizielle Wettkämpfe referiert. Das Thema Sportkontakte zwischen Deutschen aus Ost und West war da als Thema ausgeklammert“, erinnert sich Horst Milde. So täuschten „einfache“ DDR-Sportler zur Teilnahme an Sportwettkämpfen in der „BRD“ regelmäßig fingierte Westverwandtschafts-Besuchsreisen vor und meldeten sich unter teils skurrilen Pseudonymen an, um der allgegenwärtigen Stasi keine Fährte zu liefern. Und das die DDR-Staatsicherheit Sportereignisse in Ost wie West observierte, bestätigte Milde aus eigener Erlebniserfahrung.
„Abgewickelt“ - Ex-DDR-Laufevent endet im Sportmuseum
Mit der friedlichen Revolution und politischen Wende der DDR mit dem Ergebnis der staatlichen Einheit Deutschlands, folgte die Neuorganisation des EBT-Klassikers. So firmierte das Event durch das Engagement von Horst Milde seit 1991 beim SCC als „Berliner Team-Marathon“ weiter.
Das nunmehr überraschende Aus begründet der Veranstalter mit dem Wegfall der Amelia-Erhard-Schule als ortsfester Logistikbasis. Für Folker Lorenz ein Scheinargument: „Der Lauf bringt kein Geld ein“. In der Tat, das endgültige Aus dürfte schwindende Teilnehmerzahlen aber auch Kritik an der Streckenattraktivität zuzuschreiben sein. Keinen Kommentar brachte SCC-Präsident Klaus Henk über die Lippen, er sei lediglich privat vor Ort, so der amtierende SCC-Chef.
So schien es auch nicht verwunderlich, dass unter Helfern wie Aktiven das Wendeunwort „Abwicklung“ kursierte. Der Vorstellung von Horst Milde zufolge soll der ursprünglich „ostzonale Ampelmännchen-Marathon“ dennoch für die Nachwelt wie „Ostalgiker“ sporthistorisch konserviert werden - als deutsch-deutsche Sportgeschichte durch akribisch archivierte Konvolute beim Sportmuseum Berlin, das seinen Sitz im Deutschen Sportforum auf Berlins ehemaligem Reichssportfeld und jetzigem Olympiapark hat. „Da werden dann auch die stets reklamefreien Startnummern zu sehen sein“, meinte Roland Winkler nicht ohne Stolz.