Berliner SC gedenkt mit Sportfest Lilli Henoch
Zum vierten Mal führt einer der traditionsreichsten Berliner Vereine, der Berliner Sportclub (BSC), am 20. Mai (Christi Himmelfahrt), auf dem Hubertussportplatz sein Frauensportfest durch. In diesem Jahr steht das Sportfest unter einem besonderen Stern. Der Verein hat beschlossen, diese Veranstaltung in Lilli-Henoch-Frauensportfest umzubenennen.
Lilli Henoch spielt beim Berliner SC noch eine große Rolle
Der Berliner Sportclub, das ist jener Club mit dem großen Adler auf dem Trikot, das einst Carl Diem, langjähriger Vorsitzender des BSC, aber auch Spitzenathleten der Vor- und Nachkriegszeit wie der Olympiateilnehmer von 1928, Hermann Schlöske, die Medaillengewinner bei den Olympischen Spielen 1932 und 1936, Zehnkämpfer Wolrad Eberle und Hammerwerfer Erwin Blask, Hürdenläufer Wolfgang Troßbach, die vielfachen Deutschen Meister Jörg und Olaf Lawrenz und viele andere prominente Leichtathleten trugen. Besondere Rolle
Lilli Henoch war eine jener Frauen, die in den zwanziger Jahren im Berliner und im deutschen Sport, vor allem in der Leichtathletik, eine besondere Rolle spielten. Sie trat 1919 dem Berliner Sportclub bei, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts über ein vielfältiges Angebot an Sportarten verfügte. Das reichte von der damals so genannten "Athletik" auf dem Sportplatz an der Cicerostraße über Hockey, Boxen, Ringen, Fechten, Tennis, Eishockey bis hin zum Schwimmen im Seebad Halensee.
Dieser BSC gehörte zu den ersten Vereinen in Deutschland, die eine Frauenabteilung ins Leben riefen. Ihr trat Lilli Henoch (geb. 1899) als zwanzig Jahre junge Frau bei. Die Frauenleichtathletik steckte in jenen Jahren in den Kinderschuhen. Sie wurde in einer von Männern beherrschten Sportwelt wenig ernst genommen.
Bösartige Diskriminierungen waren nicht selten. Frauenwettbewerbe dienten häufig der Volksbelustigung. Es gab Wettbewerbe im Kinderwagenschieben und Journalisten nannten Teilnehmerinnen an Wettbewerben nur mit ihren Vornamen, um ihren Familien die Schande zu ersparen, mit ihnen in Verbindung gebracht zu werden. Der bekannte Sprinter und Sportjournalist Kurt Doerry attestierte den weiblichen Kolleginnen, ihr Laufstil stehe zu dem des Mannes in ähnlichem Kontrast wie "das Watscheln einer Ente zum stolzen Schritt eines Rennpferdes".
Anmut und Schönheit statt Leistung und Wettkampf?
Der Bremer Arzt Dr. Junkers-Kutnewsky empfahl den Frauen zwar die einfachen Übungen des Laufens, Springens und Werfens, allerdings mit der perfiden Begründung, der grüne Rasen habe eine enorm beruhigende Wirkung auf Frauen, und außerdem " belasteten die Übungen kaum das Gehirn." Nicht Leistung und Wettkampf, sondern Anmut und Schönheit sollten das Auftreten der Frauen im Sport bestimmen.
Nachdem trotz allem die Deutsche Sportbehörde für Athletik nach dem ersten Weltkrieg programmatisch die Frauenleichtathletik auf den Weg gebracht hatte, sorgten Frauen wie Lilli Henoch mit ihren Leistungen dafür, dass Frauen im Sport mehr und mehr wahr- und vor allem ernst genommen wurden.
Zehnmal wurde sie zwischen 1922 und 1926 Deutsche Meisterin im Kugelstoß, Diskuswurf, Weitsprung und in der 4x100-Meter-Staffel. Vier Weltrekorde stellte sie auf, und nebenbei zählte sie zur Elite der deutschen Hockey - und Handballspielerinnen. Sie war eine jener Sportlerinnen, die der jungen deutschen Frauen-Leichtathletik Weltgeltung verschafften und den Sport der Frauen insgesamt auf den langwierigen Weg der gesellschaftlichen Anerkennung und Emanzipation brachten.
Kein Platz mehr für jüdische Sportler
Für die junge Leichtathletin und Sportlehrerin endete dieser voller Hoffnung begonnene Weg auf brutale und unmenschliche Weise. Lilly Henoch war Jüdin. Mit der Machtergreifung durch die Nazis und der Übernahme der Rassengesetze auch in den Sportvereinen und -verbänden gab es dort keinen Platz mehr für jüdische Sportlerinnen und Sportler. Lilli Henoch wurde ausgeschlossen. Bis 1938 hatte sie die Möglichkeit, im jüdischen Turn - und Sportclub von 1895 ihrem Sport nachzugehen, bis im Zuge der "Endlösung" der Judenfrage Pogrome und Deportationen in Deutschland zur Tagesordnung gehörten und auch für Lilli Henoch zur Katastrophe führten: Sie wurde mit ihrer Mutter in ein Arbeitslager nach Riga verschleppt und 1942 dort ermordet.
Sportverbände und -vereine haben über Jahrzehnte die Aufklärung der Rolle des Sports in jenen unseligen Jahren nicht immer sonderlich offensiv betrieben.
"Anpassung an den Zeitgeist": Solche und ähnliche Begriffe machen die oft oberflächlichen und verharmlosenden Versuche deutlich, mit wenig tauglichen Mitteln eine nicht immer rühmliche Vergangenheit des organisierten Sports und seiner Führer, aber auch das Phänomen des Wegschauens vieler Mitglieder zu erklären.
Feierstunden am 20. Mai
Umso mehr verdienen Bemühungen unseren Respekt, diese Vergangenheit nicht zu begraben und die Erinnerung vor allem an die Opfer aufrecht zu erhalten. Sie sollte dazu beitragen, dass sich ähnliche Katastrophen der Unmenschlichkeit in unserer Geschichte nicht wiederholen und wir auch die moralische Legitimation nicht verwirken, ähnliche Entwicklungen überall in der Welt anzuprangern und verhindern zu helfen, auch wenn sie nicht die Dimensionen der Gräuel des Dritten Reiches erreichen.
Die Leichtathletikabteilung des Berliner Sportclubs, heute einer der kinder -und familienfreundlichsten Vereine Berlins, wird mit ihrer Leiterin Dr. Anne-Marie Elbe in einer Feierstunde am 20. Mai die Umbenennung ihres Frauensportfestes vornehmen.
DLV-Vizepräsident Theo Rous wird mit einem Lilli Henoch gewidmeten Ehrenpreis für die Siegerin im Kugelstoßen an die Weltrekordlerin in dieser Disziplin erinnern. Gäste werden unter anderem der Potsdamer Sporthistoriker Prof. Joachim Teichler, Martin-Heinz Ehlert, Experte und Veranstalter einer kleinen Ausstellung sowie der Lilli Henoch nahestehende, in London lebende Zeitgenosse, Dr. Paul Yogi Maier, sein.