Bestandsaufnahme Zehnkampf
DLV-Teamleiter Claus Marek war am letzten Wochenende beim ruhrgas DLV-Mehrkampf-Meeting in Ratingen der gefragteste (Ex-)Zehnkämpfer. "Wir haben die Talsohle erreicht", lautete seine nüchterne Überzeugung an zwei Tagen, die nur die Erkenntnis brachten, dass Deutschland keinen wm-tauglichen Zehnkämpfer hat und dass der Abstand zur Weltspitze in Person von Weltrekordler Roman Sebrle riesig ist.
Claus Marek wurde in Ratingen viel gefragt (Foto: Gantenberg)
1006 Punkte trennten als galaktische Dimension den besten Deutschen Sebastian Knabe am Ende von dem Tschechen, der einsam seine Kreise an der Spitze zog. Der Mann aus Halle war einer von zwei deutschen Kandidaten, auf die Claus Marek vor der Veranstaltung gesetzt hatte. Doch der 24-jährige hinterließ nicht nur auf der Bahn und den Anlagen einen enttäuschenden Eindruck, er war nach dem abschließenden 1.500-Meter-Rennen auch zu keiner Stellungnahme gegenüber den (nur noch wenigen) interessierten Medienvertretern bereit. Irgendwie symptomatisch."Ratingen hat die Wende nicht gebracht", analysierte Rüdiger Nickel, der DLV-Vize-Präsident Leistungssport. Die Wende im Monat eins nach Frank Busemann, der seit Olympia-Silber in Atlanta trotz aller Rückschläge, Verletzungen und Aufgaben stets und immer noch der unermüdliche Stoffgeber für die Journallaie und Zuschauermagnet war.
Die Erblast Busemann
In Ratingen hatte man fast den Eindruck, als wäre das "Erbe Busemann" eine erdrückende Erblast für seine bisherigen Kollegen. Dabei stellt sich gerade Frank Busemann schützend vor die deutschen Athleten. "Es macht keiner Zehnkampf, weil er keinen Spaß daran hat", sagt er, "den jungen Leuten muss Vertrauen geschenkt werden."
Damit spricht er auch den entscheidenden Aspekt an. Die ausgemachte Talsohle kann nur mit und über den Nachwuchs gemeistert werden. "Wir sind davon abhängig, was uns die Eltern vor zwanzig Jahren in die Wiege gelegt haben", stellt Claus Marek fest. Damit ist klar, auf wem das Erbe lastet.
Zum Beispiel...
Zum Beispiel auf einem Dennis Leyckes, der im Jahr 2000 bereits Junioren-Weltmeister war, aber jetzt in Ratingen wegen einer Achillessehnenverletzung fehlte. Im letzten Jahr hatte er noch mit 8.122 Punkten den nationalen Juniorentitel geholt und dabei über 300 Punkte mehr erzielt als der amtierende Deutsche Meister Florian Schönbeck, der in diesem Jahr nur in Einzeldisziplinen aufgetaucht und wohl ohne seinen alten Trainer Wolfgang Frenzl auch am Scheidepunkt seiner Karriere angelangt ist.
Zum Beispiel auf dem gleichaltrigen Lars Albert, der mit Christopher Hallmann und Andre Niklaus bei den anstehenden U23-Europameisterschaften in Bydgoszcz die deutschen Farben vertritt. "Sie sind durchaus in der Lage, 8000 Punkte zu machen", meint Claus Marek und ergänzt im Hinblick auf die WM in Paris und den letzten Hoffnungsschimmer, dort doch noch einen Zehnkämpfer an den Start zu bringen: "Das Wochenende müssen wir noch abwarten."
Keine Prognose für das nächste Jahr
Klar ist, dass nicht die alten Haudegen wie ein Mike Maczey, der in Ratingen wie schon in Götzis verletzungsbedingt aufgeben musste, oder ein Stefan Schmid, der sich derzeit auf seine Familie und sein Fitness-Studio konzentriert, gefordert sind, sondern die vermeintlichen "jungen Wilden" den Karren aus dem Morast ziehen müssen, um jene Talsohle zu durchschreiten.
"Das Niveau in diesem Jahr ist keine Prognose für das nächste Jahr", hofft Claus Marek, "es gehört aber auch ein bisschen Glück dazu. Die Athleten kommen nicht auf Kommando. Manche Sterne sind schnell verglüht." Damit das mit seinen derzeitigen, noch jungen Hoffnungsträgern nicht passiert, sollen sie nun in die Sportfördergruppe der Bundeswehr integriert werden. "Dort haben wir optimale Möglichkeiten."
Doch das allein ist noch längst keine Garantie. "Heute gibt es viele Alternativen zum Sport. Die Karriere kreiert, wer besessen ist. Nur die kommen dahin, das muss der Athlet selber machen."
Unter 8.600 Punkte ist nichts
Die wahren Besessenen residieren derzeit in der Tschechischen Republik, in den Vereinigten Staaten und nicht in Deutschland. Roman Sebrle und Tom Pappas bilden eine eigene Liga und haben einen eigenen Anspruch. "Unter 8.600 Punkte ist nichts", sagt der Weltrekordhalter aus dem östlichen Nachbarland. Für die DLV-Zehnkämpfer ist das eine ganze Menge Holz.
Jene, die es jemals geschafft haben, kann man fast noch an einer Hand abzählen: Jürgen Hingsen, Uwe Freimuth, Siegfried Wentz, Frank Busemann, Torsten Voss, Guido Kratschmer. Lang ist's her...
Aber es ist der Beweis. Auch in Deutschland gab es sie, die Besessenen dieser Preisklasse. Selbst wenn Claus Marek sagt: "Hingsen, Wentz und Kratschmer, das war eine Konstellation wie Becker und Stich im Tennis." Becker und Stich? Ach, lang ist's her!
Doch man tröstet sich! Bis im deutschen Zehnkampf wieder der Daumen nach oben zeigt, gibt es ja zum Glück noch 7.440-Punkte-Athleten wie den ursprünglich für Ratingen nur als Ersatzmann eingeplanten Kölner Kenny Beele, die frech genug sind, respektlos einem Mann wie Roman Sebrle beim Finale über 1.500 Meter die Stirn zu bieten und die Zehnkampf-Fans mit erfrischenden Auftritten zu begeistern. Danke, Kenny!