Betty Heidler - „Auf Sieg werfen“
Für die Frankfurter Hammerwerferin Betty Heidler steht ein ganz besonderer Sommer bevor. Bei der WM in ihrer Heimatstadt Berlin (15. bis 23. August) will die 25-Jährige ihren WM-Titel verteidigen. Im Interview redet die deutsche Rekordhalterin unter anderem über diesen Wettkampf, die beiden vergangenen Jahre und ihre Konkurrenz.
Betty Heidler, Sie haben Anfang März in Südafrika den Hammer mit 74,25 Metern so weit geschleudert wie seit ihrem WM-Sieg vor zwei Jahren nicht mehr – eine überraschende Frühform? Betty Heidler:Wir hatten in Südafrika die erste von zwei Trainingsspitzen in diesem Jahr, haben dort im Training viel mit leichten Geräten, aber auch mit dem Wettkampfhammer geworfen. Das hat sich positiv ausgewirkt. Etwas überraschend kam das Resultat letztlich doch, schließlich habe ich im Winter noch nie so weit geworfen. Aber man lernt dazu. Und speziell nach dem letzten Sommer habe ich mir jede Menge Gedanken gemacht. Die Trainingsleistungen waren seinerzeit sehr, sehr gut, aber ich konnte selten etwas auf das Wettkampfgerät übertragen. Jetzt bin ich im Ring etwas schneller, im Kopf lockerer geworden und meine Technik hat sich verbessert. Ich spüre nicht mehr den Krampf, dass ich mich beweisen muss.Ihr Trainer Michael Deyhle hat gesagt, Sie hätten im vergangenen Jahr zu viel Kopfarbeit geleistet.Betty Heidler:
Ich hatte im Wettkampf nie den Gedanken: Geh mal voll drauf! Sondern alle möglichen technischen Kleinigkeiten und zudem Druck aus dem Training im Kopf, wie setze ich das um? Und je länger es dauert, dass man es eben nicht umsetzt, umso zappeliger und unzufriedener wird man.Weltklasse-Hammerwurf als Reduzierung auf die Basics, ist es das?Betty Heidler: Ja. Weg vom dem Wissenschaftlichen, hin zum Einfachen. Einfach Hammerwerfen. Nur weit werfen. Und ganz vorne sein, so oft wie möglich.Für die WM 2009 in Berlin haben Sie das Motto „Ich will gewinnen“ ausgegeben. Gibt es noch irgendetwas hinzuzufügen?Betty Heidler:
Natürlich will ich meinen Titel verteidigen, das ist doch normal. Und dieses Ziel steht ja nicht irgendwo, so dass ich es nicht erreichen könnte. Auf Sieg werfen, so lautet der Slogan für das ganze Jahr 2009. Aber wenn ich bei der WM Silber oder Bronze gewinnen sollte, werde ich auch nicht unglücklich sein.Denken Sie über ihren drei Jahre alten deutschen Rekord von 76,55 Metern nach?Betty Heidler: Inwiefern sollte ich darüber nachdenken?Womöglich ist es an der Zeit, weiter zu werfen…Betty Heidler:
Ich weiß, dass ich meinen Rekord verbessern werde. Aber wann das sein wird? Vielleicht bei der WM, vielleicht nächstes Jahr.
In Berlin erwartet Sie eine doppelte Herausforderung: Betty Heidler ist Titelverteidigerin, zudem findet die WM in ihrer Heimatstadt statt.Betty Heidler:
Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, wer sich schon alles Eintrittskarten gekauft hat, um mich im Stadion zu unterstützen. Das wird schon ziemlich heftig werden, wenn ich im Ring stehe und mich alle anfeuern. Und wenn ich mir vorstelle, dass ich gewinne, oben auf dem Treppchen stehe und Zehntausende singen die Nationalhymne mit, das motiviert unglaublich.Würden Sie den Satz „Ich bin eine Berlinerin“ unterschreiben?
Betty Heidler:
Ja, ohne Einschränkung. Ich bin eine Berlinerin und werde es immer bleiben. Irgendwann werde ich auch zurückkehren nach Berlin. Ich bin jetzt acht Jahre in Frankfurt, aber meine Familie und meine Freunde fehlen mir schon sehr. Und das Großstadt-Gefühl.Frankfurt ist auch nicht gerade ein Dorf…Betty Heidler:
Auch in Frankfurt kann man gut leben. Aber es fehlt die Vielfalt, es fehlen durchgeknallte Leute. Wenn man in Berlin mit der S-Bahn hoch und runter fährt, dann sieht man Menschen…, hm, ja, es ist halt anders. Das gesamte Flair gibt einfach mehr her.Sie waren das gefeierte Gesicht der deutschen Leichtathletik bei der WM in Osaka 2007, anschließend wurde es ruhiger. Wie geht man damit um?Betty Heidler:
Damals haben viele an mir gezuppelt, ich sollte überall hin und wollte es allen Leuten recht machen. Und ich bin ein Typ, der nicht Nein sagen kann, wenn mich jemand bittet. Nein zu sagen, das habe ich oft verpasst. Dann verzettelt man sich und tanzt auf zu vielen Hochzeiten. Mir ist die Reduzierung auf das Wesentliche nicht gelungen. Das, was neben dem Sport lief, war zuviel. Und ich habe mich bei den Terminen nach anderen gerichtet und nicht umgekehrt. Damit umzugehen, war schwierig, weil ich es vorher ja so nicht kannte. Andererseits wollte ich die Situation nutzen, um den Hammerwurf in der Öffentlichkeit zu pushen. Und ich denke, das ist mir gelungen.Wie lange haben sie gebraucht, um den neunten Platz bei Olympia 2008 zu verarbeiten?Betty Heidler:
Ich hatte nach den Spielen sechs Wochen frei, die habe ich genutzt: Urlaub und weg. Ich wollte meine Trainingsgruppe, meinen Trainer und auch keinen Wurfhammer sehen.
Die Enttäuschung stellte sich mit Verzögerung ein?Betty Heidler:
Ja. Solange die Wettkämpfe im Stadion weitergingen, habe ich mich zusammengerissen, war gefangen von den Eindrücken. Die Rückschau auf den Wettkampf kam viel später.Sie sind als Polizeimeisterin freigestellt und studieren seit November Jura. Andere würden argumentieren, dass Hochleistungssport anstrengend genug sei.Betty Heidler: Das war mir zu langweilig, also musste ich etwas tun. Und das Training nimmt ja keine sieben Tage in der Woche jeweils 24 Stunden in Anspruch. Ich mache ein Teilzeitstudium, bin nicht jeden Tag an der Uni und habe nicht den Anspruch, die Beste zu sein. Aber ich habe mit anderen Leuten zu tun, die überhaupt nicht wissen, was ich sonst mache. Nur zwei Kommilitonen, die ich aus der Frankfurter Leichtathletikhalle kannte, haben mich erkannt. Ansonsten niemand, und das war total angenehm.War es eine Unterforderung, sich ausschließlich mit dem Hammerwurf zu beschäftigen?Betty Heidler:
Ja, für mich persönlich kann ich das sagen. Mein Kopf war unterfordert, definitiv. Und ich wollte nicht jeden Abend zuhause auf der Couch sitzen und mir irgendetwas in der Glotze reinziehen. Das ist nichts für mich. In der vergangenen Woche habe ich jeden Abend an einer Hausarbeit geschrieben, das ist zwar unheimlich anstrengend gewesen, aber ich hatte das Gefühl, etwas geschafft, mir etwas zum Thema angelesen zu haben, so dass ich mitreden kann.
Mitte Februar ist die Sydney-Olympiasiegerin Kamila Skolimowska im Alter von 26 Jahren gestorben. Konnten Sie diese Nachricht überhaupt begreifen? Betty Heidler:
Unsere Trainingsgruppe saß beim Frühstuck, als der Anruf mit der Todesnachricht kam. Wir konnten es nicht fassen, haben uns angeguckt und gesagt: Was ist denn jetzt los? Meinem Trainer sind spontan die Tränen gekommen. Bei Olympia in Peking bin ich mit Kamila gemeinsam aus dem Stadion gegangen und wir haben uns über die Qualifikation unterhalten. Und ich habe ein Bild aus Irland, wo wir Arm in Arm vor dem Wurfkäfig stehen. Wir haben eine Karte an die Eltern geschrieben, und eine Kollegin ist bei der Beerdigung gewesen. Kamila war immer bei allen Wettkämpfen dabei, das wird schon komisch jetzt.Demnächst kehrt die Dopingsünderin und Weltrekordhalterin Tatjana Lysenko in den Ring zurück. Wie treten Sie der Russin gegenüber?Betty Heidler:
Ob sie da ist oder nicht, interessiert mich eigentlich weniger. Es sind im Weltklassebereich ohnehin ausreichend viele Konkurrentinnen vorhanden. Aber ich werde mich schon anders verhalten als bei anderen, die nicht gedopt haben. Sie selbst verhält sich aber auch anders. Von Tatjana dürfte ein „Hallo“ kommen, mehr nicht. Aber sie ignorieren oder ihr den Rücken zudrehen werde ich nicht.Haben Sie grundsätzlich ein ungutes Gefühl, wenn von Hammerwerfen in Russland die Rede ist?Betty Heidler:
Um ehrlich zu sein: Ja. Nicht zwangsläufig im Zusammenhang mit Doping, denn wir haben die Russen auch im Training gesehen. Sie trainieren ziemlich hart, und nur allein mit Doping ist niemand erfolgreich. Ich respektiere, wie hart die Russen arbeiten können. Aber wir hatten vor zwei Jahren einen Wettkampf in Moskau, und da haben wir uns richtig beschissen gefühlt. Wörtlich beschissen, vermessen. Ich habe einen meiner besten Wettkämpfe gemacht, am besten gedreht, und soll nur zwischen 70 und 71 Meter geworfen haben. Es gab keine elektronische, lediglich eine Handmessung mit dem Maßband. Diese Veranstaltung gebe ich mir nicht noch einmal. Was auch gar nicht gehen würde, denn nachdem Tatjana Lysenko positiv getestet wurde, fand Hammerwerfen bei diesem Meeting nicht mehr statt.