Pavla Hamackova - Arm an Talent, reich an Erfolg
Ein tschechischer Sportjournalist hat nach dem Gewinn der Bronzemedaille bei der Weltmeisterschaft in Helsinki über die Stabhochspringerin Pavla Hamackova geschrieben, sie sei "kein Talent von Gottes Gnaden, aber eine willensstarke und emsige Athletin". Die 27-Jährige nickt zustimmend, als sie das hört.
Pavla Hamackova hat sich auf so manchen Gipfel gekämpft (Foto: Privat)
"Ich bin Pavla Hamackova und ich will nach Sydney", mit diesen Worten stellte sie sich vor neun Jahren als unbekannter tschechischer Teenager dem Prager Leichtathletik-Trainer Boleslav Patera vor. "Jetzt lachen wir oft darüber", sagt sie.Immerhin sah sie damals mit ihrer Brille auf der Nase nach allem anderen aus, nur nicht nach einer kommenden Spitzensportlerin, die Medaillen für ihr Land, die Tschechische Republik, gewinnen würde. "Ich wollte einfach nach Sydney, weil ich noch nie dort war", erinnert sie sich und deutet an, dass sie selbst nicht so recht daran glauben wollte, dass sie es wirklich zu Olympischen Spielen würde schaffen können.
Sie hatte es in ihrer Jugend über die Hürden versucht, im Siebenkampf ebenso. "Ich konnte alles ein bisschen, aber nichts richtig gut. Es war nichts Besonderes." Also probierte sie sich im Stabhochsprung aus. Mit 16, einfach mal so. Sechs Monate lang. Wenig später stellte sie ein paar Parallelen zur damaligen tschechischen Vorspringerin Daniela Bartova fest und begann damit, an eine fixe Idee zu glauben.
Erstaunliche Diskrepanz
Mit 18 tat sie dann den entscheidenden Schritt. Sie ging nach Prag zu ihrem neuen Coach, von dem sie noch heute schwärmt, und fing dort an zu studieren. "Mein Trainer glaubte, ich könnte vielleicht vier Meter oder 4,20 Meter springen." Heute hält sie mit 4,60 Metern den tschechischen Rekord.
Diese krasse und im Spitzensport selten zu findende Diskrepanz zwischen ihrer Selbsteinschätzung, der Meinung anderer über sie und dem, was sie in den letzten neun Jahren im Sport erreicht hat, ist die erstaunliche Geschichte der Pavla Hamackova, die ein Stück weit Bodenständigkeit ausstrahlt.
Dabei war das nicht immer so, wie sie unumwunden zugibt. Sie war der Versuchung verfallen, sich einem verzerrten Weltbild hinzugeben. "Ich habe mich nie als Star gefühlt, aber manchmal dachte ich schon, ich sei etwas Besseres als die Leute, die arbeitslos sind oder die acht Stunden am Tag an einer Kasse stehen."
Lehrreiche Zeit
Doch diese Sichtweise hat sie heute nicht mehr. Die letzten Jahre, in denen sie mit hartnäckigen Achillessehnenproblemen kämpfte, haben sie verändert. Es war für sie eine schwierige Zeit. Auch eine lehrreiche.
"Ich war lange ohne Probleme", erinnert sie sich. Dann kam die Verletzung ("Ich konnte nicht mehr laufen"), für die keine Ursache zu finden war. Sie nahm auch psychologische Hilfe in Anspruch. In dem Tal, durch das sie gehen musste, öffneten sich ihr die Augen. "Die Leichtathletik ist keine reale Welt. Man ist verletzt und verschwindet damit ganz einfach von der Bildfläche", stellt sie nun mit etwas Abstand fest. "Für mich ging es in dieser Zeit darum, die echte Pavla zu finden."
Suchen und finden, ein gutes Stichwort. Viele Menschen glauben, dass etwas Schlechtes auch etwas Gutes mit sich bringen würde. Pavla Hamackova ergänzt: "Man muss das Gute finden."
"Nur eine Zeit für Besonderes"
Die nur 1,70 Meter große Sportlerin, die aus Verbundenheit zu ihrem Trainer nie der Verlockung verfallen ist, im Ausland ihr Glück zu versuchen, philosophiert gerne. "Man hat nur ein Leben und nur eine Zeit für ganz besondere Dinge." Mit ihren Freunden diskutiert sie auch schon mal desöfteren über die Rolle der Frau in der Gesellschaft. "Warum müssen wir alle dem nacheifern, was die Männer machen?" Mit solchen Themen beschäftigt sie sich.
"Wenn die politische Wende nicht gekommen wäre", sagt sie, "dann wäre ich heute vielleicht eine Sportlehrerin." Man nimmt ihr das ab, wenn man sie an einem kalten Novemberabend in Prag trifft. Mit ihren bescheidenen, etwas rötlich gefärbten Locken, der ungewohnten Brille und in ihrem Strickpulli, kann man das sich gut vorstellen. Ein wenig unscheinbar, aber sehr sympathisch wirkt sie. Man hat den Eindruck, Pavla Hamackova, die sich selbst als ein "Mädchen des Kommunismus", aber ihre Familie als "unpolitisch" beschreibt, ist ein Mensch, natürlich, einfach so, wie blindlings aus der Menge gegriffen.
Sie hat studiert und ist eine ausgebildete Physiotherapeutin. Sinnfragen kommen also aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz. Sie praktiziert auch neben dem Leistungssport, den sie möglicherweise schon bald aufgeben will. "Ich fühle mich schon ein wenig alt", sagt sie mit gerade mal 27 Jahren, "ich will eine Familie gründen, vielleicht einen Halbtagsjob annehmen. Das hängt aber auch von meinem Ehemann ab." Dabei hat sie gerade erst im Frühjahr eine Beziehung beendet ("Das war für mich eine Zeit der Gefühle") und eine neue angefangen.
Häuschen vor den Bergen
Man merkt, sie möchte die Weichen in Richtung Zukunft stellen und ein paar Ideen verwirklichen. Die Tschechin, die später gerne in Liberec vor den Bergen ein Haus bauen würde, ist realistisch und blickt unverblümt voraus: "Es ist schwer, mit 35 einen Job zu finden, wenn man keine Erfahrung hat. Dass man dann sieben Mal bei Weltmeisterschaften war, interessiert da keinen."
Vielleicht engagiert sie sich mehr im Fitnessbereich. Sie hat sich das Hintergrundwissen dafür angeeignet. Oder aber sie steigt mit einer eigenen Agentur ins Sportmanagement ein. Auch da hat sie ihre eigenen Erfahrungen gemacht: "Ich mag es nicht, wenn man nur ein Teil des Geschäfts ist. Ich bin Pavla Hamackova, ein Mensch." Vielleicht würde sie es als Managerin alleine schon deshalb anders machen. Einen anderen Umgang verwirklichen.
Noch ist Pavla Hamackova, die gerne mal liest oder Klavier spielt, sonst allerdings vor allem sportliche Hobbies hat, aber selbst aktiv und damit auf der anderen Seite Teil des Leichtathletik-Business. Mit dem überraschenden dritten Platz in Helsinki ("Ich dachte nie daran, eine Medaille zu gewinnen") hat sie ihren Marktwert gesteigert, aber wen interessiert's?
Karriere fast vorbei
Mit Sponsoren ist es für sie nicht einfach. Bei der Experten-Wahl zum tschechischen "Leichtathleten des Jahres" musste sie mit Platz vier Vorlieb nehmen. Viele Tschechen kennen ihren Namen, aber nur wenige erkennen sie auf der Straße. Pavla Hamackova winkt sofort ab, wenn sie an die Gehälter denkt, die etwa im Fußball gezahlt werden. Bei ihrem Verein Dukla Prag muss sie sich jedes Jahr auf's Neue mit ihren sportlichen Leistungen für eine Verlängerung des Jahresvertrages mit dem Salär einer Lehrerin aus der Kasse des Schulministeriums empfehlen.
Sie hat nun auch eine andere Einstellung, sagt ganz einfach: "Jetzt fange ich an, mit der Leichtathletik Spaß zu haben." Trotzdem betont die Pragerin, die zwei Schwestern hat, immer wieder: "Meine Karriere ist fast vorbei." Und ergänzt: "Ich habe nichts mehr zu verlieren. Ich war fast am Ende, deshalb könnte ich sofort aufhören. Ich habe zwar noch Träume, aber ich wäre nicht unzufrieden, wenn es vorbei wäre."
Die Zeit des Abschieds naht zwangsläufig mit der in die Spitze drängenden neuen Generation an Athletinnen wie Yelena Isinbayeva (Russland) oder Anna Rogowska (Polen), die den Stabhochsprung perfektionieren, die eine Kombination von Schnelligkeit und Technik mitbringen, wie man sie vor Jahren, als Pavla Hamackova bereits mitmischte, noch nicht kannte.
Skepsis und Zweifel
Wenn die frühere Hallen-Europameisterin und Hallen-Weltmeisterin über Yelena Isinbayeva spricht, dann schwingt ob deren Leistungen auch ein wenig Skepsis mit. "Ich würde gerne mal sehen, wie viel sie trainiert, wie viel Technik, wie viel Kraft. Das wäre sehr interessant für mich."
Sie wundert sich, wenn sie hört, dass Yelena Isinbayeva einen Tag Zeit gehabt haben soll, eine Dopingkontrolle abzugeben. Und sie ärgert sich ein wenig. Schließlich musste sie sich einmal gegenüber dem Weltverband IAAF rechtfertigen, weil sie bei einer unangemeldeten Trainingskontrolle eineinhalb Stunden von Prag entfernt war und die Kontrolleure nicht auf ihre Rückkehr am Abend warten wollten.
Trotz gelegentlicher Zweifel sieht Pavla Hamackova im Stabhochsprung kein ausgesprochenes Dopingproblem. Sie sagt aber: "Wenn ich Läuferin wäre, hätte ich deshalb schon aufgehört."
Allrounderin
Auch wenn das nahende Karriereende immer wieder bei ihr als ernstzunehmendes Gedankenspiel durchklingt, ihr fehlendes Talent hielt sie in den letzten neun Jahren aber ebenso wenig davon ab, mit dem Sport weiterzumachen wie ihre Verletzungsmisere.
"Ich war nie hundertprozentig eine Stabhochspringerin. Ich bin Allrounderin im Sport", sprudelt es aus der guten Skiläuferin und Hobbykletterin heraus. "Mein Anlauf ist nicht gut, viele lachen mich aus. Aber ich habe mich daran gewöhnt."
Alleine durch die fehlende Schnelligkeit würde sie im Vergleich zu Yelena Isinbayeva 50 Zentimeter Höhenpotenzial verlieren. Wettzumachen versucht sie das durch eine glänzende Technik. Sie hat sich immer wieder von ähnlichen Athletentypen etwas abgeschaut. Nicht Weltrekordhalter Sergej, sondern dessen Bruder Vassili Bubka war eine Orientierungshilfe. "Er war nicht schnell, aber er ist hoch gesprungen." Im Stabhochsprung müsse man lernen, unlogische Dinge zu tun. Man könne schon gute Höhen erreichen, wenn alles einigermaßen passe. "Aber dann muss man es perfekt machen."
Nie die Tricks vergessen
Pavla Hamackova, die im DLV-Lager ganz besonders die Mainzerin Carolin Hingst schätzt, weil es zwischen ihnen viele Gemeinsamkeiten gibt und deren Kollegin Yvonne Buschbaum "großes Talent" attestiert, sagt heute zufrieden: "Ich bin immer das gesprungen, was ich konnte." Das ist auch ihr Erfolgsgeheimnis. Während ihre Konkurrentinnen bei Großereignissen ihr Leistungsvermögen nicht abrufen konnten, war sie da. "Ich vergesse nie meine Tricks." So wurde sie 2000 in Gent Hallen-Europameisterin, ein Jahr später in Lissabon Hallen-Weltmeisterin und jetzt im August in Helsinki WM-Dritte.
Gerne würde sie noch ihren eigenen tschechischen Rekord verbessern. "4,70 oder 4,75 Meter kann ich springen, aber 4,80 Meter eher nicht", bleibt sie wieder realistisch. Die magischen fünf Meter waren also für sie demnach nie ein Thema. "Ich habe mir nie erlaubt, an solche Höhen zu denken. Wer zuviel träumt, vergisst zu arbeiten. Wenn Yelena Isinbayeva springt, fühle ich mich wie ein Fernsehzuschauer."
Den historischen Satz der Olympiasiegerin und Weltmeisterin über diese faszinierende Höhe in diesem Sommer in London hat sie aber ganz genau verfolgt und analysiert. "Da habe ich bei ihr zum ersten Mal gesehen, dass sie um die Zentimeter kämpfen musste."
"Es war ein langer Weg"
Es ist das Gefühl, um Nuancen fighten zu wollen, das vielleicht keine andere Stabhochspringerin der Weltspitze besser kennt als Pavla Hamackova. "Ich muss immer am Stab arbeiten", sagt sie. Ihr sind die Höhen, die sie gesprungen ist, nicht in den Schoß gefallen. Praktisch jeden Tag, oft auch zweimal an einem Tag, trainiert sie. "Um besser zu werden" und nicht einfach nur des Trainings wegen, wie sie betont.
Deshalb hat sie sich auch Respekt und Anerkennung verdient für jenen Erfolg, den sie mit ihrem wenigen Talent, das sie in die Wiege gelegt bekam, erreichen konnte. Die Arbeit, die sie in ihre Erfolge gesteckt hat, kommt zum Ausdruck, wenn sie feststellt: "Es war ein langer Weg."
Und dann sagt Pavla Hamackova noch: "Ich bin der Leichtathletik dankbar, weil ich mich dadurch als Mensch viel verändert habe." Bei ihr geht es eben nicht nur um den Sport.