Big In Japan - Der WM-Blog
Die Weltmeisterschaft in Osaka (25. August bis 2. September) ist eine Herausforderung in vielerlei Hinsicht. Im WM-Blog "Big In Japan" bekommen Sie auf leichtathletik.de einen exklusiven Einblick in den WM-Alltag in Japan und ganz persönliche Eindrücke.

Die Japaner gehen ihrer Wege
Schüchtern aber neugierigZu Beginn der WM machte unter den deutschsprachigen Journalisten hier in Osaka, die Gastgeber betreffend, nach vielen Startschwierigkeiten die Charakterisierung "Freundlich aber ahnungslos" die Runde. Inzwischen verstärkt sich zumindest bei mir darüber hinaus ein Eindruck von "Schüchtern aber neugierig", was wiederum ein Gegensatz ist, in dem die Japaner gefangen zu sein scheinen.
Man muss nämlich schon sehr genau aufpassen, um festzustellen, dass die Japaner schon ein wenig neugierig auf ihre ausländischen Gäste sind. Zeigen tun sie das nämlich im Alltag ganz und gar nicht. Läuft man durch die Innenstadt, dann ist das nicht anders als daheim. Es wird kaum von einem Notiz genommen. Was mir immer noch ein riesiges Rätsel ist, das ich wohl auch in der zweiten WM-Hälfte kaum lösen werde können.
Denn mit 1,93 Metern Körpergröße überrage ich als stattlicher Niederbayer die ganzen Japaner doch um einen Kopf oder sogar mehr und sehe – zumindest glaube ich das – schon recht unasiatisch aus. Trotzdem kann ich unbemerkt meiner Wege gehen. Das ist im Prinzip ja sehr angenehm, aber…
Stadion - Freundlichkeit allerortens
Im Stadion schlägt das dann ins glatte Gegenteil um. Dort geben die Japaner richtig Gas. Sprudeln förmlich über und gehen auf in ihrer (Gast)Freundlichkeit, was anfangs sehr gewöhnungsbedürftig und auch anstrengend war.
Die Schweizer Siebenkämpferin Linda Züblin hatte schon in der letzten Woche zu mir gesagt: "Die Japaner sind so freundlich, das kann nicht mehr gesund sein." Naja, immerhin haben die Japaner die höchste Lebenserwartung, aber auch die höchste Selbstmordrate der Welt, wie ich vernommen habe. Auf den zweiten Blick, aber erst dann, macht deshalb die Theorie der Eidgenossin schon Sinn.
Auf jeden Fall taucht man, sobald man sich dem Nagai-Stadion nähert, aus dieser Glocke des vermeintlichen Unbemerktseins auf und ein in eine schier unfassbare und nur schwer zu verarbeitende Masse von Helfern, Offiziellen und Beamten, die einem den Weg weisen, immer grüßen und lächeln, auf einen einreden (nach wie vor fast immer in Japanisch) und irgendetwas von einem wollen oder zumindest so tun.
Eine neugierige Japanerin
Bis vor zwei, drei Tagen war dieser Kontrast zwischen hier und dort wirklich frappierend für mich. Inzwischen glaube ich aber einfach, dass sowohl das eine wie das andere etwas mit dem japanischen Anstand und der Höflichkeit zu tun hat. Man will hier, wo jeder seines Weges sucht, nicht aufdringlich, sondern respektvoll, aber dort, wo man sich begegnet, sehr entgegenkommend sein.
Eine besondere Begegnung hatte ich vor zwei Tagen aber doch in der Metro. Mit mir stieg eine junge Frau, die sich wenig später als 24 Jahre alte, in 61 Sekunden Hürden laufende und in Nagoya lebende Studentin herausstellte, in einem "Japan"-Shirt in die Metro ein. Dort fing sie dann, angesichts meiner gelben WM-Akkreditierung von völliger Neugierde gepackt, an, auf mich und später auch auf einen britischen Manager einzureden und allerlei Fragen zu stellen. Möglich war das aber nur, weil sie dreieinhalb Jahre in Kanada gelebt hatte und so perfekt Englisch beherrschte, was sie ohne Rücksicht auf Verluste ausspielte.
Ich war erstaunt, es war die erste und bislang einzige neugierige Japanerin, die mir über den Weg gelaufen war. Immerhin eine Woche hatte es bis zum ersten vernünftigen Gespräch mit einer Einheimischen, abgesehen von der sympathischen Helferin Naomi natürlich, über die an dieser Stelle schon zu lesen war, gedauert. Eine seltsame Begegnung war es dennoch. Ihr westlicher Einfluss war unübersehbar, was sich aber auch in einer gewissen Distanz im Gespräch auszudrücken schien.
Deutsch? Alarmglocken!
So neugierig sie war, so verschüchtert war ihre Freundin, die sie begleitete und wortlos die Gespräche aufmerksam verfolgt und wohl auch verstanden hatte. Als sie mir nämlich erklärte, dass ihre Freundin Deutsch studieren würde, gingen bei der jungen Dame die Alarmglocken los. In der Befürchtung, dass ich nun von ihr verlangen könnte, sie solle doch Deutsch reden, erstickte sie wild gestikulierend und peinlich berührt jeden Gedanken daran im Keim. Einer weitergehenden Kommunikation war damit die Grundlage genommen. Dabei hätte ich doch noch so viele ungeklärte Fragen zu Land und Leuten…
Schüchtern aber neugierig, zwei Eigenschaften, die sich nur wenig miteinander vertragen. In diesem Konflikt scheinen die Japaner hier an der ein oder anderen Stelle gefangen.
Sympathischer werden sie mir aber im Laufe der Zeit in Osaka nun doch, nachdem die ersten Barrieren eingerissen sind und inzwischen auch die Hotelrezeptionisten nicht nur freundlich, sondern auch herzlich lächeln und sich an meine Zimmernummer zu erinnern scheinen.
Christian Fuchs ist Projektleiter von leichtathletik.de und berichtet für das Internetportal von der Weltmeisterschaft in Osaka.
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