Claudia Tonn und versteckte Motivationsappelle
Manchmal schlüpft Claudia Tonn in einen Schuh und findet etwas. Einen Zettel, eine versteckte Botschaft. "Hau rein!" steht da zum Beispiel drauf. In einem besonders wichtigen Moment, vor dem Speerwurf, ihrer Sorgendisziplin, etwa. Versteckt von ihrem Freund. Sie nennt es "Motivationsappelle". Ein Wettkampfkitzel, diese heimlichen Nachrichten, die ihren Zweck nicht verfehlt haben, denn die 23-jährige Siebenkämpferin fährt nun überraschend im August zu den Olympischen Spielen nach Athen.
Claudia Tonn überraschte die Siebenkampf-Szene in Ratingen (Foto: Klaue)
Beim ruhrgas DLV-Mehrkampf-Meeting in Ratingen reihte sie vor einer Woche eine Bestleistung an die nächste. Am Ende waren es 6.169 Punkte, die da nach sieben Disziplinen zu Buche standen. Eine Verbesserung von fast 300 Punkten im Vergleich zu ihrem bisherigen Hausrekord, den sie erst an Pfingsten in Götzis aufgestellt hatte.Der Leistungssprung kam für sie selber ein bisschen plötzlich. "Ich suche selber noch nach Erklärungen", sagt Claudia Tonn auch jetzt noch, ein paar Tage danach, "ich hatte davor sogar noch Rückenprobleme und war mehr bei der Krankengymnastik-Praxis als auf dem Sportplatz. Deshalb kam das schon sehr überraschend."
Nicht ganz einfach war die Situation für sie, als der Endstand in Ratingen auf der Anzeigetafel stand. Sie selbst im DLV-Vergleich auf der Zwei, die Olympianorm in der Tasche. Ihre Trainingskollegin Lilli Schwarzkopf, mit der sie zusammen das abschließende 800-Meter-Rennen bestimmt und vorher auch taktisch abgesprochen hatte, auf der Vier. Lächerliche vier Punkte hinter Karin Ertl. Aus der Traum für die eine, die Fahrkarte für die andere.
Undankbare Vierte bei der U23-EM
"Ich hätte es ihr gegönnt, wir wären gerne zusammen nach Athen gefahren", sagt Claudia Tonn, für die zusätzliche Brisanz dadurch entstand, dass Reinhold Schwarzkopf, der Vater von Lilli, beide Athletinnen trainiert. Der Coach ging am Montag nach Ratingen erst einmal zum Angeln, um nach diesem Mehrkampf-Drama seine Nerven wieder zu beruhigen.
Claudia Tonn hat auch die Nominierungsdiskussion um Lilli Schwarzkopf im leichtathletik.de-Forum verfolgt. "Ich bin froh, dass ich zweitbeste und nicht drittbeste Deutsche bin. Dann würde die Frage aufgeworfen, ob Lilli oder ich fahren soll."
Die 23-jährige kennt dabei das Gefühl der undankbaren Vierten bestens. Bei der U23-EM in Bydgoszcz verpasste sie im letzten Jahr das Podest trotz einer neuen Bestleistung. "Da habe ich geheult wie ein Schlosshund", erinnert sie sich, "ich hatte mich über die Hürden verletzt, sonst wäre ich da dicke auf dem Podest gewesen."
Gewöhnungsbedürftiges Riesenevent
Der Einsatz in Polen war trotzdem ihre bisher wichtigste internationale Bewährungsprobe. Jetzt hat sie ihr Olympiaticket gebucht. Und Claudia Tonn ist gespannt auf Athen, auf die ganz große Bühne. "Endlich mal ein richtig volles Stadion", spürt sie schon ein bisschen das Kribbeln, "das ist natürlich ein Riesenevent, daran muss ich mich erst gewöhnen."
Für sie steht dann im Vordergrund, die Leistung von Ratingen noch einmal zu bestätigen. "Zweitbeste Deutsche zu sein, ist mein Ziel. Natürlich wäre es auch schön, als Beste nach Hause zu fahren. Aber dafür bin ich zu sehr realistisch."
Die bisher größte Kulisse erlebte sie in diesem Jahr in Götzis. Dort kreuzten sich dann auch zum ersten Mal ihre Wege mit denen von der schwedischen Weltmeisterin Carolina Klüft, die auf Claudia Tonn großen Eindruck machte. "Sie ist eine Weltklasseathletin, die auch für gute Stimmung sorgt. Ich habe schon noch Respekt vor solchen Riesenathletinnen."
Siebenkampf macht Spaß
Die Bielefelder Studentin (Pflege und Gesundheit), die schon eine abgeschlossene Physiotherapie-Ausbildung in der Tasche hat, weiß, dass sie noch ein Stück von der Weltspitze trennt. Sie weiß auch, wo ihre Schwächen liegen. Vor allem im Speerwurf. "Ich mache mir dort viele Punkte kaputt. Im Speer muss ich noch was tun. Dabei müsste ich es mit meinem Hebel gut können. Ich kriege einfach die Technik nicht gebacken." Deshalb muss sie sich auch schon mal anhören, dass man mit einem solchen Speerwurf keine Weltklasseathletin werden könne. Sie akzeptiert das. Noch. Schließlich will sie es bald besser machen und die 40 vor dem Komma haben.
Ihr Allroundtalent wurde bereits als kleines Kind entdeckt. "Meine Trainer haben damals schon gesehen, dass ich in allen Disziplinen Talent habe." Deshalb stand trotz ihrer Stärken im Weitsprung und über 800 Meter nie eine Spezialisierung zur Debatte: "Der Siebenkampf macht mir soviel Spaß." Es war wohl die richtige Entscheidung. Claudia Tonn steckt auch die Belastung gut weg. "Ich habe nie Wehwehchen und musste noch nie großartig pausieren." Sicherlich ein Schlüssel zum Erfolg.
Trotzdem will sie nicht nur auf den Leistungssport setzen. Neben ihrer Siebenkampf-Karriere treibt sie auch ihre berufliche Ausbildung weiter voran. "Ich gehe oft morgens um Sieben aus dem Haus und komme erst am Abend um Zehn wieder nach Hause." Bis 2006 möchte sie noch studieren. Auch für die Zeit danach steht trotz des Olympiaziels 2008 fest: "Ich will auf keinen Fall nur Sport machen, ich brauche Abwechslung." Dafür nimmt sie auch in Kauf, dass sie seit ein paar Jahren schon keinen richtigen Urlaub mehr machen konnte.
Physiotherapie-Praxis in Süddeutschland
Beruflich hat sie schon eine ungefähre Vorstellung davon, was sie will. Eine eigene Physiotherapie-Praxis in Süddeutschland, das wär was für Claudia Tonn. Denn für den Süden hat sie ein Faible. "Da sind die Leute so cool." Diese Meinung kommt nicht von ungefähr, ist ihre Mutter doch eine gebürtige Münchnerin, die Mentalität hat sie also im Blut.
Zielstrebigkeit schreibt Claudia Tonn, die sich selbst als "nicht immer leichte Person, mit der man sehr viel Geduld haben muss" beschreibt, jedenfalls ganz groß. "Ich schiebe nur sehr wenig auf."
Sportlich braucht sie jetzt erst einmal nichts mehr aufzuschieben. Denn mit der Olympiateilnahme im August hat sie sich schon einen ganz großen Wunsch erfüllt. Und mit den richtigen Motivationsappellen in ihren Schuhen und Spikes wird der nötige Wettkampfkitzel für die nächsten Top-Leistungen wohl auch in Zukunft nicht fehlen.