Brigitte Kraus - "Wettkampf das beste Training"
In Sachen deutsche Meistertitel macht Brigitte Kraus niemand etwas vor. 63 Mal durfte sich die heute 54-Jährige über den Gewinn eines nationalen Titels freuen - Rekord. Ihren größten Erfolg feierte sie 1983 mit dem Gewinn der WM-Silbermedaille über 3.000 Meter in einer Zeit von 8:35,11 Minuten. Im Interview spricht die dreimalige Hallen-Europameisterin über ihr damaliges Training, fehlende Talentförderung in den Schulen und verrät, was sie von der Trainingswissenschaft hält.
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Brigitte Kraus wurde am 12. August 1956 in Bensberg, in der Nähe von Köln geboren, wo die mittlerweile 54-Jährige auch heute noch lebt. In den Siebziger und Achtziger Jahren zählte sie zu den besten Mittelstreckenläuferinnen. Ihre insgesamt 63 deutsche Meistertitel sind nach wie vor unerreicht. Ihren international größten Erfolg feierte Brigitte Kraus 1983. Bei den Weltmeisterschaften in Helsinki (Finnland) gewann sie in 8:35,11 Minuten Silber über 3.000 Meter. Zudem holte sie insgesamt drei Hallen-EM-Titel und nahm an den Olympischen Spielen 1976 und 1984 teil. 1978 stellte Brigitte Kraus in Dortmund in einer Zeit von 2:34,8 Minuten eine Weltbestmarke über 1.000 Meter auf, die lange Bestand hatte. Eine 1.500-Meter-Zeit unter vier Minuten blieb ihr jedoch vermehrt. 4:01,54 Minuten können sich aber dennoch sehen lassen.
Brigitte Kraus trainierte zu ihrer Zeit mehr nach Gefühl als nach wissenschaftlichen Erkenntnissen (Foto: Chai) Brigitte Kraus, wie schafft man es denn 63 Mal Deutsche Meisterin zu werden?
Brigitte Kraus:
Was braucht man dazu? Gute Frage. Vor allem Ausdauer und Durchhaltevermögen und man muss schon relativ früh anfangen zu gewinnen. Ich habe 1969 mit dem Laufen begonnen und bin dann schon ein eineinhalb Jahre später Deutsche Jugendmeisterin geworden.
Wie sind Sie zum Laufen gekommen?
Brigitte Kraus:
Ich hatte das Glück, dass ich von der Schule gefördert wurde. Ich wurde bei den Bundesjugendspielen entdeckt. Nach dem üblichen Vierkampf durfte jeder noch 600 Meter laufen. Das war alles damals noch freiwillig. Ich bin mitgelaufen und bin dann Fünfte oder Sechste geworden, war aber im Sportunterricht immer schon auffällig. Daraufhin hat mein Lehrer einen Brief an meine Eltern geschrieben, ob sie mich nicht in einen Verein stecken und mich fördern wollten. Einen Tag später bin ich dann in Bensberg in den Verein eingetreten.
Glauben Sie, dass heute generell zu wenige Talente über die Schule entdeckt und gefördert werden?
Brigitte Kraus:
Ja, auf jeden Fall. Ich habe einen 15 Jahre alten Sohn und was die in der Schule im Sport machen, das möchte ich gar nicht erzählen. Ich denke, dass von den Schulen viel zu wenig kommt. Es gibt sicherlich einige schlummernde Talente, die einfach nicht entdeckt werden.
Sie sind früher die 1.500 Meter in 4:01,54 Minuten gelaufen und können reihenweise Zeiten unter 4:10 Minuten aufweisen. Mittlerweile ist es fünf Jahre her, dass eine deutsche Läuferin diese Distanz unter 4:10 Minuten zurückgelegt hat. Woran liegt dies Ihrer Meinung?
Brigitte Kraus:
Diese Frage habe ich mir auch schon sehr oft gestellt und ich muss sagen, ich weiß es nicht. Vielleicht arbeitet die Leichtathletik mittlerweile schon zu wissenschaftlich und es wäre besser hin und wieder einfach zu trainieren.
Waren Sie denn keine Athletin, die streng nach Trainingsplan und wissenschaftlichen Kenntnissen trainiert hat?
Brigitte Kraus:
Ich hatte das Glück, dass ich einen sehr guten Trainer hatte, der mich meine ganze Karriere gut aufgebaut hat. Wir haben natürlich auch diese ganzen sportärztlichen Untersuchungen gemacht, schon alleine um die Unterstützung der Sporthilfe zu bekommen und um sicher zu gehen, dass gesundheitlich alles in Ordnung ist. Aber wir haben nie eine Wissenschaft daraus gemacht. Das war für mich immer ein Horror. Ich wollte einfach nur laufen. Zum Glück hatte mein Trainer einfach auch ein gutes Händchen.
Sie sind die 1.000 Meter gut gelaufen, aber auch die 3.000 Meter, wo Sie 1983 WM-Silber gewannen. War Ihr Training mehr umfang- oder eher geschwindigkeitsorientiert?
Brigitte Kraus:
Ich war immer ein Ausdauermuffel. Die längste Strecke, die ich im Training gelaufen bin, war zwischen 15 und 20 Kilometer, wobei 20 Kilometer die absolute Ausnahme waren. Ich war eigentlich immer eine Bahnläuferin.
Wie viele Trainingseinheiten haben Sie zu Ihren Spitzenzeit pro Woche absolviert?
Brigitte Kraus:
Sieben bis zehn, drei bis viermal davon auf der Bahn. Allerdings habe ich auch immer ziemlich viele intensive Sachen im Wald oder am Hügel gemacht. Man braucht ja nicht alles auf der Bahn zu machen.
Wie sah es in Sachen Höhentrainingslagern aus?
Brigitte Kraus:
Davon war ich nie ein großer Fan. Ich habe das immer nur sehr ungern gemacht, weil ich mich aus diesem ganzen wissenschaftlichen Kram raushalten wollte. Zwei, dreimal bin ich dann aber doch mit nach St. Moritz gefahren. Das ist mir am Anfang sehr schwer gefallen und ich bin dann auch direkt krank geworden. Allerdings habe ich unmittelbar nach dem Höhentrainingslager auch meinen größten Erfolg gefeiert. Es hat also doch etwas geholfen.
Mittelstreckler sind normalerweise nicht gerade begeistert von Crossläufen. Sie waren immerhin einige Mal Deutsche Crossmeisterin. Welchen Stellenwert hatte der Crosslauf für Sie?
Brigitte Kraus:
Eigentlich gar keinen. Ich bin einfach immer nur für Trainingszwecke mitgelaufen.
Waren Sie denn jemand, der viele Wettkämpfe bestritten hat, oder jemand, der sich auf wenige Starts konzentriert hat?
Brigitte Kraus:
Ich war eher eine Vielstarterin. Wettkampf ist ganz einfach das beste Training, das man machen kann.
Haben Sie während ihrer Leistungssportkarriere auch noch etwas anderes gemacht?
Brigitte Kraus:
Ich habe gearbeitet. Erst habe ich eine Ausbildung als technische Zeichnerin gemacht und dann habe ich 16 Jahre lang bei einer Firma gearbeitet, bis diese Bankrott ging.
Wie sind Sie mit der Doppelbelastung aus Sport und Beruf zurecht gekommen?
Brigitte Kraus:
Ich hatte großes Glück. Ich sage heute noch, dass meine Firma mein größter Sponsor war. Ich habe dort nur halbtags gearbeitet. Dadurch konnte ich vor der Arbeit und dann wieder nachmittags nach der Arbeit trainieren. Außerdem wurde ich für alle Trainingslager und Wettkämpfe freigestellt.
Stand es für Sie zur Diskussion vorzeitig mit dem Leistungssport aufzuhören?
Brigitte Kraus:
Nein. Ein einziges Mal hatte ich große Probleme mit Heuschnupfen und ich konnte nicht richtig trainieren. Da habe ich mich dann schon gefragt, warum ich das eigentlich alles mache. Aber Gott sei Dank habe ich mich dann schnell wieder aufgerappelt und habe mich dann auch weiterentwickelt. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt meine Leistungsfähigkeit einfach noch nicht ausgeschöpft und wollte deswegen auch nicht aufhören. Man hört nicht auf, wenn man noch nicht das erreicht hat, was man erreichen kann.
Sie sind auch heute mit Ihren Tätigkeiten beim ASV Köln der Leichtathletik treu geblieben. Unterscheiden sich denn jugendliche Athleten von heute zu denen von früher?
Brigitte Kraus:
Ich arbeite dort ja mittlerweile im Fitnessbereich und bekomme nicht so viel mit, was in den Leichtathletik-Gruppen passiert. Ich denke aber, dass die jugendlichen Athleten zu viel alleine rumwurschteln, ohne dass ein wirkliches Konzept dahinter steht.
Das Interview mit Brigitte Kraus ist Teil einer leichtathletik.de-Serie zum Thema "Laufexperten", die vor allem die Brücke von vergangenen Erfolgen zur momentanen Lage im Laufbereich schlagen, Einschätzungen und Anregungen geben soll.
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