Carolin Hingst - „Wusste, ich komm drüber!“
Carolin Hingst strafte ihre Kritiker am Sonntag bei den Deutschen Meisterschaften in Nürnberg Lügen. Die Mainzer Stabhochspringerin war beim erbitterten Kampf um die Olympiatickets auf sich fokussiert, bewies starke Nerven, als es eng wurde und holte sich mit 4,55 Metern wie schon vor vier Jahren im Olympiasommer den nationalen Titel. Lesen Sie mehr im Interview mit der deutschen Hallenrekordhalterin…

Carolin Hingst:
Ganz, ganz groß. Ich war am Samstag schon ganz nervös und wollte nicht ins Stadion gehen, um bei den Männern zuzusehen, weil das so eine spannende Sache war. Ich habe von zuhause mit meinem Trainingskollegen Raphael Holzdeppe mitgefiebert. Je enger der Wettkampf bei ihm wurde, umso nervöser wurde ich auch. Ich wusste, dass es bei uns genauso werden wird. Jetzt bin ich happy.
Welche Rolle hat die weit über einstündige Regenpause gespielt?
Carolin Hingst:
Bei mir hatte es nicht an den Nerven gezerrt, auch dadurch, dass ich früher schon beim Tennis war und ich auch dort schon Wettkämpfe mit Wartezeiten hatte. Im Stabhochsprung hat man das ja auch öfter. Ich hätte nie gedacht, dass wir so bald schon wieder anfangen. Ich war auf zwei oder drei Stunden Pause eingestellt. Wir kamen dann alle raus wie ein Löwe, der nichts zu fressen bekommen hat. Wir wollten einfach nur springen.
Wie sind Sie dann den weiteren Wettkampf angegangen, als es ernst wurde?
Carolin Hingst:
Es wurde immer enger, enger, enger. Mein Trainer Andrei Tivontchik wollte, dass ich bei 4,50 Metern weitermache. Ich habe mir aber gesagt: es ist eine Meisterschaft, ich springe jede Höhe. Die Platzierung war das Wichtige.
Die 4,50 Meter haben Sie dann erst im dritten Versuch genommen. Hatten Sie vorher schon gerechnet, ob die 4,45 Meter auch für die Olympia-Quali reichen würden?
Carolin Hingst:
Ich wollte nicht rechnen. Ich wollte nicht irgendetwas hoffen. Ich stand da und wusste: Ich komme im dritten Versuch über 4,50 Meter drüber. Das war mir einfach klar. Ob es nun ein toller oder ein nicht so guter Sprung wurde, ist egal. Hauptsache, die Latte ist liegen geblieben.
War denn die Einstiegshöhe von 4,25 Metern eine Konsequenz aus der letzten Hallen-DM, wo Sie einen Salto Nullo ablieferten?
Carolin Hingst:
Es war keine Konsequenz daraus. Man kann das eine nicht mit dem anderen vergleichen, jede Saison läuft anders. Das wird jetzt nur so hingestellt. Ich hatte mich in der Halle für 4,50 Meter als Einstiegshöhe entschieden, weil ich das Potenzial dazu hatte. Jetzt habe ich mich einfach so gefühlt, dass ich bei 4,25 Metern anfange. Vielleicht war ich auch vom Kopf her anders eingestellt. Ich hatte vorher auch nicht so viele Wettkämpfe gemacht.
Was machte denn den Unterschied mental aus zwischen der Hallen-DM und der Meisterschaft jetzt?
Carolin Hingst:
Ganz ehrlich: Ich hatte in der Halle nicht mit Anna Battke gerechnet. Das gilt nicht als Entschuldigung, aber jetzt war ich mir meiner Konkurrenz bewusst, wer da sein wird und wer hoch springen muss. Ich wusste, ich durfte mir keinen Fehler erlauben. Aber warum hackt Ihr immer auf der Hallen-DM herum? Andere Athleten haben auch schon schlechte Ergebnisse gebracht. Ich hatte auch mal ein schlechtes Ergebnis, jetzt habe ich wieder ein gutes Ergebnis. 2004 hatte ich auch ein gutes Ergebnis. Außerdem bin ich schon 4,70 Meter gesprungen, außerdem war ich international fast immer dabei. Ich bin schon ganz gut mit dabei. Es fehlt vielleicht nur der letzte Kick. Wenn es kommt, dann kommt es. Wenn nicht, versuche ich es trotzdem weiter. Es gibt Leute, die nicht an mich glauben. Ich bin aber dankbar, dass ich Freunde habe, die an mich glauben, die mich motivieren und unterstützen. Die wollen mich auch mal siegen sehen.
Gingen Sie davon aus, dass die 4,50 Meter reichen, um unter die ersten Drei zu kommen?
Carolin Hingst:
Das hatte ich schon geglaubt. Ich war aber im absoluten Wettkampf-Fokus, einfach nur jede Höhe zu springen. Erst beim dritten Versuch bei 4,60 Metern hatte ich kapiert, dass ich Erste bin.
Silke Spiegelburg hatten Sie selbst im Vorfeld zur derzeit stärksten Deutschen erklärt. Wie überrascht sind Sie jetzt selbst von Ihrem Sieg?
Carolin Hingst:
Favoritin oder nicht. An einem Tag passt alles, an einem anderen läuft es nicht so gut. Silke ist natürlich auch keine Maschine. Sie wird beim nächsten Mal aber wieder angreifen und sagen: Hier bin ich. Ich hatte im Wettkampf aber erst gar nicht gemerkt, dass Silke schon draußen war. Ich hatte das gar nicht registriert, als sie sich verabschiedet hatte.
Welcher Ihrer beiden deutschen Meistertitel ist Ihnen mehr wert, der 2004 oder dieser 2008?
Carolin Hingst:
Dieser Meistertitel ist mehr wert, weil ich bestätigt habe, dass ich eine gute und eine Weltklasseathletin sein kann, die sich gegen die nationale Konkurrenz durchsetzt.
Wie geht es jetzt weiter?
Carolin Hingst:
Am Freitag springe ich in der Golden League. Ich gehe aber erst einmal wieder nach Hause und mache Party. (lacht) Es muss gefeiert werden, ich hatte meinen deutschen Rekord vergessen zu feiern und auch 2004 meinen Meistertitel vergessen zu feiern. Auf jeden Fall werde ich nicht gleich wieder zum Training rennen wie eine Irre. Die Zeiten liegen hinter mir. Ich habe mir gesagt, ich lebe jetzt wieder ein bisschen mehr und das mache ich jetzt auf alle Fälle.
Haben Sie sich für die Olympischen Spiele schon etwas vorgenommen?
Carolin Hingst:
Noch nichts. Ich konnte mir noch nichts vornehmen, weil ich das Ticket bisher noch nicht hatte. Deshalb konnte ich mein Ziel noch nicht klar definieren. Ich werde es jetzt auf mich einwirken lassen. Ich habe geträumt, bei Olympia dabei zu sein. Jetzt kommt aber ein Schritt nach dem anderen.