Carolin Nytra - „Mach ich mich, ja?“
Carolin Nytra wird immer schneller. Mit ihren 12,77 Sekunden bei der DAK Leichtathletik-Gala in Bochum-Wattenscheid hat sie im vierten Jahr in Folge ihre persönliche Bestzeit über 100 Meter Hürden gesteigert. In Europa ist die 25-Jährige derzeit die Nummer zwei, die EM in Barcelona (Spanien; 27. Juli bis 1. August) lockt. Im Interview spricht die Bremerin unter anderem über ihre Entwicklung, Ängste, ihre Arbeit mit einem Psychologen und ihren Freund Sebastian Bayer.
Carolin Nytra, Sie sind im letzten Jahr insgesamt fünfmal unter 13 Sekunden geblieben, nun in Wattenscheid 2010 zum bereits sechsten Mal, jetzt haben wir aber erst Juni...Carolin Nytra:
(lacht) Mach ich mich, ja?
Wie bewerten Sie diese Entwicklung vom letzten zu diesem Jahr?
Carolin Nytra:
Es war natürlich das absolute Ziel, ein hohes Niveau zu haben. Von dort gelingt es mir, einen Ausreißer zu setzen, bisher bei den Deutschen Meisterschaften, dieses Jahr hoffentlich bei den Europameisterschaften. Wenn ich jetzt ein 12,80er Niveau habe, dann ist es für mich einfacher, von dort einen Knaller rauszuhauen. Um eine realistische Medaillenchance in Barcelona zu haben, muss eine Sechs hinter dem Komma sein. Ich hoffe, dass das nun mit diesem konstanten Niveau möglich ist.
Was haben Sie im Training dafür getan, um dieses Niveau zu erreichen?
Carolin Nytra:
Es standen viele Hürdenläufe bis zur achten Hürde auf dem Programm, um hinten die Frequenz und diesen Speed zu halten. In der Halle gelang mir das bis zur fünften Hürde sehr gut. Die Problematik für dieses Jahr draußen war eben, das bis zur achten Hürde zu halten. Dafür haben wir sehr viel im Training gemacht. Die neunte und zehnte Hürde musste ich mir dann über die Wettkämpfe erarbeiten, weil ich im Trainingslager immer wieder gesundheitliche Probleme hatte. Das Hauptaugenmerk war das Draufhalten und keine Angst haben vor der Hürde als Hindernis, sondern sie auffressen und attackieren zu wollen.
Sie haben in diesem Sommer mit Blick auf die EM bereits internationale Konkurrenz gesucht. Welches Gefühl haben Sie momentan?
Carolin Nytra:
Ich war bei der Team-EM in Bergen von meiner russischen Mistreiterin (Tatyana Dektyareva, d. Red.) sehr überrascht. Mit einer 12,68 von ihr hatte ich nicht gerechnet. Davon war ich im Lauf überrascht und habe das Rennen noch ein bisschen abgeben müssen. Aber auch die anderen Mädels machen sich ganz gut, wie immer zu einer EM. Es ist nicht so wie im letzten Jahr, als ich in der europäischen Bestenliste Vierte war und sagen konnte: eine Medaille ist drin. Da kommen schon noch einige. Ich hoffe, dass ich in zehn Tagen noch einmal in Lausanne laufen darf – gegen die richtig guten Mädels auch aus Übersee, um mir dort zumindest mental den letzten Schliff zu holen.
Schwedens Europameisterin Susanna Kallur ist nach ihrer Verletzungspause auch wieder unterwegs...
Carolin Nytra:
Ich gehöre auf jeden Fall zu denen, die sehr stark mit Susanna rechnen. Sie war zwar zwei Jahre weg vom Fenster, sie hat aber einen enormen Wissensbereich und eine enorme Hürdenerfahrung. Sie hat die Frequenzen und das Bewegungsbild gespeichert. Ich glaube, sie wird über die Läufe reinkommen, und sie ist ein richtiges „Kampfschwein“.
Wie schätzen Sie Ihren eigenen Erfahrungsschatz inzwischen ein?
Carolin Nytra:
Ich bin in Peking ins kalte Wasser gesprungen. Ich habe international gleich bei Olympischen Spielen angefangen. Normalerweise baut man ja über eine EM und WM auf. Ich habe es von hinten gemacht. Ich erhoffe mir aber, dass es jetzt beim dritten Mal richtig gut klappt. Letztes Jahr bin ich bei der WM an meinem Kopf gescheitert. Daran haben wir jetzt auch viel mit einem Psychologen gearbeitet. Das war mir sehr, sehr wichtig, dass es daran nicht mehr hapert. In Bergen habe ich es zum ersten Mal schon so umsetzen können, dass ich bei der Attacke der Russin keinen Hürdenkontakt hatte. Auch in Wattenscheid war es gegen Derval (O’Rourke, d. Red.) ein weiterer Schritt, dass ich dagegen halten konnte. Insgesamt glaube ich, dass ich auf einem guten Weg bin.
Die WM in Berlin war für Sie ja ein wenig „Schlaflos in Berlin“. Das sollte jetzt in Barcelona anders werden, oder?
Carolin Nytra:
Genau. Dort will ich sehr gut schlafen. Hoffentlich sind die Betten auch bequem und nicht so weich. Ich bin jetzt wirklich dabei, die ganzen Angstpunkte, die ich hatte, zu bearbeiten.
Können Sie das ein bisschen genauer beschreiben?
Carolin Nytra:
Wir hatten zwei Hauptpunkte. Zum einen habe ich immer Angst davor gehabt, an zwei Tagen hintereinander einen Wettkampf bestreiten zu müssen. Ich hatte am zweiten Tag immer das Gefühl, mir fehlt die Kraft. Jetzt bin ich bei der Team-EM auch Staffel gelaufen und das auf einem hohen Niveau, wie ich erfahren habe. Am nächsten Tag hatte ich dort dann den Hürdenlauf. Ich bin dort reingegangen und habe mir gesagt: Es passt alles, ich habe ne super Form. Und es war auch ein gutes Rennen. Es war wichtig für mich zu wissen, dass ich keine Angst haben muss, dass mir im Halbfinale die Kraft fehlt. Der zweite Punkt war, dass ich in Führung liegend oder im Gerangel fest werde und denke: Oh Gott, jetzt musst du attackieren. Statt nach vorne zu attackieren neige ich dazu, irgendwie aufzumachen. Es ist wichtig, dass wir an einem Kommando arbeiten, das ich mir im Kopf geben kann, um nach vorne zu attackieren und meine Bahn zu laufen. Ich kann nichts daran ändern, was die anderen machen.
Welche Rolle spielt für Sie momentan, dass Ihr Freund, Weitspringer Sebastian Bayer, noch keine Wettkämpfe bestreiten kann?
Carolin Nytra:
Er ist mir mental eine riesige Stütze. Es hat überhaupt keine Auswirkungen, dass er jetzt nicht so im Wettkampfgeschehen drin ist. Damit haben wir schon gerechnet. Er hatte einen sehr schweren Eingriff. Trotz allem ist er auf einem sehr guten Weg. Wir hatten schon damit gerechnet, dass er die Deutschen Meisterschaften nicht angreifen wird. So wie es momentan aussieht, wird er aber wohl dort sein Glück versuchen. Ich hoffe einfach, dass er in Barcelona dabei ist, weil es für uns beide schöner ist.
Zum Abschluss: Glauben Sie, dass Sie jetzt an dem Punkt sind, wo Sie das Erbe von Vize-Europameisterin Kirsten Bolm antreten können?
Carolin Nytra:
Ich glaube, dass ich das Erbe wirklich erst antreten kann, wenn ich die Medaille in Barcelona gemacht habe.
![]() Carolin Nytra glänzt mit 12,77 DAK Leichtathletik-Gala 2010 |
![]() "Mein Ziel ist ganz klar eine Medaille" DAK Leichtathletik-Gala 2010 |