Carolin Nytra macht Trainer sprachlos
Heimtrainer Jens Ellrott ist am Morgen danach immer noch sprachlos ob der Eindrücke in Lausanne, DLV-Cheftrainer Rüdiger Harksen lobt die Vorstellung als eine „Hammerleistung“. Die Bremerin Carolin Nytra begeisterte am Donnerstagabend beim Diamond League-Meeting in der Schweiz nicht nur die Hürdenszene mit ihrer neuen Bestzeit von 12,57 Sekunden, sondern fragte sich nach dem wertvollen zweiten Platz selbst: „Was ist hier los?“
„Das war ein Ding“, staunt Jens Ellrott nach wie vor nach dem Rennen seines Schützlings. „Ich bin immer noch sprachlos. Wir hatten gesagt, die Form ist da und mit einer hohen 60er Zeit geliebäugelt. Aber eine 50er Zeit kam überraschend. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass es so enden würde.“Rüdiger Harksen sieht die derzeit in Deutschland dominierende Hürdensprinterin seinerseits mit der schnellsten Zeit einer Athletin seit der politischen Wende auf einem „goldrichtigen Weg“.
Mithalten und ranbeißen
Beeindruckend war nicht nur für ihn, dass Carolin Nytra in Lausanne auch auf der zweiten Hälfte der kanadischen Vize-Weltmeisterin Priscilla Lopes-Schliep Gegenwehr geboten hat, nicht fest wurde und ihre stärkste Gegnerin an den Rand einer Niederlage brachte. „Sie ist ihr Ding gelaufen und ist nicht von ihrem Rhythmus abgekommen. Caro hat bravourös dagegengehalten.“ Gerade in diesem Punkt scheint sich die Arbeit mit einem Psychologen immer mehr auszuzahlen.
"Für den Kopf war es sehr wichtig, dass ich mit einer Athletin wie Priscilla, immerhin Vize-Weltmeisterin, bis ins Ziel Schulter an Schulter gefightet habe. Jetzt weiß ich: Ich kann mithalten, mich auch wieder ranbeißen", sagt Carolin Nytra selbst.
Gegen die Besten der Welt
DLV-Cheftrainer Rüdiger Harksen sieht einen wichtigen Aspekt auch darin, dass Carolin Nytra die internationale Konkurrenz sucht, gerade bei großen Wettkämpfen und dabei auch bereit ist Lehrgeld zu zahlen. „Es gibt nur die Chance, den Vergleich mit den Besten der Welt zu suchen, wenn Athleten weiterkommen wollen.“
Dabei tun sich Parallelen zur Vize-Europameisterin Kirsten Bolm auf. Auch die Ex-Hürdensprinterin aus Mannheim suchte in ihren besten Jahren die Konkurrenz im Ausland und überraschte wie jetzt Carolin Nytra in Lausanne vor fünf Jahren in London (Großbritannien) mit einem bravourösen Rennen gegen die Weltelite, das sie damals in ihrer Bestzeit von 12,59 Sekunden gewann. Drei Wochen später verpasste sie in Helsinki (Finnland) eine WM-Medaille nur knapp und stieß damit endgültig in die Weltspitze vor.
Ziel ist EM-Medaille
Auch Rüdiger Harksen, früher DLV-Disziplintrainer im Hürdensprint der Frauen, sieht die Parallelen zwischen den beiden Athletinnen. Er merkt dazu an: „Auch wenn sie vom Lauftypus nicht ähnlich sind, sind es Caro und Kirsten beim Annehmen von Herausforderungen.“ Solche stehen nun auch bei der neuen Hoffnungsträgerin bald ins Haus. Mit Blick auf die EM in Barcelona (Spanien; 27. Juli bis 1. August) hat sich Carolin Nytra in die Position der derzeit stärksten Europäerin gelaufen.
Jens Ellrott erwartet sich für die 25-Jährige aus dem Auftritt in Lausanne heraus eine „enorme Sicherheit“. Ziel für die Europameisterschaft bleibe eine Medaille. „Caro ist jetzt eine der Favoritinnen. Die Medaillenrolle kann sie nicht wegdiskutieren.“
Der Kurs ist für das Erfolgsduo auf dem Weg in den Süden eingeschlagen und vorgezeichnet. „Wir werden unser Training jetzt genauso weiterführen und nichts mehr ändern. Wir ziehen unser Programm durch.“
Sicherheit und kühler Kopf
Dieses wiederum schlägt offenbar bestens an. Dass Carolin Nytra zu einer solchen Leistungssteigerung um nun mehr als zwei Zehntel im Vergleich zum Vorjahr fähig ist, zeichnete sich bereits in der Hallensaison ab. Mit einer merklich verbesserten Beschleunigung und einer Verbesserung über 60 Meter Hürden auf 7,89 Sekunden deutete sich bereits das Potenzial für Zeiten unter 12,70 Sekunden auf der Stadiondistanz an.
Mit dem Rückenwind des Winters hat Carolin Nytra in den vergangenen Wochen den nächsten Schritt getan. „Jetzt ist die Sicherheit da“, weiß Jens Ellrott. Mit dieser Sicherheit kann die EM kommen. Die passende Empfehlung hat Rüdiger Harksen, der in den vergangenen Jahren mit Tipps zur Entwicklung der Bremerin auch einen Beitrag leistete: „Sie muss jetzt kühlen Kopf bewahren und mit voller Konzentration zur EM.“