Carolin Schäfer - Mit Zielen in die Großstadt
Zunächst muss man sich an die Schreibweise des Vornamens gewöhnen. Carolin, ohne „e“, einfach so, nach dem weichen „n“ ist Schluss. Nachname Schäfer. Sie war Deutsche Schülermeisterin im Siebenkampf (2005, 2006), Zweite der U18-Weltmeisterschaft (2007), im vergangenen Jahr U20-Weltmeisterin im Siebenkampf, und es gibt nicht wenige Fachleute, die Carolin Schäfer für das größte deutsche Mehrkampftalent halten.
Indizien hierfür gibt es einige, so gewann die Hessin unlängst bei ihrem ersten Start in der A-Jugendklasse die deutsche Meisterschaft im Hallen-Fünfkampf. Ihr Sieg mit 4.098 Punkten war auch deshalb bemerkenswert, weil die Zweitplatzierte Ina Tabea Skworzow (LG Sieg) 234 Zähler zurücklag.Doch abseits der Leichtathletik-Fachszene genießt Carolin Schäfer bislang nur geringe Popularität. Als sie einmal einer Pressekonferenz in Frankfurt beiwohnte, interessierten sich die Journalisten beinahe ausschließlich für den EM-Fünften im Zehnkampf, Pascal Behrenbruch (LG Eintracht Frankfurt).
Dies könnte sich alsbald ändern, denn Carolin Schäfer hat vor einigen Monaten einen neuen Lebensabschnitt begonnen. Sie wechselte den Verein (vom TV Friedrichstein zur LG Eintracht Frankfurt), zog von Bad Wildungen in die Main-Metropole, besucht dort die 11. Klasse der Carl-von-Weinberg-Schule, eine so genannte Eliteschule des Sports, und wohnt im Internat.
Stets hohe Ziele
Und wenn sie davon spricht, sich stets „hohe Ziele“ zu setzen, sind der leichtathletische Siebenkampf und die Schule gemeint. „Ich schiebe keine Aufgaben vor mir her“, sagt Carolin Schäfer. „Ich bin ein Mensch, der alles unter einen Hut bringen will.“
Eine ausgeprägte Leistungsorientierung (anders gesagt: stabiler Ehrgeiz) ist der 17-Jährigen nicht abzusprechen, hierfür nimmt sie in Frankfurt recht viel Stress auf sich. „Aber ich habe es mir ja selbst ausgesucht.“ Und irgendwie ist Stress auch nicht das richtige Wort. Denn: „Wenn ich keinen Stress habe, suche ich mir welchen. Habe ich eine Woche frei, muss nach zwei, drei Tagen etwas passieren.“
Carolin Schäfer ist seit einigen Jahren in den jeweiligen Altersklassen ganz oben in den Ergebnislisten zu finden, zunächst national, später international, und dabei soll es bleiben. Im Sommer will sie U20-Europameisterin werden, für die Teilnahme an der WM in Berlin (August) dürfte es nicht reichen, selbst wenn sie ihre Siebenkampf-Bestleistung (5.833 Punkte) auf mehr als 6.000 Punkte verbessert. Wovon auszugehen ist.
Kleine Schritte statt Stagnation
Der hessische Landestrainer Jörg Graf ist vor einigen Wochen noch defensiv mit diesem Thema umgegangen, sprach von der Möglichkeit einer Stagnation auf hohem Niveau. Doch Carolin Schäfer hat in der aktuellen Hallensaison weitere Fortschritte gemacht, verbesserte sich im (Hürden-)Sprint, im Kugelstoßen und stellte im Hochsprung mit 1,78 Metern ihre vorjährige Freiluft-Bestleistung ein.
Von möglicher Stagnation mag sie ohnehin nichts hören. „Es können ja auch kleine Schritte sein“, sagt sie. Bei den Mehrkampf-Meisterschaften in der Hamburger Halle deuteten sich Verbesserungen im Hoch- und Weitsprung bereits an. „Da habe ich durchaus noch weiteres Potential gesehen“, meint Trainer Jörg Graf.
Die magischen 6.000 Punkte, sagt er, gehe man im Übrigen „nicht verbissen“ an. Der Trainingsumfang ist auf durchschnittlich sechs bis acht Einheiten pro Woche gesteigert worden, geübt wird jetzt auch zweimal vormittags. Die internationalen Erfolge seiner Athleten, zu denen auch der U20-Weltmeister im Zehnkampf, Jan-Felix Knobel (LG Eintracht Frankfurt; 7.896 Punkte) zählt, haben Jörg Graf die Auszeichnung hessischer „Nachwuchstrainer des Jahres 2008“ eingebracht; den Preis nahm er Ende November mit der ihm eigenen Bescheidenheit entgegen.
Gewöhnen an die Großstadt
Jüngstes Mehrkampftalent aus Hessen ist übrigens Steffen Klink (TSV Kirberg), der in Hamburg im Siebenkampf der B-Jugend den deutschen Hallenrekord nur um vier Punkte verfehlte.
Carolin Schäfer musste sich anfangs umstellen. Im Umfeld ihrer nordhessischen Heimatstadt war sie eine anerkannte Nachwuchsathletin, selbst der Abschied von ihrer langjährigen Trainerin Erika Keller war eine öffentliche Veranstaltung. In der Rhein-Main-Region hat die Leichtathletik aber grundsätzlich einen schweren Stand und steht in Konkurrenz zu anderen Sportarten. „Und die Gewöhnung an die Großstadt war schon nicht einfach.“ Nicht nur die S-, U-Bahn- und Straßenbahnfahrpläne sind auf den ersten Blick etwas verwirrend.
Sprachentyp für London
„Auf der Straße wird man auch immer als Erwachsene gesehen, obwohl man noch Jugendliche ist.“ Doch die Zeit der Anpassung ist vorüber, „ich bin selbstständiger und erwachsener geworden“, sagt Carolin Schäfer. Sie ist von der Realschule aufs Gymnasium gewechselt, für das Abitur („Ich bin ein Sprachentyp“) hat sie als Leistungskurse Sport und Englisch gewählt, dabei sei sie sich ihrer Defizite in anderen Fächern durchaus bewusst.
Carolin Schäfer will dies schnellstmöglich aufholen, im Stadion hingegen ist sie die Gejagte. „Die Erwartungen an mich sind hoch“, sagt die junge Weltmeisterin, die in ein paar Monaten auch U20-Europameisterin werden will. Natürlich hat sie die Olympischen Spiele in Peking (China) verfolgt („Die Atmosphäre war atemberaubend“), und gleich im nächsten Satz wird deutlich, wohin ihre Sportreise bis zum Jahr 2012 führen soll. „Mal sehen, was sich London einfallen lässt.“