Carsten Schütz feiert Marathon-Premiere
Carsten Schütz ist auf dem Kilometer-Trip. "Seit der zweiten Juli-Woche geht's zur Sache", erzählt er froh gelaunt, "so viel wie in den vergangenen Wochen bin ich noch nie gelaufen." Tagein, tagein dreht der Wattenscheider seine Runden. Süchtig ist er schon, süchtig auf Kilometer. "200 ist mein Rekord."
Carsten Schütz wendet sich dem Marathon zu (Foto: Chai)
Dieses gewaltige Pensum hat "Schützi", so sein Spitzname, leicht und locker bewältigt, nicht mit dem Rennrad, nein, mit seinen ausdauernden Beinen. Denn am Sonntag schlägt für ihn die Stunde der Wahrheit: Dann feiert er in Essen seine Marathon-Premiere.Erste Erfahrungen hat er bereits vor zwölf Monaten in Köln gesammelt. "Damals", berichtet Carsten Schütz, "war ich Hase für Sebastian Bürklein." In Köln spielte er den "Pacemaker" bei seinem Vereinskollegen. "Sebastian hatte mich gefragt, ob ich ihn begleiten würde." Spontan sagte er zu: "Na klar, mach ich!" Carsten Schütz war der Windbrecher.
"Ursprünglich sollte ich nur bis zur Halbmarathon-Marke fürs Tempo sorgen", erinnert er sich an die gemeinsame Absprache, "doch war ich so gut drauf, dass ich bis Kilometer 30 weiter gelaufen bin. Dann hat es mir allerdings die Waden zugehauen." Carsten Schütz ging raus. "Durchgekommen wär ich wohl, wenn ich wirklich gewollt hätte", fängt er an zu spekulieren, "aber ich wäre in der Schlussphase garantiert langsamer geworden."
Rollentausch
Nun wollen sie die Rollen tauschen. Carsten Schütz macht in Essen mit. Und Sebastian Bürklein, der nach seiner Berlin-Absage wegen einer Bauchmuskelzerrung nunmehr in Frankfurt starten wird, ist sein Tempomacher. Dass Carsten Schütz in Essen seinen Einstand gibt, hat plausible Gründe. Da wohnt er: im Stadtteil Burgaltendorf. Dort kennt er sich aus. Auch der flotte Kurs rund um den Baldeneysee ist ihm bestens vertraut. "Hier trainiere ich regelmäßig." In der heißen Vorbereitung hat er unter anderem zwei lange Läufe über satte 35 Kilometer eingestreut.
Tono Kirschbaum, sein Coach beim TV Wattenscheid 01, scherzte schon in Anlehnung an Boris Becker, dass der Baldeneysee Carstens "Wohnzimmer" sei. Carsten Schütz lacht, als wolle er sagen: "Hauptsache, ich geh nicht baden." Tono Kirschbaum, der ihn in Essen per Drahtesel begleiten wird, hat keine Zweifel, dass sein Schützling eine ordentliche Vorstellung abliefern wird: "Er bleibt klar unter 2:20."
Flotte Zeit
Seinen Optimismus begründet der Cheftrainer mit der flotten Zeit beim Halbmarathon "Great North Run" vor zweieinhalb Wochen in Newcastle. "Carsten", bemerkt er mit breitem Grinsen, "hat sogar Paula Radcliffe deutlich hinter sich gelassen." Als Gesamtzehnter in einem Mammut-Feld von 47.000 begeisterten Zuschauern war er in 64:29 Minuten der bestplatzierte deutsche Starter auf der Insel.
Aber in Essen muss er eine doppelt so lange Distanz zurücklegen. "Null Problemo", erwidert Carsten Schütz, "das schaff ich schon." Und schneller als sein Trainer ist er allemal. Anno 1995 lief Kirschbaum bei seinem ersten und einzigen Marathon in New York "etwas mehr als dreieinhalb" und war fast auf den Kopf genau eine Stunde langsamer als Claudia Lokar, die Sechste wurde in 2:36:16 Stunden.
Lang, lang ist's her
Werner Grommisch, der alte Kämpfer, hält den Streckenrekord auf dem Kurs in Essen-Hügel. "2:14:37 ist seine Zeit", weiß Carsten Schütz die genaue Zahl in- und auswendig, "das war 1987." Lang, lang ist's her.
"Vier Jahre später habe ich mit der Lauferei richtig angefangen", wirft er einen Blick zurück in die Vergangenheit, "Karl-Heinz Hoppensack hat mich betreut. Er ist kein ausgebildeter Trainer, hat sich alles angelesen." Sebastian und Dominik Bürklein, die laufbegeisterten Brüder, die 1990 aus Hessen an den Nordrhein gezogen sind, gesellten sich alsbald dazu, bis sie dann später geschlossen zum TV Wattenscheid 01 wechselten.
Carsten Schütz will seinen Entdecker und Förderer anklingeln und fragen, ob er nicht auch am Sonntag kommen könne. Als Glücksbringer, wenn man so will! Sein Ziel ist jene "Zeit unter 2:20". Doch hat er bereits kund getan, "dass ich schneller angehen werde".
Typisch Schütz
Typisch Schütz! Er gleicht häufig einem Zocker, der voll auf Risiko spielt. "Wenn er läuft, dann volles Pfund", charakterisiert ihn Tono Kirschbaum, "er ist einer, der mit dem Kopf durch die Wand will." Entweder kommt er durch, wie im Herbst 2002 bei den Deutschen 10-Kilometer-Meisterschaften im Straßenlauf in Salzgitter, wo er seinen ersten Einzeltitel bei den "Großen" gewann. Oder er muss bitter büßen für seinen Wagemut und trägt dabei nicht selten ein Hörnchen davon.
Der gelernte Diplom-Kaufmann ist im Beruf ein kühler Rechner, doch im Sport ein Heißsporn. Auf seine Marathon-Premiere hat er sich akribisch genau vorbereitet mit unzähligen Trainingskilometern. Auf 67 Kilo hat Schütz sein Gewicht reduziert. "Vorher hatte ich ein, zwei Kilo mehr drauf." Bei 1,86 Meter Körpergröße zählt er also zu den Leichtgewichten.
Marathon ist kein Kinderspiel
Schwer wird's dafür am Sonntag ab 10 Uhr. "Marathon", bemerkt Carsten Schütz mit ernster Miene, "ist kein Kinderspiel." Wenn er zwei Wünsche offenhätte, würde sich "Schützi" eine zufriedenstellende Endzeit wünschen und vor allem einen neuen Job.
Denn sein alter Arbeitgeber, die Sparkasse Bochum, wo ihm ein 30-Stunden-Wochenpensum bis dato ideale Trainingsvoraussetzungen garantierte, hat seinen Vertrag im Rahmen von Umstrukturierungsmaßnahmen nicht verlängert. "Dadurch muss ich jetzt Däumchen drehen." Am Baldeneysee hofft er auf erfolgreiche Werbung in eigener Sache.