Cathleen Tschirch - Dem Chef sei Dank
Bei den Deutschen Hallen-Meisterschaften gelang ihr etwas, das niemand vorher für möglich gehalten hätte. Über 200 Meter wurde Cathleen Tschirch (LG Weserbergland) im Februar in Leipzig Deutsche Meisterin und war in 23,19 Sekunden plötzlich die schnellste Frau Europas.

Cathleen Tschirch sorgte in diesem Winter für Begeisterung (Foto: Kiefner)
In der Form ihres Lebens hätte sie mit guten Medaillenchancen nach Birmingham (Großbritannien) fahren können, doch das Programm der Hallen-Europameisterschaft hatte für die gebürtige Dresdnerin keinen Platz vorgesehen. Die 200 Meter-Strecke gehörte zuletzt 2005 zum Wettkampfprogramm internationaler Hallenmeisterschaften, wird allerdings nach wie vor bei nationalen Titelkämpfen ausgetragen. Für Cathleen Tschirch, die die Hallensaison ohnehin als Vorbereitung für die anstehende Freiluftsaison nutzen wollte, war dieser Aspekt kein Grund, nicht ihr Bestes zu geben. Ganz im Gegenteil, die Meisterschaft in ihrer sächsischen Heimat und die Anfeuerungsrufe ihrer gesamten Familie verliehen der 27-Jährigen im entscheidenden Moment Flügel.
"Ich bin noch nie so schnell gelaufen. Im Freien war meine Bestzeit 23,38 Sekunden", strahlte Europas Schnellste im Ziel. Dass sie vielleicht bei der Hallen-EM in Birmingham für eine weitere deutsche Medaille hätte sorgen können, interessiert Cathleen Tschirch nicht: "Es ist zwar ärgerlich, aber das Ziel war von vornherein, meine Sprintschnelligkeit im Hinblick auf die WM in Osaka (Japan) auszubauen. Von daher ist es eigentlich nicht so schlimm."
Entscheidung für die große Unbekannte
Viel schlimmer wäre es gewesen, wenn die Wahl-Hannoveranerin schon vorzeitig ihre Spikes an den berühmten Nagel gehängt hätte. Eine Ausbildung zur Physiotherapeutin und der anschließende Einstieg ins Berufsleben schränkten zwischenzeitlich das Training ein und hinterließen Einbrüche in der Leistungsentwicklung der Sprinterin. "Mein Chef hat mir dann ins Gewissen geredet. Er hat mir geraten, richtig Sport zu treiben, wenn ich das wirklich will und nicht so halbherzig wie bisher." Die Entscheidung für die Unbekannte Leistungssport war für Cathleen Tschirch mit hohem Risiko verbunden, stand sie doch auch finanziell schon auf eigenen Füßen.
"Ich war zu diesem Zeitpunkt erst 24 und dachte, das kann es doch noch nicht gewesen sein", gab sie ihrem Chef Recht. Doch bevor dieser mutige Schritt belohnt werden sollte, kam zunächst ein Trainer- und anschließend ein Ortswechsel. Ihr erster Trainer, Edgar Eisenkolb, der heute DLV-Disziplintrainer für die 400 Meter-Läuferinnen ist, sah in Dresden keine berufliche Herausforderung mehr und stellte es seinen Athleten frei, mit ihm zu kommen oder in Dresden weiter ihr Glück zu versuchen. Die im Jugendbereich erfolgreiche Trainingsgruppe fiel auseinander. Cathleen Tschirch entschied sich für Dresden und für ihre Berufsausbildung.
Durch Nicole Marahrens nach Niedersachsen
Nach zwei erfolglosen Jahren zeigte die Sprinterin, dass sie auch Ausdauerqualitäten besitzt und entwickelte mit ihrer Freundin Nicole Marahrens (LG Weserbergland) die Idee, mit ihr gemeinsam in einer Trainingsgruppe in Hannover zu trainieren. Werner Scharf nahm Cathleen Tschirch ohne zu zögern in die Sprintgruppe auf und eröffnete ihr erneut den Weg in den Leistungssport: "Hier werde ich auch im Training richtig gefordert und außerdem stimmt auch von den äußeren Bedingungen einfach alles. Ich bin richtig froh, dass mir mein Chef das damals geraten hat."
Ihren alten Trainer Edgar Eisenkolb hat sie in Hannover wieder getroffen. Als Leitendem Landestrainer Niedersachsens ist auch an ihm die positive Entwicklung seines ehemaligen Schützlings nicht vorbeigegangen. "Die Vergangenheit holt einen eben immer wieder ein", scherzt die frischgebackene Deutsche Hallenmeisterin. Jetzt ist Werner Scharf dafür verantwortlich, das Potential, das in der gelernten Physiotherapeutin schlummert, herauszukitzeln.
Eisschnelllauf oder Turmspringen?
Den Grundstein für den Erfolg der Cathleen Tschirch legten ihre Eltern: "Ich bin quasi auf der Laufbahn geboren." Als Tochter zweier ehemaliger Leichtathleten war intern so gut wie vorgegeben, in welche Fußstapfen sie treten werde. Dabei hätte es auch ganz anders kommen können: "In der DDR wurden Tests durchgeführt, für welche Sportart man am besten geeignet ist. Bei mir kam man auf Turmspringen oder Eisschnelllauf, beides Sportarten, die ich eher nicht so mag." An eine leistungssportliche Karriere war für Cathleen Tschirch erst in der 11. Klasse und dem damit verbundenen Wechsel auf das Sportgymnasium in Dresden zu denken.
Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten, 1998 wurde die Athletin vom Dresdner SC in 23,80 Sekunden Deutsche Jugendmeisterin über 200 Meter und qualifizierte sich für die Junioren-Weltmeisterschaft in Annecy (Frankreich). Für die LG Weserbergland gelang der zielstrebigen Athletin im Jahr 2004 sogar die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Athen. Als Ersatzläuferin für die 4x100 Meter-Staffel blieb ihr ein Einsatz in Griechenland allerdings verwehrt.
Göteborg als größter Erfolg
Ihre Chance auf der Laufbahn bekam Cathleen Tschirch bei der Europameisterschaft 2006 in Göteborg (Schweden). Obgleich das deutsche Quartett im Finale disqualifiziert wurde, sind für die Sprinterin mit diesem internationalen Einsatz die schönsten Erinnerungen verbunden. Ihr jüngster Erfolg, die Deutsche Hallen-Meisterschaft zu gewinnen, ist nicht minder wertvoll: "Es ist nicht der deutsche Meistertitel, über den ich mich so wahnsinnig freue, sondern darüber, dass ich so schnell gelaufen bin."
Wenn es Cathleen Tschirch gelingt, die Vorbereitungen auf die Sommersaison gesund zu überstehen und ihre Leistungsstärke wieder im entscheidenden Moment abzurufen, ist vielleicht ein Einzelstart bei der WM in Osaka möglich. Dafür muss sie im Freien ihre Bestleistung nochmals um neun Hundertstel steigern. Auf äußere Einflüsse will sich die 27-Jährige dann nicht mehr verlassen müssen. Den für sie vorgesehenen Platz in der Sprintstaffel wird sich Cathleen Tschirch dann einfach nehmen.