Chantal Butzek - Sindelfingens Sprintkönigin
Wäre positive Energie nach außen irgendwie sichtbar, wäre Chantal Butzel (LC Paderborn) wohl von einer permanenten Goldstaubwolke umgeben. Die 16-Jährige avancierte am Wochenende nicht nur aufgrund ihrer zwei Sprinttitel über 60 und 60 Meter Hürden zum Goldengirl der diesjährigen Jugend-Hallenmeisterschaften im Sindelfinger Glaspalast.
Aus Medaillensicht war es wohl das bislang erfolgreichste Wochenende im noch jungen Leben der Chantal Butzek. Als B-Jugendliche sahnte sie sowohl über die Hürden als auch über die flache Kurzsprintstrecke die Goldmedaillen bei der bis um zwei Jahre älteren Konkurrenz ab. „Ich habe mich selber beeindruckt“, sagt Chantal Butzek.Dabei war sie bereits als Favoritin zu den Titelkämpfen angereist, wurde unter den Experten als Goldkandidatin über beide Strecken gehandelt. „Dieser Druck von außen, der war etwas ganz Neues für mich“, gesteht sie. Erst als sie im Startblock saß, wurde der Kopf klar. So klar, dass selbst ein Wadenkrampf ab der dritten Hürde im Finale sie nicht stoppen konnte. „Da hab‘ ich mich schon auf dem Boden liegen sehen“, sagt Chantal Butzek heute.
Doch am Samstag fiel sie nicht. Sie lief. So schnell wie keine andere Athletin. Gold gehörte nach 8,43 Sekunden ihr. Genau wie über 60 Meter, als sie sich nach einem Start, der an einen Jet erinnerte (Butzek: „Ich war selber total baff“), in 7,53 Sekunden, zeitgleich mit der Düsseldorferin Jessie Maduka (Butzek: „Wäre das Rennen über 63 Meter gegangen, wäre Jessie vorbei gewesen“), ins Ziel warf. Doppelgold. Sprintkönigin. Mit 16 Jahren.
Kein Grund, abzuheben
Aber doch kein Grund für Chantal Butzek, um abzuheben. Jubelbilder oder Erfolgspostings auf Facebook, das überlässt sie lieber anderen. „Ich freue mich wahnsinnig über die Titel, aber sind wir doch mal ehrlich, ich bin noch so jung. Meine Erfolge von heute, die interessieren in ein paar Jahren keinen mehr. Ich habe ja noch längst nicht alles erreicht. In der Frauenklasse, da zählt es.“
Genauso wenig wiegen für sie die beiden U18-Bestleistungen, die sie in diesem Winter bereits über die U18-Hürden aufgestellt hat. „Ich wusste gar nicht, dass es in meinem Alter überhaupt Rekordlisten gibt.“ Und doch, sie will noch schneller als ihre bisherige Bestzeit von 8,32 Sekunden über die kleineren, da 76,2 Zentimeter hohen Hürden laufen. Auch über die U20-Hürden. „Beim Länderkampf am 1. März würde ich mich gern noch etwas verbessern“, sagt die, deren Mundwinkel scheinbar permanent neben den Nasenflügeln festgetackert sind.
Schokoladen-Tage als Mittel gegen die Routine
Würde man Chantal Butzeks Lebenseinstellung vertonen, käme vermutlich „Happy“ von Pharrell Williams heraus. „Ich versuche einfach, jeden Tag zu etwas Besonderem zu machen, damit ich mir die gute Laune behalte“, sagt die Paderbornerin. Und das können auch so verrückte Sachen wie Barfuß-Tage, Schokoladen-Tage (Butzek: „Ich ernähr‘ mich in der Regel wirklich gesund“) oder auch Kalte-Duschen-Tage sein. „Jeden Tag nur Schlafen, Schule, Training, essen und wieder schlafen, das ödet mich an.“
Vielleicht ist es diese ungewöhnliche Anti-Routine, die Chantal Butzek zu einem der seltenen Menschen werden lässt, deren Lebensfreude auch bei fremden Menschen unwillkürlich intravenös wirkt. Scheu, auf fremde Menschen zuzugehen – das ist ihr fremd. „Da würde ich doch die Chance verpassen, tolle Menschen kennen zu lernen.“
Quatschen als Teil des Aufwärmprogramms
Und tolle Menschen wiederum, braucht auch Chantal Butzek, um erfolgreich zu sein. „Ich brauche mein Umfeld vor jedem Wettkampf als Motivation“, sagt sie und plant vor jedem Start mindestens 90 Minuten zum Aufwärmen ein. „Ich kenn‘ mich, ich bleibe allein schon auf dem Weg zum Aufwärmplatz bei so vielen Leuten stehen, um zu quatschen, aber das brauche ich für eine gute Vorbereitung.“ Sei es im Vorlauf oder auch im Finale bei den Deutschen Meisterschaften – noch kurz vor dem Start winkte sie lachend ins Publikum, zwinkerte den Mädels auf der Nebenbahn zu.
Konkurrenz? Das Wort mag Chantal Butzek, die vor der Leichtathletik acht Jahre lang Ballett getanzt hat, nicht. „Das sind doch alles Freunde“, sagt sie über ihre Konkurrentinnen. Zumindest solange bis sie in den Startblock geht. Denn wenn sie da sitzt, will sie gewinnen. „Ich will immer besser werden“, sagt die Paderbornerin.
Schule geht vor
Ein Ehrgeiz, der sich als roter Faden durch ihr ganzes Leben zieht. In ihrem Zimmer in Paderborn hängt in buntes Plakat. Vision-Board nennt Chantal Butzek das. In einer großen Kollage hat sie hier all‘ ihre Träume, die sie an das Leben hat, zusammengestellt. Da kleben Bilder von sich, ihrem Freund und ihren Freundinnen, Fotos von fremden Ländern, aber auch die Olympischen Ringe unter dem Schriftzug „Rio 2016“. In der Mitte jedoch steht: „Diplom.“
„Meine schulische Ausbildung geht vor“, sagt Chantal Butzek. Aus dem Grund hat die 16-Jährige, die derzeit in die elfte Klasse geht, ihr Abitur nun auch gestreckt. „Ich will nicht irgendeine Abi-Note haben, ich will eine richtig gute Note machen.“ Das Private Gymnasium in Paderborn ermöglicht es ihr, obwohl es keine Sportschule ist. „Da bin ich sehr froh drum, denn ich wollte aus Paderborn nicht weg.“ So kann sie vier bis fünf Mal in der Woche unter Bernhard Bensch trainieren (Butzek: „Ich weiß, da ist noch Potential nach oben“) und gleichzeitig genügend Zeit in ihre Schulausbildung stecken. Denn nach dem Abitur möchte sie im Ausland, am liebsten in den USA, studieren. „Zumindest ein Jahr, denn ich glaube, das ist gut für die Persönlichkeitsentwicklung und macht mich auch für spätere Arbeitgeber interessant.“
Mutter kann die Hürden nicht sehen
All‘ das will sie mit ihren sportlichen Zielen vereinbaren. Das Nahziel: Die Olympischen Jugendspiele in China und die U20-WM in Eugene (USA). „Ich will im Sommer unbedingt meine Bestzeit über die Hürden toppen.“
Auf welcher Strecke sie langfristig ihre sportliche Zukunft sieht, das weiß die Sechste der U18-WM über die Hürden aber noch nicht. „Ich kann mich nicht entscheiden. Persönlich laufe ich die flache Strecke fast lieber als die Hürden.“ Auch ihrer Mutter würde sie damit wohl einen Gefallen tun, denn die kann sich nicht einmal ansehen, wenn ihre Tochter über die Hürden läuft. „Sie hat Angst um mich. Dass ich falle und mich schwer verletzte.“
Aber angesichts der internationalen Aussichten sind die Chancen über die Hürden langfristig wohl die besseren für Chantal Butzek. Auch deshalb will sie verstärkt an ihrer Technik arbeiten. „Ich springe noch zu sehr“, weiß sie. „Aber wenn jetzt schon alles perfekt wäre, das wäre ja auch komisch.“ Und dafür sind ja auch noch viel zu viele Wünsche auf ihren Vision-Board unerfüllt.
Videos von Chantal Butzek bei der Jugend-Hallen-DM:
Finale über 60 Meter
Interview nach Gold über 60 Meter
Finale über 60 Meter Hürden
Interview nach Gold über 60 Meter Hürden