Carsten Schütz läuft deutsche Jahresbestzeit
Die letzten Meter waren ein einziger Triumphzug! Carsten Schütz, " a new kid on the marathon", ein Marathon-Neuling, nahm die Parade ab. Tosender Applaus begleitete ihn, als er am Regattahaus in Essen-Hügel durchs Ziel stürmte. Welch' grandiose Premiere! In seinem ersten Lauf über stramme 42,195 Kilometer siegte der Wattenscheider in 2:14:56 Stunden auf seiner Haus- und Hofstrecke rund um den Baldeneysee. Tono Kirschbaum, sein Trainer beim TV Wattenscheid 01, frohlockte: "Das ist neue deutsche Jahresbestzeit!"
Carsten Schütz ist die neue Nummer eins im deutschen Marathon (Foto: Voss)
Die Gefühle fuhren Achterbahn mit Carsten Schütz. Vorm Start war er noch ganz nervös, im Ziel brach dann die ganze Anspannung aus ihm heraus. Wie einst Dieter Baumann bei seinem Olympiasieg in Barcelona sank Carsten Schütz zu Boden, vergoss sogar ein paar Tränen der Freude und nahm die zahlreichen Glückwünsche entgegen. Alle waren sie gekommen, hatten ihm unterwegs fest die Daumen gedrückt: seine Freundin, seine Eltern, seine Kumpels vom TVW 01.Alexander Lubina, tags zuvor noch Zweiter beim Coesfelder City-Lauf, hatte sich früh morgens extra ins Auto gesetzt und war ohne Tempolimit nach Essen gedüst. Mit Rüdiger Stenzel, der in Coesfeld wohnt, hatte er zuvor die Nacht zum Tage umfunktioniert und kaum ein Auge zugemacht. Doch das Marathon-Debüt von "Schützi", wie sie ihren Klubkollegen rufen, wollte er sich nicht entgehen lassen.
Gerannt wie ein Döppken
Der Trip nach Essen hat sich gelohnt. Denn Carsten Schütz lieferte seinen Fans eine Gala-Vorstellung. Sebastian Bürklein, der in Frankfurt starten wird, spielte den "Hasen" auf den ersten 30 Kilometern und zog ihn perfekt zu einer flotten Endzeit. "Carsten ist gerannt wie ein Döppken", meinte Tono Kirschbaum im Ruhrpott-Slang, "das war der helle Wahnsinn."
Er hatte eigens seinen Drahtesel eingepackt und begleitete seinen Schützling, der von Anfang an viel schneller war als ursprünglich geplant. Tono Kirschbaum trat kräftig in die Pedalen und muss jetzt aufpassen, dass ihm Walter Godefroot, Chef vom Team Telekom, nicht noch ein Angebot unterbreitet: als "Edel-Domestike" für Jan Ullrich bei der Tour de France 2004.
Mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks drehte Carsten Schütz seine beiden Runden rund um den Baldeneysee, die "grüne Lunge" mitten im Ruhrpott. Als Lokalmatador aus dem Stadtteil Burgaltendorf , der einst beim TLV Germania Überuhr das Einmaleins der Leichtathletik gelernt hat, wurde "Schützi" pausenlos angefeuert. "Da war richtig Stimmung", meinte er hinterher, "das hat Laune gemacht."
Streckenrekord knapp verfehlt
Nach einer Durchgangszeit von 1:07:45 Stunden bei der Hälfte dachte Cheforganisator Gerd Zachäus schon an den Streckenrekord von Werner Grommisch, der auf einem allerdings etwas anderen Kurs 2:14:36 Stunden gelaufen war. Den Rekord konnte Schütz nicht knacken, doch für eine deutsche Jahresbestzeit reichte es allemal.
Dieses Ergebnis, prophezeite Tono Kirschbaum euphorisch, sei noch nicht das Ende der Fahnenstange. Bei 2:11 Stunden liegt die Olympia-Norm. "Das ist eine hohe Hausnummer", betonte der Coach aus Wattenscheid, "aber Carsten hat's drauf." Ihm traut er alles zu. Und ihm gehört mit 28 Jahren die Zukunft. Andere, wie Carlos Lopes in Los Angeles 1984, sind mit 38 noch Olympiasieger geworden auf der klassischen Distanz
Der strahlende Sieger plante noch nicht so weit. Ausgelassen feierte er einen der schönsten Tage in seinem Läufer-Leben, kippte dabei einen Becher Wasser nach dem anderen in sich hinein. Carsten Schütz badete im Glück. Doch innen war er wie ausgetrocknet. Denn der Marathon hatte das letzte bisschen Flüssigkeit aus seinem Körper heraus gesogen.
Ein Beinahe-Crash
Glück habe er unterwegs auch gehabt, berichtete Carsten Schütz, eine Fahrradfahrerin sei mit ihm zusammen gestoßen. "Die gute Frau war reichlich unvernünftig", dachte er zurück an den Schreck in der Morgenstunde, "diese Kollision und die Begegnung mit einer dösigen Autofahrerin haben mich einige Sekunden gekostet." Den Beinahe-Crash hat Schütz Gott sei Dank ohne Schaden überstanden. Schwein gehabt!
Der gelernte Diplom-Kaufmann, dessen Vertrag bei der Sparkasse Bochum Ende September ausgelaufen ist, wird erst mal die ausdauernden Beine hochlegen und eine schöpferische Lauf-Pause einlegen, um den Akku wieder aufzuladen. "Dafür habe ich jetzt genügend Zeit, um Bewerbungen zu schreiben." Denn ein neuer Job fehlt ihm noch, dann wäre sein Glück komplett.