Christian Blum - Aufgekehrte Scherbenhaufen
Christian Blum (LAC Quelle Fürth/München) hat sich in der deutschen Sprintszene zurückgemeldet. Mit seinen 6,63 Sekunden über 60 Meter beim Hallen-Meeting in Chemnitz erfüllte er bereits im ersten Wettkampf die Norm (6,66 sec) für die Hallen-EM in Turin (Italien; 6. bis 8. März) und vertrieb damit die bösen Geister des vergangenen Jahres. Vieles lief 2008 schief, vieles hat der 21-Jährige dabei aber auch gelernt. Zum Beispiel: Demut.
Rund um den Münchner Olympiapark dämmert es. Dabei ist es noch nicht einmal 16 Uhr. Die Neonstrahler an der Decke in der Werner-von-Linde-Halle tun ihren Job. Sie sind hässlich aber nötig. Darunter macht Christian Blum einen Maximalsprinttest. Harte Arbeit unter harten Bedingungen. Er ist seit zwei Tagen wieder zurück aus dem Trainingslager auf Fuerteventura (Spanien). Ihm ist kalt. Nur die fünf kleinen, an manchen Stellen schon braunen Palmen in den Terrakottagefäßen, die zwischen der Weitsprunggrube und der 60-Meter-Bahn stehen, erinnern den 21-Jährigen noch entfernt an das mediterran-subtropische Klima.„Es war wirklich schön, nochmals in die Sonne zu kommen. An den letzten Tagen war es bis zu 24 Grad warm. Da haben wir uns nachmittags in die Sonne gelegt“, sagt der momentan schnellste deutsche 60-Meter-Sprinter nach seiner Trainingseinheit. Sein Trainer Ingo Seibert hat ihm eine Banane gebracht, die er zunächst nicht aufbekommt. „Verdammt“, flucht er leise, dann muss die widerspenstige Schale doch nachgeben.
Neben dem gelben Obst knackte der Münchner beim Hallen-Meeting in Chemnitz am 3. Januar mit 6,63 Sekunden über 60 Meter auch als erster DLV-Athlet die Norm (6,66 sec) für die Hallen-EM in Turin (Italien; 6. bis 8. März). „Das war unheimlich wichtig für mich und hat mir Kraft gegeben. Ich weiß jetzt, dass ich noch schnell laufen kann und in der Leichtathletik gut aufgehoben bin“, sagt Christian Blum. Denn das vergangene Jahr war eines, in dem er „auf die Fresse flog“, wie er sagt.
Selbstsicherheit ade, hallo Selbstzweifel
Seine Selbstsicherheit, die er sich mit dem Sieg bei der Hallen-DM 2007 in Leipzig und bei der anschließenden Hallen-EM zugelegt hatte, wich 2008 dem Gefühl des Selbstzweifels. Es war so, wie aus dem sonnigen Fuerteventura in Sekundenschnelle ins minusgradige München gebeamt zu werden. Nur jetzt hat Christian Blum gelernt, mit so etwas umzugehen.
„Nach Chemnitz war ich demütiger, als ich es früher gewesen wäre. Ich weiß jetzt, dass es schnell abwärts gehen kann“, sagt der Sportsoldat. Vor eineinhalb Jahren absolvierte er bei der Bundeswehr seinen Grundwehrdienst: zwei Monate Schlammrobben statt Training. „Das war absolut schlecht für meine Sprintleistung, es haben sich Fehler eingeschlichen, danach lief alles unrund“, sagt Christian Blum.
Peking blieb ein Traum
Getrieben vom Hunger auf die Olympischen Spiele ignorierte er die Rufe seines Körpers und übertrieb das Training. Beugerprobleme an beiden Beinen waren die Folge. „Ich war eine Woche in der Klinik, täglich beim Heilpraktiker und habe fünf Kernspins und Röntgenaufnahmen über mich ergehen lassen“, sagt er. Alles umsonst. Bei der DM in Nürnberg wurde er mit 10,49 Sekunden Dritter seines 100-Meter-Vorlaufes. Auf das Finale verzichtete er. Peking (China) blieb ein Traum.
Im November 2008 folgte das nächste Desaster für Christian Blum. Sein damaliger Trainer Ewald K. wurde vor den Augen seiner Athleten in der Werner-von-Linde-Halle von der Kriminalpolizei abgeführt. Er sitzt seitdem in Untersuchungshaft, ihm wird Kindesmissbrauch vorgeworfen. „Es fällt mir schwer, das zu begreifen. Ich muss für mich selbst noch einen Weg finden, wie ich damit umgehen kann“, sagt Christian Blum.
Neubeginn mit Ingo Seibert
Momentan will der Sprinter Abstand zu der Sache haben. Er hat einen Brief von Ewald K. bekommen, und er hat ihm einen zurück geschrieben. „Ich weiß aber noch nicht, ob ich ihn besuchen kann und will. Ich werde meinen alten Trainer aber sicher nicht fallen lassen.“
Verkorkste Saison, keinen Trainer: Ende des vergangenen Jahres sah Christian Blum nur noch Scherbenhaufen. Dann trat Ingo Seibert (LG Stadtwerke München) mit einem Besen auf. In dem früheren Trainer des Zehnkämpfers und Olympiastarters Florian Schönbeck (LG Domspitzmilch Regensburg) fand Christian Blum einen neuen Coach. „Ich halte viel von Ingo, er ist selbst Leistungssportler gewesen. Er hat eine Menge Erfahrung und ist nahe am Athleten“, sagt der Sprinter.
„Ich möchte meine Bestleistung angreifen“
Die gemeinsame Vorbereitung „lief problemlos“. Christian Blum ist wieder schmerzfrei, schnell und steht vor großen Aufgaben: Bayerische Hallen-Meisterschaften (24. und 25. Januar), mehrere Meetings und die Hallen-DM in Leipzig (21. und 22. Februar). „Ich muss nur aufpassen, dass ich mir die Ziele nicht zu hoch setze. Erstmal gilt es, die Leistung von Chemnitz zu bestätigen. Dann möchte ich schon meine Bestleistung angreifen und in Leipzig unter die ersten Drei kommen, um sicher zur Hallen-EM fahren zu können“, sagt Christian Blum, dessen 60 Meter-Bestmarke bei 6,59 Sekunden liegt.
In Turin soll es dann das Finale sein. Den unbedingten Willen, den Endlauf zu erreichen, habe er, sagt Christian Blum. Bereits 2007 bei der Hallen-EM in Birmingham (Großbritannien) schrammte er mehr als knapp daran vorbei. Als Fünfter der Halbfinales schied er mit 6,66 Sekunden aus. Der Vierte, Mikhail Yegorychev (Russland), kam mit der identischen Zeit ins Finale. „Wäre ich locker geblieben, wäre das Finale kein Thema gewesen. Nun bin ich schlauer“, sagt Christian Blum.
Begegnung mit der Weltelite?
Nach zwei verpassten Freiluft-Highlights (WM 2007 und die Olympische Spiele 2008) will Christian Blum in diesem WM-Jahr kein drittes Mal patzen und in Berlin starten. „Ich werde das packen“, ist er sich sicher. „Für meinen ersten Start bei einem Saisonhighlight habe ich mir das schönste Ereignis von allen rausgesucht: die WM im eigenen Land. Ich kann die Einzelnorm schaffen und die Staffel verstärken, wenn ich gesund bleibe.“
Dann könnte der gebürtige Neubrandenburger zum ersten Mal auf die Weltelite des Sprints treffen. Auf die Stars, die im Jahr 2008 genauso viel Glanz versprühten wie Fragen aufwarfen. Fragen über Dopingkontrollsysteme und über die Möglichkeit, mit offenem Schuhwerk einen Weltrekord zu rennen. Zum dreifachen Olympiasieger Usain Bolt (Jamaika) hat jeder in der Sprintszene seine eigene Meinung.
„Usain Bolt ist der Talentierteste von allen“
Kürzlich schrieb die Süddeutsche Zeitung, dass Micky Corucle, Trainer des Olympiastarters Tobias Unger (LAZ Salamander Kornwestheim/Ludwigsburg), bei seinem Gemüsehändler in Köngen Yam-Wurzeln kaufen wolle, weil die das Geheimnis des schnellen Usain Bolt seien. „Herr Corucle wollte den Hinweis auf den Wurzelkauf nicht wirklich ernst gemeint wissen. Sondern als Sarkasmus, gespeist aus Frust über die Schieflage der globalen Doping-Kontrollen. Der Trainer gehört zu den Sportfreunden, die sich nicht scheuten, öffentlich Zweifel anzumelden an der Reinheit der Bolt'schen Rekorde“, heißt es auf sueddeutsche.de.
Tobias Unger fühlte sich beim Zugucken des Endlaufs von Peking „verarscht“, Christian Blum dachte: „Geil“. Der Münchner legt sich die Situation so zurecht: „Usain Bolt ist einfach der Talentierteste von allen. Das hat er auch schon als Junior bewiesen. Wenn wir davon ausgehen, dass alle im Finale gedopt waren, war er trotzdem der Schnellste. Wenn alle sauber waren, dann läuft er trotzdem diesen Abstand heraus. Und wenn nur er gedopt hat und alle andern nicht, dann wäre der Abstand zu gering gewesen.“
Kein Schimpfen über fehlende Chancengleichheit
Yam-Wurzeln in Köngen, Bananen in München. Obwohl sich Christian Blum klar zu Doping positioniert („Mein Trainer und ich gehen davon aus, dass wir das nicht in die Hand nehmen. Das kommt nicht in Frage“) will er sich nicht wie seine schwäbischen Kollegen über mangelhafte Chancengleichheit beklagen. „Wäre Tobias Unger in Peking 10,15 Sekunden gelaufen, wäre er doch der Held in Deutschland gewesen. Jeder, der sich mit Leichtathletik auskennt, hätte ihm auf die Schulter geklopft und gesagt „prima Leistung“. Egal, ob er nun 25. oder 34. geworden wäre.“
Mit diesem Kredo will Christian Blum auch seine eigene Zukunft gestalten: „Es geht nicht immer nur um das Finale“, sagt er. „Wenn ich es schaffe, bei der Hallen-EM Bestleistung zu laufen, bin ich völlig zufrieden. Ich weiß dann, dass ich im Training alles richtig gemacht habe.“