Christian Nicolay: "In drei Wochen schlag ich zu"
Wenn der Stadionsprecher bei Bezirksmeisterschaften darum bittet, für die Speerwerfer die ganze Rasenfläche frei zu halten, muss etwas Besonderes vorliegen - man könnte auch sagen: "Gefahr liegt in der Luft." Denn Speere, die sonst bei sechzig Meter vom Himmel fallen, bedrohen plötzlich arglose Sonnenanbeter oder sich in sicherer Entfernung wähnende Betreuer und Athleten. Außer Konkurrenz hat sich der Gewinner der EAA Winterwurf Challenge im März angekündigt: Lokalmatador Christian Nicolay, der für den TV Wattenscheid 01 startet. Nach seinem Wettkampf am vergangenen Wochenende im Stadion Oberwerth, den er mit guten 79,98 Meter abschloss, plauderte der 27-jährige Bankkaufmann offen und ungezwungen über sich und seine Ziele im Sommer.
Christian Nicolay ist bereit für den großen Wurf (Foto: Gantenberg)
leichtathletik.de:Herr Nicolay, Ihr Sieg bei der EAA Winterwurf-Challenge Anfang März in Italien hat die Fachwelt aufhorchen lassen. Sind Sie selbst überrascht?
Christian Nicolay:
Der Sieg bei der Winterwurf-Challenge war sehr überraschend für mich, denn wir haben uns nicht speziell darauf vorbereitet. Wir haben im Februar nur das Training ein wenig umgestellt und das Werfen etwas intensiviert, aber insgesamt das Aufbautraining normal durchgezogen. Jetzt habe ich Kraftwerte wie noch nie. Vor einem Jahr habe ich hier in Koblenz 75,18 Meter geworfen, heute waren es 79,98 Meter. Ich hoffe, dass ich in diesem Jahr noch 84 bis 85 Meter werfen kann.
leichtathletik.de:
Sie starten jetzt im fünften Jahr für den TV Wattenscheid 01, trainieren aber vorwiegend in Koblenz bei Peter Lieser. Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Christian Nicolay:
Wir haben in Wattenscheid eigentlich gut trainiert, aber ich habe mich oft verletzt und es nie umgesetzt bekommen. Ein Aduktorenabriss und ein Bandscheibenvorfall haben mich jeweils ein Jahr gekostet. Dann ist mir noch ein Nerv abgestorben, sodass ich den Fußheber nicht mehr einsetzen konnte. Mit viel Krankengymnastik und "5000 Spritzen" haben wir das wieder hinbekommen. Im Endeffekt war das eigentlich eine verlorenen Zeit, ich habe mich nicht weiter entwickelt, bin stehen geblieben von der Leistung und habe viel am Körper kaputt gemacht. Vor zwei Jahren hat mir der Bundestrainer geraten, wieder zu meinem alten Trainer zu wechseln. Peter Lieser kennt mich wie kein anderer. Er hat mich trainiert, seit ich zehn Jahre alt war. Er weiss, was für mich gut ist. Im Oktober 2001 haben wir wieder begonnen zusammen zu arbeiten. Dazu kamen damals die Querelen um Carolin Soboll. Die Dopingdiskussion war groß im Gespräch und ich war auch irgendwo daran beteiligt, da wir in der gleichen Trainingsgruppe waren. Das war für mich dann der ausschlaggebende Punkt, zurück nach Koblenz zu gehen. Der Verein hat es akzeptiert und hat auch keine Probleme damit, dass ich hier trainiere. Einmal in der Woche bin ich in Wattenscheid, speziell im Winter, denn ich kann hier in der Halle nicht mit dem Speer werfen.
leichtathletik.de:
Wie lässt sich Ihre sportliche Leistungsentwicklung grob beschreiben?
Christian Nicolay:
Als Jugendlicher habe ich 76,88 Meter geworfen, das waren zwölf Zentimeter unter dem immer noch gültigen deutschen Jugendrekord. Im ersten Männerjahr habe ich mich auf 79,96 Meter verbessern können. Die Weite stand bis 2000, meinem letzten Jahr bei Stefan König in Wattenscheid. Da habe ich mich auf 80,19 Meter verbessert, also ein paar Zentimeter weiter. In der ersten Saison unter Peter Leiser sind mir direkt sieben Wettkämpfe über achtzig Meter gelungen, unter anderem den mit 81,90 Metern bei den deutschen Titelkämpfen in Wattenscheid. Schließlich waren da noch die 83,80 Meter am 3. März bei der EAA-Winterwurf-Challenge in Italien.
leichtathletik.de:
Sie hatten riesiges Pech vor Olympia 2000 und konnten sich aufgrund Ihrer Verletzungen nicht für Sydney qualifizieren. Was ist da genau geschehen?
Christian Nicolay:
Eine falsche Trainingsplanung würde ich fast sagen. Wir haben Harakiri trainiert, Hals oder Kopf. Entweder es klappt oder einer verletzt sich und fällt hinten runter. Und ich bin halt hinten runtergefallen, da ich das Ganze noch nicht richtig verkraftet habe und körperlich noch nicht reif dafür war. Wir haben geknüppelt, geknüppelt, geknüppelt und der Körper hat irgendwann gesagt, nee ... Ende. Jetzt wird hier viel mit Kopf trainiert, also auf Bedacht und nicht sinnlos. Da wird schon mal eine Trainingseinheit weg gelassen und einfach mal aufs Gefühl gehört. Das ist besser, als sich zu verletzen.
leichtathletik.de:
Neben dem Sportlichen, wie sieht Ihr beruflicher Werdegang aus? Haben Sie wie viele andere Leichtathleten ein Studium begonnen?
Christian Nicolay:
Während meiner Juniorenjahre habe ich eine Ausbildung zum Bankkaufmann gemacht, danach, 1997, bin ich zur Sportfördergruppe der Bundeswehr in Köln/Wahn gegangen und habe nebenbei BWL studiert. Da fehlt mir nur noch die Diplomarbeit. Eigentlich habe ich es der Bundeswehr zu verdanken, dass ich seit dem letzten Jahr wieder so herangekommen bin. Die finanzielle Absicherung ist da einmalig. Wenn ich hätte rausgehen müssen ins Berufsleben, wäre es schwierig für mich geworden. Da spielt kein Arbeitgeber mit, wenn man in der Woche zu Wettkämpfen fahren muss. Für viele, die Profis sind, sieht die Sache anders aus, die müssen halt weit werfen und dürfen sich eigentlich nicht verletzen.
leichtathletik.de:
Kann man vom Speerwerfen gut leben? Reichen die Einnahmen aus, um sich während der Sportkarriere ein Häuschen zu bauen?
Christian Nicolay:
Da muss ich differenzieren. Bis zu den letzten Jahren, wo ich an die 80 Meter geworfen habe, geht gar nichts, da ist man froh zu Sportfesten eingeladen zu werden und das Benzingeld wieder raus zu bekommen. Wenn man da Geld haben will, wird man ausgelacht. Bei achtzig Meter und mehr sieht die Sache schon besser aus und ab 85 Meter, glaube ich, kann man sich während seiner Speerwurfkarriere ein Haus rausziehen. Bei den Prämien, die heute zum Beispiel beim Golden-League-Meeting vergeben werden, ist es kein Wunder, dass die Leute noch bis 40 werfen. Die wären blöd, wenn sie früher aufhören würden. Durch die 83,80 Meter in Gioia Tauro habe ich so viele Angebote, ich weiss gar nicht, wo ich überall werfen soll. Leistung wird halt bezahlt.
leichtathletik.de:
Die Weltmeisterschaft in Paris ist Ihr großes Ziel in diesem Jahr. Mit der Verletzung von Björn Lange und Ihrer guten Leistung im Winter stehen die Chancen nicht schlecht sich zu qualifizieren?
Christian Nicolay:
Für den Björn tut es mir leid, denn wir kommen unheimlich gut miteinander klar und er gehört einfach dazu. Ich werde ihn vor seiner Operation in Düsseldorf noch besuchen und schauen, dass er schnell wieder auf die Beine kommt. Aber so bitter kann der Sport sein. Jetzt stehen die Chancen für mich so gut wie nie, denn die anderen sind auch nicht stärker, die müssen erst mal weiter werfen.
leichtathletik.de:
Wie sah die Saisonvorbereitung bei den Speerwerfern aus? Welche Trainingslager haben Sie mit Ihren Kollegen absolviert, mit denen Sie sich nach eigener Aussage hervorragend verstehen?
Christian Nicolay:
Im November waren wir 14 Tage im Höhentrainingslager in der Sierra Nevada auf 3500 Meter.
Das war "geil", da bekommt man Kondition. Beim Fußball spielen am ersten Tag, ist mir bei den kurzen Antritten fast schlecht geworden. Sowas habe ich noch nie erlebt. Ich kam runter und habe fast Bäume ausgerissen. Dann waren wir im Januar und Februar mit dem ganzen Kader zwei mal zwei Wochen in Kienbaum bei minus 10 Grad und schließlich noch in Italien in Tirenia, für den letzten Feinschliff in die Saison. Davon bin ich jetzt noch etwas müde, aber in drei Wochen schlag ich zu.
leichtathletik.de:
Speerwerfen wirkt von außen, sagen wir mal, ziemlich "materialermüdend". Wie hoch ist die Belastung im Training, im Vergleich zum Wettkampf?
Christian Nicolay:
Die Belastung ist höher, als man meint. Wir machen im Training zwischen 30 und 50 Würfe.
Ich kann nur lernen, wenn ich wettkampfnahe Würfe mache. Bei viermal Training in der Woche, macht das 120 Würfe. Die kann man natürlich nicht alle wie im Wettkampf werfen, aber am Ende einer Einheit geht man mit stark angeschwollener Achillessehne nach Hause. Das ist nicht beunruhigend, zeigt aber, welche Kräfte auch im Training an den Fuß greifen. Meine Trainingsbestleistung steht für dieses Jahr bei etwas über 78 Meter.
leichtathletik.de:
Wo können Ihre Fans Sie demnächst bewundern, wie sieht Ihre Terminplanung aus?
Christian Nicolay:
Ich starte am 18. Mai in Thum und am 24. Mai in Halle. Danach geht es nach Dessau, Cottbus, Rehlingen und Kassel.
leichtathletik.de:
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Nicolay.