Christian Reif - „Es wird nicht einfacher“
Mit einer deutlichen Mehrheit wurde Weitsprung-Europameister Christian Reif zum deutschen „Leichtathleten des Jahres 2010“ gewählt. Im Interview blickt der Ludwigshafener nicht nur zurück, sondern spricht unter anderem auch über Fannähe, Authentizität und jenen Erwartungsdruck, den er sich selbst auferlegt.
Christian Reif, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl zum „Leichtathleten des Jahres“. Mit rund 35 Prozent waren Sie klar vorne. Haben Sie das erwartet?Christian Reif:
Das freut mich sehr. Ich konnte nicht davon ausgehen. Es wählen ja nicht Journalisten, sondern das Publikum. Da kann alles passieren. Wenn es jemand schafft, viele Leute zu mobilisieren, muss es nicht immer die beste Leistung sein, die entscheidet. Es ist deshalb immer noch etwas Besonderes, wenn man so eine Wahl gewinnen kann. Ich glaube aber schon, dass viele Leute gewählt haben, die viel Ahnung von der Leichtathletik haben.
Neben dem sportlichen Erfolg spielt aber auch die Popularität eine große Rolle. Auf Ihrer Homepage beantworten Sie jeden Gästebucheintrag. Wie wichtig ist Ihnen denn die Fannähe?
Christian Reif:
Sehr wichtig. Ich antworte gerne im Gästebuch. Bei Autogrammwünschen habe ich das auch eine Zeit lang gemacht, irgendwann ging das nicht mehr. Aber erst kürzlich habe ich einen Autogrammwunsch bekommen, bei dem sich der Brief schon von anderen unterschieden hat. Dem Herrn geht es gesundheitlich nicht gut. So einen Brief lege ich beiseite, um ihm persönlich eine Antwort zu geben und nicht nur eine Autogrammkarte zu schicken. Die Zeit nehme ich mir.
Welchen Popularitätsschub hat Ihnen persönlich der grandiose EM-Erfolg in Barcelona gebracht?
Christian Reif:
Es ist nicht so, dass man sich nicht mehr frei bewegen und nicht mehr so sein kann, wie man will. Wenn man es mit den Jahren davor vergleicht, dann hat sich aber schon einiges verändert. Man wird erkannt, wenn auch nicht so sehr wie im Fußball. Es ist aber noch auf einem Niveau, mit dem ich sehr gut leben kann. Ich finde es auch als angenehm, wenn mir Leute sagen, dass sie mitgefiebert haben.
Authentizität ist Ihnen offenbar sehr wichtig. Wie oft sind Sie denn in den letzten Monaten Gefahr gelaufen, dass Sie sich nicht mehr treu bleiben konnten?
Christian Reif:
Ich bin nicht in eine Situation gekommen, in der ich mir nicht treu war. Ich habe von vornherein Angebote abgelehnt, die nicht nach meinem Geschmack waren. Zum Beispiel das „Promi-Dinner“. So etwas käme für mich nie in Frage. Man kennt mich durch den Weitsprung. Mein Privatleben muss man nicht unbedingt kennen, auch wenn es für manche interessant wäre. Das soll auch so bleiben.
Zum Erfolgsjahr 2010. Was geht Ihnen jetzt mit etwas Abstand noch durch den Kopf, wenn Sie zurückdenken?
Christian Reif:
Zum Jahresende habe ich mir diese Gedanken gemacht. Es war das schönste Jahr, das ich erleben durfte. Sportlich wie auch privat. Das eine schließt das andere viel mit ein. Man erlebt soviel und hat so viele Möglichkeiten, neue Menschen kennen zu lernen, neue Dinge auszuprobieren. Das war ein ganz, ganz tolles Jahr. Ich habe mir einen Traum erfüllt. Ich wollte immer eine internationale Medaille. Dass es am Ende eine goldene wird, ist natürlich umso schöner. Jetzt kommen Weltmeisterschaften und Olympische Spiele, 2012 auch die nächste Europameisterschaft. Doch noch einmal ganz oben zu stehen, das wird nicht unbedingt einfacher.
Wie gehen Sie mit diesem Druck, der sich als amtierender Europameister ergibt, um?
Christian Reif:
Ich bin selbst bodenständig. Aber auch mein näheres Umfeld ist sehr bodenständig und kann sehr gut Leistungen und Herausforderungen einordnen. Von daher laufe ich nicht Gefahr abzuschweifen und zu denken, dass ich jetzt Weltmeister werde. Ich finde, es ist nicht so einfach, bei einer Weltmeisterschaft in den Endkampf zu kommen. Das soll kein Tiefstapeln sein, sondern das ist relativ realistisch. In Barcelona hätte es auch um ein Haar schief gehen können. Ich war nah dran. So etwas kann bei einer Meisterschaft immer schnell passieren. Egal wie gut man in Form ist. Wenn ich aber so wie in diesem Jahr in einer guten Verfassung bin, dann werde ich die Erwartungen auch wieder ein bisschen höher schrauben. In Barcelona habe ich auch irgendwann von einer Medaille gesprochen und das auch relativ vehement.
Brauchen Sie das, um sich im entscheidenden Moment ein wenig zu kitzeln?
Christian Reif:
Ja, das brauche ich wirklich. Mein Vater hat mich gefragt, warum ich von einer Medaille spreche und mir selbst Druck mache. Ich muss für mich aber ein bisschen inneren Druck aufbauen, auch wenn der in Barcelona von außen schon da war. Ich bin ja als Europas bester Springer hingekommen. Ich habe aber auch eigene Erwartungen, die ich erfüllen will. Diese Erwartungen habe ich einfach nur ausgesprochen. Ich wollte eine Medaille, das habe ich zugegeben. Wenn ich bei der WM mit einem fünften Platz zufrieden wäre, dann baue ich mir den Druck für den fünften Platz auf, aber keinen für den dritten, nur weil jemand schreibt, dass ich Dritter, Zweiter oder Erster werden kann.
Bei der EM in Barcelona wurde Ihre mentale Stärke offenkundig. Das hat viele Leichtathletik-Fans fasziniert. Sie arbeiten mit Sportpsychologen. Worauf kommt es an?
Christian Reif:
Die Sportpsychologen sind ein kleiner Teil. Den Rest muss man sich selbst erarbeiten. Es ist einfach wichtig, dass man alles um sich herum richtig macht. Für mich war es zum Beispiel die richtige Entscheidung, dass ich beim ABC Ludwigshafen geblieben bin. Es gab Leute, die gemeint haben, das wäre ein großer Fehler. Jetzt aber bin ich mit der Sicherheit am Anlauf gestanden, dass ich selbst dann, wenn alles schief geht, einen Verein habe, der auf mich baut und der mich bis zu den Olympischen Spielen 2012 unterstützt. Man kann sich psychologisch stark machen, wenn man dafür sorgt, dass alles um einen herum stimmt, dass man in Harmonie am Anlauf stehen kann, dass es in der Trainingsgruppe passt, dass man einen Trainer hat, der auch dann Positives findet, wenn es mal nicht klappt.
Viele spekulieren jetzt über einen neuen deutschen Rekord im Männer-Weitsprung (8,54 m). Klappt es damit im Jahr 2011?
Christian Reif:
Auch wenn ich in Barcelona im Überschwang gesagt habe, dass ich mir den Rekord nächstes Jahr hole: Ich kann es nicht beantworten. Dieser Rekord steht schon lange (Anm. d. Red.: 1980; Lutz Dombrowski). Ich habe Respekt vor diesem Rekord. Sebastian (Bayer) ist ein sehr starker Springer. Auch ich bin vom Leistungsvermögen soweit ihn springen zu können. Aber zu einem Rekord gehört mehr als nur das Talent. Es muss an dem Tag alles stimmen. Es müssen die Rahmenbedingungen geschaffen sein und man muss an dem Tag auch topfit sein. Mir wäre es aber wichtiger, dass man in diesem Jahr schreiben kann, dass ich wieder eine Medaille geholt habe, als dass ich den Rekord gesprungen bin.
Sie hatten sich im Dezember verletzt. Können Ihre Fans in der aktuellen Hallensaison noch mit Ihnen rechnen?
Christian Reif:
Die Deutschen Hallen-Meisterschaften in Leipzig und die Hallen-EM sind auf jeden Fall noch ein Thema für mich. Den Hallen-Länderkampf in Glasgow Ende Januar habe ich aber absagen müssen.
Leichtathleten des Jahres - The winners are…