| Buchrezension

Christian Schenk – Vergebliche Suche nach einer heilen Welt

Schonungsloser Rückblick, späte Beichte und erschreckende Details: Christian Schenk berichtet in seiner lesenswerten Biographie davon, wie er als Zehnkampf-Olympiasieger den sportlichen Thron bestieg und doch so oft im Leben ganz unten war.
Peter Schmitt

Christian Schenk, Zehnkampf-Olympiasieger 1988 von Seoul (Südkorea), hat zusammen mit seinem Co-Autor Fred Sellin im Droemer-Knaur-Verlag eine bemerkenswerte Autobiographie mit dem Titel „Riss – Mein Leben zwischen Hymne und Hölle“ geschrieben. Bemerkenswert deshalb, weil er sehr offen mit seiner Krankheit, der bipolaren Störung, umgeht und gleichzeitig erstmals zugibt, dass er als Leistungssportler in den 80er Jahren in der früheren DDR Oral-Turinabol eingenommen hat.

Dabei kommt das Wort Doping nach 93 Seiten zum ersten Mal vor und nimmt im gesamten Buch gerade einmal sechs Seiten ein. Schenks Fangemeinde sieht es positiv, dass er in seiner späten Lebensbeichte offen die Manipulation im Sport zugegeben hat. Ganz nach dem Motto: „Besser spät, als nie.“ Kritiker dagegen werfen ihm klare Berechnung vor, denn seinen Olympiasieg kann ihm keiner mehr nehmen, da ein Dopingvergehen nach 30 Jahren verjährt ist.

Christian Schenk verurteilte nach der Wende im Zehnkampf-Team alle, die zu unerlaubten Mitteln gegriffen haben und gab immer wieder zu Protokoll, dass er nie wissentlich gedopt habe. Am Ende kann der Leser selbst entscheiden, auf welche Seite der Medaille er blicken möchte.

Anspruch und Realität klaffen oft auseinander

Fakt ist: „Riss – Mein Leben zwischen Hymne und Hölle“ zeigt schonungslos auf, wie sich Schenk von einer einst umjubelten Sport-Legende zu einem Menschen entwickelte, der bis heute vergeblich nach seiner Mitte sucht. Dabei wechseln autobiographische Elemente mit zahlreichen Episoden von bipolarer Störung ab, was der Autor als festes Strukturelement des Buches verwendet. Ob letztlich ein direkter Zusammenhang zwischen bipolarer Störung als Folge von Doping besteht, wird nicht eindeutig geklärt.

Anspruch und Realität klaffen beim Olympiasieger von 1988 oft auseinander, dies wird auf mehr als 250 Seiten sehr deutlich. Eine nicht unbedeutende Rolle spielt dabei das Vater-Sohn-Verhältnis, denn Schenks Vater hatte extrem hohe Erwartungen, die der Sohn nur selten erfüllte. So gratuliert er seinem Sohn zwar zum Olympiasieg, aber ohne jegliche Emotion: „Gratulation, aber über die Hürden bin ich schneller gelaufen.“ Und als Schenk ihm mitteilt, dass er sein Medizinstudium abgebrochen hat, wechselt der Herr Papa fünf Jahre kein Wort mehr mit ihm.

Schenks Leben ist wie eine Achterbahnfahrt

Überhaupt ist Schenks Leben eine rasante Achterbahnfahrt: Mal rauf – mal runter, im privaten wie im geschäftlichen Bereich. Scheidung von seiner ersten Frau Helke – „Es traf mich wie einen Schlag. Ich fühlte mich mickrig wie ein Wurm. Ich war doppelt betrogen worden: von meiner Frau und meinem damals besten Freund.“ Hochzeit und dann später erneut Trennung von seiner zweiten Frau Dawn, die er auf Schloss Liebenberg geheiratet hatte.

Die Söhne Arvid und Aaron sind Christian Schenk in seinem Leben eine der wenigen festen Konstanten. Arvid setzte sich persönlich dafür ein, dass sein Vater nach der Leichtathletik-WM in Berlin im November 2009 in eine Klinik eingeliefert wird. Die manischen ersetzen oft die depressiven Phasen und umgekehrt. Als schließlich Wahn-Vorstellungen („Ich hielt mich für Anis Amri; den Attentäter vom Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz“) mit Selbstmordgedanken abwechseln, hat Schenk Glück, dass ihm erneut Freunde helfen.

Schonungslose Offenheit

Sein beruflicher Werdegang – eigene Sportagentur, verschiedene Projekte, Moderationen etc. und zuletzt befristete Festanstellung im Bergener Rathaus für Kultur und Marketing, die im März 2018 nicht verlängert wurde – stand ebenfalls unter keinem guten Stern. Hinzu kommen finanzielle Probleme bis hin zur privaten Insolvenz. Mit 52 Jahren lebte Christian Schenk wieder in seinem Kinderzimmer auf Rügen, um im Elternhaus seine kranke Mutter zu pflegen. In der Zwischenzeit ist sie verstorben.

Es ist ein Outing, das an vielen Stellen durch Details und schonungslose Offenheit unter die Haut geht. Für alle, die mit einer bipolaren Störung leben müssen, könnte Schenks Buch Mut machen, nicht aufzugeben und an sich und das Leben zu glauben. Für Christian Schenk ist seine Autobiographie ein Neubeginn mit einer überfälligen Lebensbeichte auf der vergeblichen Suche nach einer heilen Welt.

Riss – Mein Leben zwischen Hymne und Hölle
Christian Schenk/Fred Sellin
Hardcover, Droemer HC
ISBN: 978-3-426-27768-3
19,99 Euro

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