Christian Taylor - Talentierter als Mike Conley
Nachdem US-Sprungtrainer Dick Booth nach 27 Jahren Trainer-Tätigkeit an der Universität von Arkansas im Jahr 2009 an die Universität von Florida gewechselt war, hängte er Photos der erfolgreichsten Dreispringer, die er in Fayetteville betreut hatte, an die Wände seines Arbeitszimmers im Lemerende Center. Allen voran ein Bild von Mike Conley, der 1992 Olympiasieger und 1993 Weltmeister war.

Unter ihnen befanden sich auch Brian Wellman (Bermudas) und Jerome Romain (Dominica), die 1995 in Göteborg (Schweden) hinter dem gleich doppelt mit einem Weltrekord auftrumpfenden Briten Jonathan Edwards (18,16 und 18,29 m) die bislang einzigen WM-Medaillen für ihre kleinen Heimatländer gewannen.
Blick auf die Galerie
Mit einem Blick auf die Photogalerie wagte der sehr erfahrene Sprung-Coach, durch dessen Schule die Gewinner von fast 50 NCAA-Meistertitel gingen, vor der Hallensaison 2011 diese Prognose: „Obwohl ich schon viele gute Springer betreut habe, kann ich mich nicht erinnern, dass ich jemals eine bessere Trainingsgruppe zur Verfügung hatte wie in diesem Jahr. Ich denke, die Besten aus ihr können in diesem Jahr Historisches vollbringen. Christian Taylor erinnert mich in vieler Beziehung an Mike Conley. Er hat sogar mehr Talent als mein bislang erfolgreichster Springer. Und auch der noch ein Jahr jüngere Will Claye bringt viel Begabung für Weit- und Dreisprung mit.“
Am Schlusstag der WM in Daegu (Südkorea) ging die mutige Prognose aus Gainesville auf erstaunliche Art in Erfüllung. Im Alter von 21 Jahren und 78 Tagen löste Christian Taylor mit 17,96 Metern einen so großen Athleten wie Carl Lewis, den die IAAF zur Jahrtausendwende zum „Leichtathleten des Jahrhunderts“ gewählt hatte, als jüngsten Weltmeister unter den Vertikal-Springern ab.
Auf den Spuren von Carl Lewis
Beim ersten seiner beiden Weltmeistertitel im Weitsprung, den „Carl der Große“ 1983 in Helsinki (Finnland) mit 8,55 Metern im Weitsprung errang, war er immerhin schon 22 Jahre und 40 Tage alt.
Will Claye wurde dank eines Sprungs von 17,50 Metern im Alter von 20 Jahren und 83 Tagen der Benjamin unter den Medaillengewinnern in den Vertikal-Sprüngen. Zwei Tage, nachdem ihm die deutschen Europameister Sebastian Bayer (Hamburger SV) und Christian Reif (ABC Ludwigshafen) knapp den Weg ins Weitsprung-Finale verwehrt hatten.
Gegenüber dem Sieg bei der U18-WM 2007 im tschechischen Ostrava (15,98 m) legte der vierte Dreisprung-Weltmeister der USA bei seiner zweiten IAAF-Goldmedaille fast zwei Meter zu! „Ein neues Kind ist in der Stadt und es ist verdammt gut“, staunte Titelverteidiger Phillips Idowu (Großbritannien), der nur einmal weiter sprang als in Daegu. Beim Sieg auf der EM in Barcelona (17,83 m).
Phillips Idowu stöhnt
Dennoch war er ohne Chance, sein Versprechen zu erfüllen seiner Tochter D’Kamma zum vierten Geburtstag eine Goldmedaille zu schenken. Er stöhnte: „Es wird immer schwerer 2012 zu Hause in London Gold zu holen, dann kommt ja auch noch Teddy Tamgho zurück.“ Frankreichs Hallen-Weltmeister, der am 30. Juni in Lausanne (Schweiz) mit einem Sprung von 17,91 Metern zum WM-Favorit aufgestiegen war, sich dann aber beim Aufwärmen für die U23-EM so schwer verletzte, dass die Saison für ihn vorzeitig beendet war.
Schon vor dem Titelgewinn in Ostrava hatte Christian Taylor, der 40 Kilometer von der der Olympiastadt Atlanta aufgewachsen war, im Trikot der Sandy Creek High School in der Leichtathletik und im Football seine Begabung zur Vielseitigkeit gezeigt. An der Universität von Florida, die mit rund 50.000 Studenten zu den fünf größten Hochschulen der USA zählt, erkannte Sprungtrainer Dick Booth: „Er ist gut in jeder Beziehung. Vor allem aber ist er schnell. Und er hat keine Scheu vor einer großen Portion an Wettkämpfen. Er weiß, dass sie ihn stark machen.“
Gold beim 39. Start
Das bestätigt der 21-Jährige vor allem 2011. Er gewann die Goldmedaille im 39. Auftritt der Saison mit einer Weite, die bei Weltmeisterschaften nur der unvergleichliche Jonathan Edwards übertroffen hatte, als er bei der WM 1995 in Göteborg mit 18,16 und 18,29 Metern das Kunststück fertig brachte, im ersten und im zweiten Versuch Weltrekord zu springen.
Die schon genannten 39 Wettkämpfe verteilten sich - man lese und staune - zwischen dem 15. Januar und dem 4. September auf acht verschiedene Disziplinen.
Im Einzelnen:
60 Meter Halle (2) - Beste Zeit: 6,79 Sekunden
200 Meter (1) - 20,76 Sekunden
400 Meter (1) - 45,46 Sekunden
Weitsprung Halle (4) - 7,62 Meter
Weitsprung (5) - 8,00 Meter
Dreisprung Halle (4) - 17,36 Meter
Dreisprung (11) - 17,96 Meter
4 x 100 Meter (6) - 38,48 Sekunden
4 x 200 Meter Halle (2) - 1:22;00 Sekunden
4 x 400 Meter (3) - 3:04,27 Minuten
Offene Geheimnisse
Die offenen Geheimnisse von Christian Taylor und Will Claye lauteten: „Wir haben das ganze Jahr an diese Medaillen geglaubt! Wir hatten beim gemeinsamen Training jeden Tag auch viel Spaß, obwohl jedes Training bei unserer Rivalität auch einem Wettkampf ähnelte. Doch daher ist jeder Wettkampf für Will und mich auch wie Training. Wenn einer von uns auch nur einen kleinen Fehler beim anderen entdeckt, dann sagt er es ihm. Im Training wie im Wettkampf pushen wir uns gegenseitig.“
Das war vor der WM am besten bei den US-Hochschul-Meisterschaften am 11. Juni in Des Moines zu beobachten. Damals eröffnete Christian Taylor mit 17,32 Metern (2,0 m/sec Rückenwind).
Li Ning hatte guten Riecher
Doch dann wechselte die Führung wie folgt Will Claye 17,35 (+1,5), Christian Taylor 17,40 (+2,0), Will Claye 17,41 (+2,3), Christian Taylor 17,80 (+2,3). Bevor sich Will Claye trotz einer Steigerung auf 17,62 Meter (+2,9) geschlagen geben musste.
Zu viel Rückenwind dachte damals wohl die Konkurrenz. Doch spätestens seit Christian Taylor in Daegu so gut wie ohne Windhilfe (nur 0,1 m/sec Rückenwind) 17,96 Meter sprang, gilt er als Kandidat für einen 18-Meter-Sprung, wenn nicht sogar ür den Angriff auf einen der besten Weltrekorde. Sehr hoch schätzt ihn der chinesische Sportartikel-Riese Li Ning ein. Er hatte ihn schon vorher mit einem schönen Vertrag ausgestattet.