Coesfeld - Schwarz sehen die Wattenscheider
Ein Bürschlein von gerade mal 18 Jahren war der Spielverderber. Auf Alexander Lubina und Jan Fitschen, die beiden Wattenscheider, die bereits zwölf Monate zuvor beim Coesfelder City-Lauf über 10 Kilometer zu Gast waren, tippten die Zuschauer am Straßenrand voller Zuversicht. Denkste – sie sahen schwarz! Francis Kiprop, ein kleiner Kenianer, rotzfrech und ohne Respekt, stürmte in der vorletzten Runde los, als sei er von einer Tarantel gestochen worden.
Francis Kiprop siegte in Coesfeld (Foto: Hörnemann)
Hinterher im Ziel blitzte ihm der Schalk aus dem schweißnassen Gesicht: "War doch ganz gut für mein erstes Rennen in Europa. Oder?" Sprach's und strahlte aus großen Augen. Nach einer verbummelten ersten Hälfte, die nur in 15:39 Minuten passiert wurde, löste Francis Kiprop, der Hauptdarsteller von über 1000 Teilnehmern, kurz darauf alle Bremsen und haute den höchsten Gang ins Getriebe. Mit langen Schritten, die man ihm gar nicht zugetraut hätte, löste er sich von seinem Begleiter, erarbeitete sich im Nu einen ausreichenden Vorsprung, den er zäh bis zum Zielstrich verteidigte. Mit 30:25 Minuten war Kiprop sieben Sekunden schneller als Lubina, der wiederum über eine halbe Minute vor Nassary Kichwen, einem weiteren Kenianer, und Jan Fitschen herausgeholt hatte.
Von Lornah Kiplagat entdeckt
Der Überraschungssieger ist ein Nandi, einer vom Stamm der Läufer, die schon viele Weltklasse-Athleten hervorgebracht haben. "Ich komme aus Eldoret", berichtete er froh gelaunt und bleckte seine weißen Zähne, "und bin erst vor wenigen Tagen in Deutschland gelandet." Esther Kiplagat, eine Marathonläuferin der Extraklasse mit einer Bestzeit von 2:25:31 Stunden und im vergangenen Jahr noch Dritte in New York, hat ihn entdeckt.
"Wir haben noch Glück gehabt, dass er überhaupt ausreisen durfte", erklärte sein Manager Paul Boltersdorf, "denn weil er noch so jung ist, wollten sie ihn nicht raus lassen." Paul Boltersdorf musste seine guten Verbindungen spielen lassen, bis die gestrengen Funktionäre ihm endlich ihr Ja-Wort gaben.
Alexander Lubina nahm die Niederlage mit Humor. Zweimal war er Zweiter bei diesem City-Lauf, aber noch keinmal Erster. "Dafür, dass ich erst seit zehn Tagen wieder im Training bin, war das ganz okay", sagte er gewohnt lässig, "mir hat's Spaß gemacht, die Stimmung hier in Coesfeld ist echt super."
Irgendwann gewinnen
Drum kann es durchaus sein, dass es im kommmenden Jahr ein Wiedersehen geben wird. Oder? "Warum nicht", kam die positive Antwort blitzschnell zurück, "irgendwann muss ich dieses Rennen doch gewinnen." Dann wäre er in guter Gesellschaft. Denn Rüdiger Stenzel und Mark Ostendarp, seine beiden Klubkollegen vom TV Wattenscheid 01, haben dieser Großveranstaltung, die nunmehr die zehnte Auflage feierte, in der Vergangenheit ihren Stempel aufgedrückt: Stenzel mit drei und Ostendarp mit zwei Siegen.
Die schnellen Jungs aus dem Ruhrpott sind Stammgäste in der Kreisstadt. Blau-weiß sind die Wattenscheider Vereinsfarben, blau-weiß leuchten auch die Trikots der LG Coesfeld. Jan Fitschen, der vor wenigen Wochen Gold bei der Universiade in Korea über 10.000 Meter und Silber über 5000 Meter gewonnen hat, war ebenfalls angereist. Begleitet wurde er von seiner Freundin Heike, die im nahen Münster Architektur studiert. "Ich bin jetzt acht Tage in Deutschland", erzählte er, "vorher haben wir vier Wochen Urlaub in Australien gemacht."
Down Under
Nach seinem erfolgreichen Korea-Trip war Jan Fitschen gleich nach Australien gejettet. "In Brisbane lebt derzeit mein Bruder, mit dem ich einst das Laufen angefangen habe." Uwe Fitschen, 25 und ein Jahr jünger als Jan, hat an der "University of Queensland" die Fächer Betriebswirtschaft und Umweltwissenschaften belegt. Vier Wochen waren sie zusammen, feierten am 10. September Uwes Geburtstag und joggten gemeinsam in der Millionen-Metropole, wo 1988 die Expo stattgefunden hat.
In Coesfeld ist Jan Fitschen "aus der kalten Hose" gelaufen. "Ich bin ja gar nicht vorbereitet nach der langen Pause", entschuldigte er seine Zeit (30:56 Minuten), "ein bisschen kann ich schon." In der Tat! Mit 29:39,47 Minuten schnappte sich der Physikstudent die begehrte Goldmedaille in Korea.
Auf der halb so langen Distanz, also über 5000 Meter, wo ihm 2002 der deutsche Meistertitel zuteil wurde, fühlt er sich noch wohler. Da will Jan Fitschen auch das Olympia-Ticket für Athen einlösen. Dafür opfert er sogar einen Teil des kommenden Semesters. Denn am 11. November bringt ihn der Flieger nach Flagstaff, einer 2103 Meter hoch gelegener Stadt im US-Bundesstaat Arizona.
Ab in die Höhe
Mit Alexander Lubina, Christian Güssow und Christian Köhler düsen sie ins Höhentraining, um sich dort auf die Wintersaison vorzubereiten. Doch wenn sie schon in Flagstaff sind, lohnt sich auch eine Stippvisite im Grand Canyon National Park, der sich nur 120 Kilometer weiter nördlich befindet.
Alexander Lubina und Jan Fitschen sind sich einig, dass sie im Winter die Hallensaison bestreiten wollen. Jan Fitschen konzentriert sich wieder auf die 3000 Meter. Da hat er zu Beginn dieses Jahres den mittlerweile zurückgetretenen Ex-Olympiasieger Dieter Baumann geschlagen.
Alexander Lubina, der im Dezember 24 wird und wegen eines Ermüdungsbruch seinen deutschen 10.000-Meter-Titel in diesem Jahr nicht verteidigen konnte, freut sich auf die Rennen unterm Dach. "Ich bin in meinem ganzen Leben erst einmal in der Halle gelaufen", sorgte er für einiges Erstaunen bei seinen Vereinskameraden, "das war als B-Jugendlicher in Düsseldorf , damals war ich Zweiter."
Wie in Coesfeld, wo Alexander Lubina noch extra einen ausgeben musste. "Denn am Freitag habe ich erfahren, dass ich das Vordiplom bestanden wurde." Drum hatte er extra die Spendierhose mitgenommen.
10. Coesfelder City-Lauf, 10 km
Männer:
1. Francis Kiprop (Kenia) 30:25
2. Alexander Lubina (TV Wattenscheid 01) 30:32
3. Nassary Kichwen (Kenia) 30:55
4. Jan Fitschen (TV Wattenscheid 01) 30:56
5. George Kipruto-Sirma (Kenia) 31:01
6. Stefan Koch (TV Wattenscheid 01) 31:09
Frauen:
1. Susan Teimeit (Kenia) 36:43
2. Peggy Lange (TuS Sythen) 37:06
3. Florence Chepkurui (Kenia) 37:24