Christina Obergföll - der Glücksmagnet
Den Superlativ von „perfekt“, den gibt es nicht. Für Christina Obergföll (LG Offenburg) müsste er aber erfunden werden, denn immer, wenn es in den vergangenen Monaten schien, als ginge es nicht noch besser, noch toller, eben noch perfekter, da setzte die Speerwerferin gefühlt noch eins drauf. Die Leser von leichtathletik.de und leichtathletik haben offenbar ähnlich gefühlt. Mit überragender Mehrheit wurde die 32-Jährige zur „Leichtathletin des Jahres“ gewählt.

Es ist, als habe Christina Obergföll sich im letzten Jahr in einen Glücksmagneten verwandelt. Bei der WM in Moskau warf sie den Speer am weitesten. „Endlich“ ist man versucht zu schreiben, schließlich war sie die Jahre davor auch immer weltklasse, holte in beruhigender Regelmäßigkeit Medaillen. Aber ganz oben auf dem Podest hatte sie noch nie gestanden. „An den Moment werde ich mich mein Leben lang erinnern“, sagt Christina Obergföll. Den Stempel der Ewigen Zweiten, sie hatte ihn abgeschüttelt. In einem Moment, als sie selber schon nicht mehr dran geglaubt hatte. „Das ist auch in der Erinnerung zum Gänsehautbekommen.“
Von diesem Gold-Coup an war Christina Obergföll in den Medien schier omnipräsent. „Gold-Christina“ nannte sie „Der Express“, „Endlich nicht mehr die Unvollendete“, titelte die WAZ und „Die Zeit“ befand: „Befreit vom ewigen Makel“. Die Deutsche Presse-Agentur schickte einen Fotografen zu ihrer anschließenden Hochzeit mit Lebensgefährten und Technik-Trainer Boris (heute Obergföll, ehemals Henry). Die Tatsache, dass das Paar vor der WM eine Wette um den künftigen Nachnamen abgeschlossen hatte, die bekanntlich zu ihren Gunsten ausfiel, war der „Bild“ die „schrägste WM-Geschichte“ wert und auch im „Aktuellen Sportstudio“ im ZDF mussten die Obergfölls im Doppelpack Rede und Antwort stehen.
"Titel ist enorme Wertschätzung"
Zu bereden gab es schließlich genug, denn in ihrem Heimatort wurde nicht nur eine Straße nach ihr benannt, Christina Obergföll wurde mit Ehrungen schier überschüttet. Eine kleine Auswahl: Im Oktober wählten sie die besten Athleten Deutschlands zum „Champion des Jahres“, im Dezember strahlte sie als „Sportlerin des Jahres“ über die Fernsehbildschirme der Nation und nun die Wahl zum „Leichtathleten des Jahres“.
„Jetzt denken bestimmt einige, diese Ehrungen seien inzwischen normal für mich. Das stimmt aber nicht“, sagt Christina Obergföll. „Für mich ist der Titel ‚Leichtathletin des Jahres‘ eine enorme Wertschätzung. Nicht nur für die vergangene Saison, sondern auch die ganzen Jahre vorher. Schließlich ist die Leichtathletik die Sportart, die ich über alles liebe. Die Stimmen der Leichtathleten bedeuten mir daher viel.“
Kinderwunsch öffentlich zu machen: "War Fehler"
Ein Thema hätte Christina Obergföll im Nachhinein aber lieber aus der Öffentlichkeit herausgehalten: ihren Kinderwunsch. „Das zu erzählen, war ein Fehler. Das ist mir in der Euphorie in der Mixed-Zone in Moskau so rausgerutscht.“ Danach gab es keine Interviewanfrage und auch wenige private Gespräche, in denen nicht einmal die Frage fiel: „Und? Bist du schwanger?“ Unangenehm. Zum einen, weil Kinder sich oftmals nur ungern planen lassen, zum anderen, weil Christina Obergföll in den letzten drei Monaten keine aufrichtige Antwort geben konnte. „Das war ein saublödes Gefühl, aber in den ersten drei Monaten kann noch so viel passieren, das wollte ich nicht in der Zeitung lesen.“
Heute ist sie froh, die Wahrheit sagen zu können, zumal die Schwangerschaft auch normal verläuft und es Mutter und Kind gut geht. Was es wird, das ist geheim. Die werdende Mutter verrät nur so viel: „Der Geburtstermin liegt im Sommer.“ Und damit auch aus sportlicher Sicht günstig, denn die Speerwerferin will nach der Geburt schnell wieder ins normale Training einsteigen, um für die WM-Saison 2015 fit zu sein. Aber ihr ist klar: „Das Jahr 2013 aus sportlicher Sicht zu toppen, das wird schwer.“
"2013 ist schwer zu toppen"
Vielleicht war das vergangene Jahr der Gipfel ihrer sportlichen Karriere. Vielleicht ist dieses Jahr im sportlichen Sinne tatsächlich nicht zu überbieten. Vielleicht. Doch Christina Obergföll hatte so eine ähnliche Situation schon einmal erlebt. 2005 warf sie den Speer auf 70,03 Meter. Deutscher Rekord. Europarekord. „Der Wurf ihrer Karriere“, schrieben damals die Journalisten; „daran wird sie sich ewig messen lassen müssen“, orakelten andere selbsternannte Experten. Allesamt Prophezeiungen, die sich im Nachhinein als unwahr herausgestellt haben. Denn: 2007 warf Christina Obergföll mit 70,20 Metern abermals Europarekord.
Und auch nach dem Jahr 2013, das gewiss alle vorangegangenen Erfolge der Christina Obergföll in den Schatten stellt und das sie selber in der Zusammenfassung als „ihren Moment“ bezeichnet, ist der Erfolgshunger nicht gestillt. „Ich werde von diesem Erfolgsjahr lange zehren müssen, denn es werden auch wieder Phasen in meinem Leben kommen, die nicht so perfekt laufen“, sagt Christina Obergföll. „Aber ich habe nie die Bodenhaftung verloren und konnte jeden Erfolg, jeden Titel und all die privaten Glücksmomente genießen.“
Genießen ja, aber genug hat sie deshalb von den Endorphinen noch lange nicht. „Rio ist mein Ziel.“ In Rio de Janeiro (Brasilien) finden 2016 die Olympischen Spiele statt. „Eine goldene Olympiamedaille könnte den WM-Titel noch toppen.“ Ihr privates Glück indes soll mit der Geburt ihres Kindes im Sommer perfekt sein. Und eine Steigerung von perfekt, die gibt es ja bekanntlich nicht.
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