Christina Obergföll - „Gibt den Speerwurf-Gott“
Sieben Jahre musste sie auf dieses Gefühl warten: Jetzt ist Christina Obergföll nach einem Großereignis wieder vollauf glücklich und zufrieden. Mit Olympia-Silber feierte die Offenburger Speerwerferin am Donnerstag in London (Großbritannien) wieder einen für sie persönlich überragenden Erfolg. Danach sprach sie über den Wettkampf, ihre schwere Zeit und auch ihre Zukunftspläne.
Christina Obergföll, herzlichen Glückwunsch. Hätten Sie gedacht, dass es so ausgeht?Christina Obergföll:
Ich hätte mir nie träumen lassen, dass man Silber mit 65 Metern holt. Ich habe gedacht, man muss eine hohe 60 werfen für eine Medaille. Ich hätte auch gedacht, dass die Goldmedaille mit über 70 Metern oder sogar einem Weltrekord weggeht. Das ist absolut unglaublich. Ich hätte damit gerechnet, dass die ersten drei Damen gleich alles zeigen und einen raushauen. Dann habe ich schon an der Lautstärke wahrgenommen, dass das jetzt alles nicht so wahnsinnig weit gewesen ist. Dann habe ich meinen ersten auf 65 gesetzt. Mit dem war ich eigentlich überhaupt nicht zufrieden. Irgendwie habe ich dann wieder ein bisschen den Faden verloren. Ich bin zu aggressiv oder zu schnell reingegangen. Nach dem dritten Versuch habe ich gemerkt, dass ein bisschen die Luft rausgeht wie bei einem Luftballon, der die Luft verliert. Ich habe dann versucht mich zu pushen und habe auch noch immer fest dran geglaubt. 66,90 das war nichts, was ich nicht werfen kann. Als Spotakova im Vierten dann die 69 gezogen hat, da habe ich schon gedacht, dass es jetzt echt schwer wird. Ich habe mich aber dann so festgefahren, dass ich nach dem fünften Versuch einfach nur gehofft habe, dass es dabei bleibt.
Haben Sie jetzt mit Silber Frieden geschlossen?
Christina Obergföll:
Alle haben mal Glück gehabt. Ich all die Jahre seit 2005 nicht mehr. Ich glaube, heute war das Glück auf meiner Seite, auch wenn das vielleicht mit 65 Metern jetzt nicht die Weite ist, die ich werfen wollte oder kann. Aber das ist vollkommen egal, die anderen Damen haben sich auch nicht besser angestellt. Das ist Olympisches Silber. Steffi Nerius hat es 2004 auch mit 65 Metern gemacht. Da fragt kein Mensch mehr danach. Es war ein kurioser Wettkampf. Als Abakumova draußen war, dachte ich, ich sehe nicht recht.
Sind Sie dieses Jahr anders in den Wettkampf gegangen als in den Jahren davor?
Christina Obergföll:
Zum einen ist es so, dass ich nach Daegu eine ganze Zeit gebraucht habe, um das zu verdauen. Ich habe gesagt, ich probiere es dieses Jahr noch einmal. Aber wenn es nicht klappt, muss man mal schauen, ob man nicht ein Jahr lang was anderes macht. Mal weg vom Speer. Ich habe zu Boris [Henry] gesagt, ich gehe das mal ganz entspannt an, ich bereite mich ganz speziell nur auf Olympia vor. Alles andere war echt: Nach mir die Sintflut. Jetzt hat es geklappt. Das kann ich noch nicht richtig begreifen und einordnen.
Waren Sie lockerer als früher?
Christina Obergföll:
Letztes Jahr hatte ich Panik bekommen und die Spannung verloren, weil auf einmal nichts mehr lief. Dieses Jahr habe ich gesagt: Okay, du machst deinen Wettkampf. Du musst nur schauen, dass du technisch stabil wirfst, dann kriegst du auch einen sauberen Wurf hin. Von daher bin ich recht souverän und entspannt reingegangen. Dass es jetzt mit Silber aufgehört hat, ist ein bisschen abgefahren, aber cool.
Arbeiten Sie mit einem Sportpsychologen?
Christina Obergföll:
Ich arbeite seit Daegu mit Hans Eberspächer zusammen. Da habe ich mich entschlossen, mich auf die sichere Seite zu wiegen, das ein bisschen spezieller vorzubereiten. Ich habe dort auch sehr, sehr viel gelernt und viel mitgenommen. Ich bin mir sicher, dass das heute auch dazu beigetragen hat, auch wenn er wollte, dass ich mich von Versuch zu Versuch steigere. Aber das wird ihm jetzt auch egal sein.
Wie schwer war es denn, die WM im letzten Jahr wegzustecken?
Christina Obergföll:
Das war schon heftig. Ich habe nach der WM gesagt: Ich schmeiß hin, ich habe keinen Bock mehr. Warum muss ich immer bestraft werden. Ich werfe das ganze Jahr gut und beim Höhepunkt kommen immer die anderen Mädels und werfen weiter. Ich habe zu Boris gesagt: so kann ich das nicht mehr lange. Ich mach das noch ein Jahr bis London und wenn ich da wieder schlecht werfe bzw. enttäuscht rausgehe, dann kann ich das nicht mehr vom Kopf. Ich brauch mal wieder einen Motivationsschub, eine Belohnung, irgendetwas und ich glaube, dass das Glück heute auf meiner Seite gewesen ist.
Hätten Sie aufgehört, wenn es jetzt nicht geklappt hätte?
Christina Obergföll:
Ich hätte sicher nicht aufgehört, aber ich habe schon schwer überlegt ein Jahr auszusteigen.
Wenn Sie es in den letzten Jahren als Bestrafung empfunden haben, wie würden Sie es jetzt beschreiben?
Christina Obergföll:
Absolut als Belohnung. Boris hat gesagt: Du hast es einfach nur verdient. Seit Jahren kämpfst du und bist immer vorne mit dabei. Berlin war wahnsinnig schwer, musste ich wegstecken. Barcelona war auch nicht einfach. 2011 ein super geniales Jahr mit viel Spaß gehabt und dann bei der WM Vierte, das war echt übel. Da war ich ganz unten.
Gibt es einen Speerwurf-Gott?
Christina Obergföll:
Ja, seit heute glaube ich, dass es einen Speerwurf-Gott gibt.
Wie lange planen Sie jetzt voraus?
Christina Obergföll:
Das fragt mich nicht jetzt. Ich bin sicher, dass ich jetzt einen Schub kriege und nächstes Jahr auf jeden Fall die WM werfen werde. Ich bin 31, ich habe auch noch andere Pläne. Familiär gibt es auch noch ein paar Sachen. Da muss man mal sehen, wie man das alles macht. Ich werde jetzt nicht sagen: direkt bis 2016 durch. Ich werde alles von Jahr zu Jahr entscheiden.
Wie geht es im Studium weiter?
Christina Obergföll:
Jetzt nach Olympia kommt die Masterarbeit, die ich schreiben muss, aber auch gerne schreiben werde. Ich habe noch kein Thema, was mich aber wahnsinnig interessiert ist der Bereich Sporternährung/Gewichtsmanagement. Es wird sicherlich auch eine schöne Herausforderung und eine Abwechslung. Darauf freue ich mich genauso. Jetzt werde ich erst einmal ganz entspannt und wirklich spät ins neue Jahr einsteigen.
Was genau muss man sich bei den familiären Plänen vorstellen?
Christina Obergföll:
Das können Sie sich ausmalen. Antrag habe ich von Boris noch keinen bekommen. Den brauch ich auch nicht. Das ist mir momentan nicht wichtig. Aber mit 31…
… kann man es mal probieren!
Christina Obergföll:
Nein, nein, nein. Das war jetzt nicht auf die Heirat bezogen. Das war eher darauf bezogen, dass Nachwuchs auch mal ganz nett wäre. Und das Kind kommt dann schon mit Speer auf die Welt.
leichtathletik.TV:
Christina Obergföll: "Niemand fragt: 'Wie weit?'"
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