Christina Obergföll - „Hab drei Tage getrauert“
Nur knapp eine Woche nach der großen WM-Enttäuschung hat Christina Obergföll am Donnerstagabend beim Diamond League-Meeting in Zürich (Schweiz) wieder ein Ausrufezeichen gesetzt. Mit einem neuen Meetingrekord und einer Saisonbestleistung von 69,57 Metern verarbeitete die Offenburger Speerwerferin die „Blechmedaille“ von Südkorea. Erfahren Sie mehr im Interview.

Christina Obergföll:
Ich habe ein lachendes und ein weinendes Auge. Ich hätte natürlich lieber letzte Woche gesehen, dass es klappt. Es sollte aber einfach nicht sein. Ich bin einerseits froh, dass ich mit den 69 Metern auch nur Dritte geworden wäre. Ich habe jetzt aber natürlich gemerkt, was ich kann. Boris [Henry] und Werner [Daniels] haben mir bestätigt, dass ich Weltrekord werfen kann, wenn die Würfe noch ein bisschen höher gehen. Das gibt mir von dem Selbstvertrauen zurück, das ich letzte Woche verloren habe. Ich habe gezeigt, dass ich wütend war und was ich kann. Ich war den ganzen Wettkampf über heiß. Es gab für mich nur eins: zu gewinnen, mit einer guten Weite.
Sie haben das Wort Weltrekord in den Mund genommen. Ist das ein konkretes Ziel?
Christina Obergföll:
Ich habe schon vor der WM und in der Saison gesagt, dass ich mir das zutraue. Ich weiß aber nicht, wann das passiert. Das kann dieses Jahr noch passieren. Das kann aber auch nächstes Jahr oder irgendwann passieren. Ich würde mich nicht darauf verkrampfen. Mir wäre es lieber, wenn mir das, was mir in den letzten drei Jahren bei den Großereignissen an den Hacken hängt, wieder abhanden kommt und dass mir dieses Quäntchen Glück wieder beisteht.
Was ist in den letzten Tagen zwischen der WM und dem Start in Zürich passiert? Wie wurden Sie aufgefangen?
Christina Obergföll:
Es war so, dass ich drei Tage lang verdaut, wirklich getrauert habe. Ich habe zwei Tage am Stück nur geheult. Wenn jemand auf mich zukam und mich in den Arm genommen oder irgendetwas gesagt hat, ging gar nichts mehr. Ich habe mich auch ein bisschen verkrochen. Das musste irgendwie sein. Dann habe ich viel mit Werner und Boris darüber gesprochen, auch mit meinen Eltern und meiner besten Freundin. Alle sagen: Du kannst es, du hast es diese Saison oft gezeigt, du bist eine der Besten. Am vierten Tag hat Werner gesagt: "Das Thema ist abgehakt. Du kannst es nicht mehr ändern. Jetzt ist die Chance nach vorne." Für mich geht es jetzt nur darum, ein bisschen meinen Seelenfrieden zu finden und die Saison einigermaßen zufrieden abzuschließen.
Was ist das Ziel für die letzten Wettkämpfe?
Christina Obergföll:
Das Ziel ist es, 70 Meter zu werfen. Dann wäre ich absolut mit mir im Reinen. Ich will noch gut werfen. Berlin war im letzten Jahr schon ein gutes Pflaster. Wenn mich das Publikum beim ISTAF trägt, dann ist es auf jeden Fall möglich. Es wird aber anstrengend, davor haben wir noch die DKB-Duelle.
Wie bewerten Sie den Gewinn der Diamond League-Wertung im Speerwurf?
Christina Obergföll:
Supergeil. Wenn ich von der WM absehe, war es eine sensationelle Saison. Leider zählt die WM aber dazu, deshalb ist dieses Manko da. Das ist mir aber egal. In Zürich ging es nur um mich und nicht um das, was andere sagen. Als jetzt klar war, dass ich gewinne, wusste ich nicht, ob ich heulen sollte, weil es letzte Woche nicht geklappt hat, oder weil es jetzt in Zürich so geil war. Barbora Spotakova hatte sehr schön zu mir gesagt: „Christina, the diamond queen.“ Das fand ich irgendwie ganz süß. Ich weiß, dass ich eine der Großen bin, auch wenn ich keine WM-Medaille geholt habe.
Sie haben alleine in Zürich 60.000 Dollar verdient. Wie bedeutet Ihnen das?
Christina Obergföll:
Es ging überhaupt nicht ums Geld, auch die ganze Saison über nicht. Das war total unwichtig. Es geht darum weit zu werfen und Spaß zu haben. Da denkt man erst sekundär ans Geld. Natürlich ist das ein schöner Nebeneffekt. Aber es wiegt nicht auf, was ich letzte Woche verloren habe.