Christina Obergföll - Mit Abstand in den Sommer
Die Saison naht, die Zeit der schweren Speere und Gewichte ist im Training vorbei. Im Trainingslager in Südafrika greift Christina Obergföll in diesen Tagen zum Wettkampfgerät und es geht auch ein Stück weit um das Gefühl für den Sommer. Vor allem will die Offenburgerin aber eines: Nach der Enttäuschung des letzten Jahres mit Abstand zu den neuen Aufgaben schreiten.
Dieser Abstand ist der deutschen Speerwurf-Rekordhalterin (70,20 m) wichtig geworden. Gerade nach dem letzten Sommer musste Christina Obergföll ihn für sich selber finden. Die Heim-WM in Berlin hatte ihre Spuren hinterlassen. Während die Leverkusenerin Steffi Nerius zum Karriereende über den großen internationalen Titel jubelte, blieb der 28-Jährigen im Olympiastadion mit 64,34 Metern nur ein fünfter Platz.Das wirkte bei der ehrgeizigen und anspruchsvollen Athletin, deren Stern 2005 bei der WM in Helsinki (Finnland) mit einem Europarekord aufgegangen war, nach. „Es hat schon genagt. Seit ich bei den Saisonhöhepunkten dabei bin, war es das enttäuschendste Jahr für mich. Ich habe wirklich lange gebraucht, um das zu verdauen“, bekennt Christina Obergföll.
Nach den Titelkämpfen an der Spree wollte sie mit dem Thema Leichtathletik erst einmal gar nicht mehr viel zu tun haben. Es wurde ruhig um die Speerwerferin, die an sich die Öffentlichkeit mag.
Suche nach Erklärungen
Die Suche nach Erklärungen macht sich die deutsche Vorzeigeathletin auch jetzt Monate danach nicht leicht. Obwohl sie vorher mit Verletzungen zu kämpfen hatte, will die Team-Europameisterin ihre Beschwerden nicht als Grund für ihr Abschneiden in Berlin anführen: „Ich bin gestartet und wenn man startet, sollte man soweit fit sein, dass das nicht als Entschuldigung zählt.“
Schwung hatte Christina Obergföll schon vor der WM verloren. Ein Blick in die Statistik lässt ihre letzte Saison in zwei Abschnitte unterteilen. Mit den Deutschen Meisterschaften in Ulm, wo sie Steffi Nerius unterlegen war, kam ein Knick. „Damit ging es bergab. Wir wissen bis heute aber nicht genau warum. Wir hatten in den Phasen nichts anders gemacht als in den Jahren davor. Wahrscheinlich waren es im Endeffekt doch die Verletzungen, die mir den Kopf gekostet haben.“
Zu schmaler Grat
Die Saison nahm ihren Lauf, nicht zu ihren Gunsten. Der Grat, auf dem sich die Speerwerferin bewegte, wurde schmaler, die Zeit bis zur WM kürzer und die psychische Belastung größer. Zwar schöpfte sie wenige Tage vor Berlin im Trainingslager in Kienbaum noch einmal Hoffnung, aber „von zehn Würfen waren vielleicht nur zwei richtig gut.“
So blieben auf dem Weg ins Olympiastadion Zweifel. „Ich habe es vom Selbstvertrauen her nicht hinbekommen zu sagen: Ich kann 67, 68 Meter werfen.“ Heute meint Christina Obergföll, dass ihr vielleicht nur ein oder zwei Wochen zu alter mentaler Stärke gefehlt hätten: „Dann wäre ich sicherlich wieder soweit gewesen.“
Trotzdem hat die Offenburgerin Lehren für die kommenden Jahre gezogen. „Ich habe gesehen, dass mein Körper mein Kapital ist, dass ich aufpassen muss und dass dann, wenn etwas weh tut, es einfach nicht mehr geht.“
„Gesund bleiben und Spaß haben“
Eine Konsequenz daraus, wie das letzte Jahr bei ihr gelaufen war, wird auch deutlich, wenn Christina Obergföll dem anstehenden EM-Sommer entgegen blickt: „Ich habe mir bislang nichts vorgenommen. Ich will gesund bleiben und Spaß haben. Wenn ich den habe, dann läuft alles so, wie ich mir das vorstelle.“
Auch möchte die Olympia-Dritte die Grasschicht, die über der Enttäuschung des Vorjahres wächst, noch etwas dicker werden lassen: „Die Zeit nehme ich mir, bis ich mir sage, ich bin jetzt wieder soweit, dass ich mir Ziele setze.“
Wieder fit
Die Fingerzeige gehen dabei aber durchaus schon in die richtige Richtung. Die Verletzungen des letzten Sommers, die Christina Obergföll arg beschäftigt hatten, sind inzwischen, auch durch viel „Ruhe, Therapie und Aufbautraining“, auskuriert. „Ich bin fit und froh, dass mir nichts weh tut“, sagt sie, „ich bin jetzt wirklich sehr zufrieden. Ende letzter Saison hatte ich schon sehr viele Wehwehchen.“
Damit kann die EM-Saison, in die sie am 14. Mai in Doha (Katar) einsteigen möchte, trotz aller Vorsicht und einem gewissen Bedacht kommen. Christina Obergföll denkt allerdings nicht, dass die Speerwurf-Hackordnung in Deutschland im Jahr eins nach Steffi Nerius eine selbstverständliche mit ihr auf dem Thron ist.
Am allerwenigsten für sie selbst. „Ich glaube schon, dass mit Linda Stahl eine Athletin da ist, die mir das Leben schwer machen wird und kann. Sie hat schon bewiesen, was sie drauf hat und deshalb würde ich nicht sagen, dass ich ohne weiteres Deutsche Meisterin werde“, sagt sie und weiß die Konkurrenz der jungen Leverkusenerin durchaus zu schätzen. „Ich bin ganz froh darum, dass eine gute Werferin nachkommt.“
Bachelor-Studium abgeschlossen
Während auf den Speerwurfanlagen bald neue Kapitel aufgeschlagen werden, hat Christina Obergföll in ihrem Leben neben dem Sport eines abgeschlossen, aber noch nicht völlig. Vor kurzem konnte sie ihr Bachelor-Studium erfolgreich beenden. „Ich bin jetzt einfach froh, dass ich den Abschluss habe, auch wenn er nach all den Jahren nicht so großartig ist“, sagt sie.
Die Tage, in denen es sich bei der Weitenjägerin allerdings nur um den Sport drehen soll, sind dennoch gezählt, denn sie will im Oktober einen „Master im Sport“ als Fernstudium in Angriff nehmen. „Damit werde ich noch einmal zwei Jahre studieren. Ich brauche einfach nebenher noch eine Beschäftigung. Ich will nicht das ganze Jahr nur den Sport haben.“
Auch hier wird deutlich, dass Christina Obergföll vor allem eines wichtig geworden ist. Einen bestimmten Abstand zu den spitzen Wurfgeräten, die sie auf über siebzig Meter jagen kann, zu wahren. Mit dem wird sie in den Sommer gehen. Daran gibt es keinen Zweifel. Erfolgreich könnte die warme Jahreszeit aber trotzdem oder vielleicht gerade deshalb werden.