Christina Obergföll - Mit Angriffslust zur WM
Gerade mal zwei Jahre ist es her. Bei ihrem überlegenen Erfolg bei den Deutschen Meisterschaften in Ulm beklagte sich Steffi Nerius über mangelnde nationale Konkurrenz. Wie schnell sich die Zeiten ändern können, hat Christina Obergföll bewiesen. Sie ist inzwischen nicht nur im deutschen Frauen-Speerwurf klar die Nummer zwei, sondern auch weltweit gut positioniert.

Christina Obergföll fährt selbstbewusst zur WM (Foto: Daniels)
Die Offenburgerin fährt in ein paar Tagen als Vierte der Weltjahresbestenliste und Fünfte der IAAF-Weltrangliste (Punktewertung) zur Weltmeisterschaft nach Helsinki. Trotzdem verfällt sie keiner voreiligen Euphorie."Ich weiß, dass plötzlich Werferinnen auftauchen können, die man das ganze Jahr nicht gesehen hat", sagt sie und denkt dabei besonders an die griechische Titelverteidigerin Mirela Manjani, die in diesem Jahr gerade mal erst drei Wettkämpfe bestritten und die 60 Meter noch nicht übertroffen hat.
Die 23-Jährige stapelt lieber erst einmal tief und erklärt: "Ich werde nicht die Einstellung haben, auch Vierte werden zu müssen. Für mich wäre der Endkampf bereits ein Schritt nach vorne."
Olympia erster Höhepunkt
Im letzten Jahr musste sie bei den Olympischen Spielen ihre Feuertaufe bestehen und ein bisschen Lehrgeld zahlen: "Das war mein erster internationaler Höhepunkt." Sie schaffte zwar eine Weite über 60 Meter, für den Einzug ins Finale reichte das allerdings nicht.
Jetzt stehen die Vorzeichen anders. Zweifelsohne besser. Christina Obergföll geht mit Selbstbewusstsein an die Herausforderung Weltmeisterschaft heran: "Ich bin auf dem richtigen Weg und habe keine Bedenken. Es läuft alles nach Plan und ich traue mir eine Bestleistung zu. Die Werte sind auf dem Niveau vom Mai oder besser."
Damals erzielte sie bei den Werfertagen in Halle mit 64,59 Metern einen neuen Hausrekord, der sie international salonfähig machte. Auch eine Leistung, die sie etwa in die Felder des Super Grand-Prix-Meetings in Athen und des Grand-Prix-Meetings in Helsinki gebracht hat. Dort warf sie jeweils gegen die Weltrekordhalterin Osleidys Menendez.
Vorteil Helsinki
Christina Obergföll, die sich selbst als sehr offen, kontaktfreudig und ehrlich charakterisiert, gehört zu den wenigen DLV-Athleten, die in der WM-Stadt auch die Möglichkeit der Generalprobe nutzten. Mit 62,94 Metern und Platz zwei hinter der kubanischen Olympiasiegerin lohnte sich der Ausflug des letzten Wochenendes. "Es war eine schöne Stimmung", sagt sie, auch wenn sie ein wenig bedauerte, dass der Wettkampf aus dem Grand-Prix-Programm vorgezogen wurde und nur im Aufwärmstadion der WM stattfand.
Trotzdem bestätigten dort 5.000 Zuschauer die Begeisterungsfähigkeit der Finnen. Und da kommt Christina Obergföll so richtig ins Schwärmen: "Finnland ist endlich ein speerwurfbegeistertes Land. Ich freue mich auf superschöne Wettkämpfe bei der WM. Es ist ein schönes Stadion, die Zuschauer sind nah dran und auch das kältere Klima ist für mich ein Vorteil. Helsinki kommt mir also entgegen."
Die Lehramtsstudentin (Sport und Englisch), die gerne zur Entspannung ein Buch liest, sieht die Favoritenrollen im Feld klar verteilt. Osleidys Menendez und die deutsche Olympia-Zweite Steffi Nerius sind die heißesten Kandidatinnen auf die vordersten Plätze. Dahinter scheint das Rennen offen: "Es kann ruckzuck sechs, sieben Athletinnen geben, die auf einem Niveau werfen." Dort sortiert sie sich auch selbst ein: "Wenn ich 63 Meter oder im Bereich meiner Bestleistung werfen kann, wäre ich zufrieden. Ich weiß, dass ich mich nicht zu verstecken brauche."
Rütteln am Thron
Verstecken will sie sich auch national nicht, auch wenn sie derzeit gegen das Schattendasein hinter der Leverkusenerin Steffi Nerius ankämpft. "Ich warte auf den Tag, an dem ich sie mal schlage", sagt die 1,75 Meter große Athletin selbstbewusst. In den nächsten ein, zwei Jahren hat sie sich das vorgenommen. Dabei zeigt sie sich durchaus recht angriffslustig: "Lange gebe ich ihr nicht mehr, aber ich muss sehen, dass ich erst einmal konstant an sie herankomme."
Christina Obergföll umschreibt das Verhältnis der beiden Speerwerferinnen als "gesunde Konkurrenz". Sie betont aber besonders die Kollegialität, die vorherrscht: "Wir waren auch schon zweimal gemeinsam in Spanien im Trainingslager."
Der Schützling von Werner Daniels weiß aber auch: "Ich profitiere momentan auch von Steffi. Durch sie ist der Speerwurf in Deutschland wesentlich interessanter geworden. Wir kommen in Meetings rein, in die wir vorher nicht rein gekommen sind."
Fast-Karriereknick
Beim Speerwurf ist Christina Obergföll hängen geblieben, als sie als Mehrkämpferin bei den B-Jugend-Meisterschaften 1997 in Lüdenscheid erstmals in Speerwurfspikes schlüpfte und gleich an die 50 Meter heranwarf. Dann folgte der leichtathletiktypische Werdegang über die Kaderberufung bis hin zu ersten internationalen Einsätzen bei Nachwuchsländerkämpfen.
2002 begann eine Durststrecke: "Ich habe erstmals über 60 Meter geworfen. Dann habe ich mich bei den Deutschen Meisterschaften am Hüftgelenk verletzt und war zwei Jahre weg vom Fenster." Erst Ende 2003 kam die Erlösung mit der richtigen Diagnose. Splitter im Hüftgelenk wurden festgestellt, nach einer Arthroskopie konnte Christina Obergföll wieder angreifen. Der entscheidende Wendepunkt, nachdem sie kurz davor war, die Brocken hinzuwerfen: "Ich habe mich in der Zeit schon mal gefragt, wofür das alles?"
Sportler-Beziehung
Privat ist sie mit einem Speerwurf-Kollegen liiert, der in seiner Laufbahn auch schon ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Mit dem Wattenscheider Christian Nicolay führt sie eine Sportlerbeziehung, die trotz der vielen Verpflichtungen im Sommer funktioniert: "Ich bin froh, wenn wir mal ein ruhiges Wochenende zusammen haben. Momentan sind das eher wenige, wir sehen uns mehr bei Wettkämpfen. Außerhalb der Saison schaffen wir das öfter. Insgesamt kriegen wir es aber ganz gut hin."
Ganz gut hin bekommt sie auch die Kombination Studium und Sport. "Man kommt mir an der Uni schon etwas entgegen." Sie wurde im Januar an der Albert-Ludwigs-Universität sogar mit dem "Buchgeister-Preis 2004" ausgezeichnet. Trotz gewisser Vorzüge einer Leistungssportlerin muss Christina Obergföll aber auch dort ihre Frau stehen. Deshalb hat sie in den letzten Tagen neben den Wettkämpfen und dem Training auch noch anstehende Prüfungen bei ihrem Studium, für das sie zwischen Offenburg und Freiburg hin und her pendeln muss, hinter sich gebracht.
Jetzt ist der Kopf frei für die Weltmeisterschaft in Helsinki. Die Vorfreude auf das Speerwurf-Land Finnland steigt. Dort will sie das unterstreichen, was ihre Entwicklung in diesem Jahr mit einigen Würfen jenseits der 62 Meter, der Richtlinie, die sie sich selbst inzwischen setzt, gezeigt hat: "Ich bin stabiler geworden." Gepaart mit ihrer Angriffslust und ihrem derzeitigen Selbstvertrauen nimmt Christina Obergföll ihre Aufgabe im Olympiastadion in Angriff.