Christina Schwanitz - Den Kopf besiegt
Ließ sie sich früher vom Erwartungsdruck immer wieder aus der Ruhe bringen, tritt Kugelstoßerin Christina Schwanitz (LV90 Erzgebirge) 2013 mit einer großen Portion Selbstvertrauen in den Ring. Das Ergebnis sind konstant gute Serien – so auch am vergangenen Wochenende in Halle.
Auch wenn ihre Kugel diesmal nicht wie eine Woche zuvor in Schanghai die 20-Meter-Marke übertraf, war Christina Schwanitz mit ihrem Wettkampf am Samstag in Halle rundum zufrieden. „Kugelstoßen macht mir endlich wieder Spaß“, freute sich die Athletin des LV 90 Erzgebirge über ihren Sieg mit 19,84 Metern.„20 Meter, das ist weit, sehr weit. Da fliegt die Kugel, bildlich gesprochen, über viele Autos“, sagt die 27-Jährige und ist sich dabei durchaus bewusst, dass eine solche Weite wie die von Schanghai etwas ganz Besonderes ist. Bislang ist es ihr Jahr: Der Hallen-EM-Titel von Göteborg, die 20,20 Meter von Schanghai und die souveräne Vorstellung in Halle sprechen eine deutliche Sprache.
Es läuft rund im WM-Jahr
Die Gründe, warum es bei der 27-Jährigen gerade so rund läuft, lassen sich kurz zusammenfassen: Gesundheit, Training und Psyche. Seit drei Jahren trainiert sie bei Sven Lang. Anfangs dauerte es, bis beide auf einer Wellenlänge lagen.
„Ich habe allein ein Jahr gebraucht, um die Philosophie, die ich vom Kugelstoßen habe, mit ihr gemeinsam umsetzen zu können“, blickt Sven Lang zurück. „Als wir dann so weit waren, traten bei Christina körperliche Probleme auf. Sie hatte ja fünf Jahre lang Schrauben im Fuß. Die haben das Training behindert. Es gab Einheiten, die ich abbrechen musste, nur weil sie ein wenig gegen den Balken gestoßen war.“
Jetzt, wo die Metallteile aus den Füßen entfernt sind, ist für das Trainer-Sportlerin-Gespann ein anderes Arbeiten möglich. „Endlich können wir die Umfänge erhöhen“, so Sven Lang.
Den Schmerzen zum Trotz
So konnte das Duo auch in den beiden Trainingslagern im spanischen Albufeira und in Latsch (Tirol) unbeschwert und effektiv arbeiten. „Die 20 Meter sind da schon gefallen“, verriet Christina Schwanitz. „Es ging für mich nur noch darum, dass ich es im Wettkampf bestätige.“
Auf dem Weg, die 20-Meter-Marke zu durchbrechen, ließ sich die 27-Jährige auch nicht von einem kaputten Zahn aufhalten. In der letzten Woche in Südtirol hatte sie sehr starke Zahnschmerzen bekommen: „Ich bin nur noch auf drei Stunden Schlaf pro Nacht gekommen und Essen war auch nicht mehr richtig möglich. Aber ich wollte unbedingt weiter trainieren.“
Nach der Rückkehr wurde der Zahn gezogen und zwei Tage später die Form im Ring getestet – erst dann kam das „Okay“ für den 15-Stunden-Flug nach Schanghai zum Meeting der Diamond League. Ein Wettkampf, den die Kugelstoßerin nicht so schnell vergessen wird: „Zweimal 20 Meter, das war schon ein großes Ding.“
Jetlag bereitet Probleme
Für eine Sightseeing-Tour durch Chinas Metropole blieb danach aber keine Zeit. Schon am Pfingstsonntag ging es zurück, wieder 15 Stunden im Flugzeug. Zurück in der Heimat machte sich der Jetlag bemerkbar: „Das Training fiel mir zunächst sehr schwer. Die schnellen Bewegungen genauso wie die Konzentration.“
Im Wettkampf in Halle war davon nichts zu merken. Christina Schwanitz lieferte eine konstante Serie ab, nur der Ausrutscher über die 20 Meter fehlte. Zufrieden war die Athletin aber trotzdem: „2008 habe ich in der Halle in Chemnitz überraschend 19,68 Meter gestoßen und gedacht: Um Gottes Willen, wie habe ich das geschafft. Das gelingt mir doch nie wieder. Heute ist es anders. Ich traue mir diese weiten Stöße zu.“
Grund für dieses neue Vertrauen in das eigene Können ist eine viel stärkere Psyche. Denn gerade die Nerven waren es, die die Kugelstoßerin schon das ein oder andere Mal im Stich gelassen haben. Besondern krass war das bei der WM 2011 in Daegu (Südkorea), noch schlimmer bei der Hallen-WM 2012 im türkischen Istanbul: „Ich habe mich bei großen Wettkämpfen so aufgeregt, dass ich einfach blockiert war und einen richtigen Blackout hatte.“
Zusammenarbeit mit Psychologin
Geholfen hat der 27-Jährigen die Dresdner Psychologin Grit Reimann, die auch Turner und Bobfahrer unter ihrer Obhut hat. „Wenn ich zu ihr fahre, kann ich das immer mit einem Besuch bei meinen Großeltern verbinden, die ich sonst leider nur noch selten sehe“, erzählt Christina Schwanitz, die selbst gebürtig aus Dresden stammt.
Die Arbeit mit Grit Reimann trägt Früchte. „Leistungssport macht mir jetzt großen Spaß und ist nicht länger eine Pflichtveranstaltung für mich. Den Erwartungsdruck, der auf mir lastet, den kann ich jetzt im Wettkampf zu 80 Prozent vergessen – das macht für mich den Spaßfaktor aus."
Heirat im September
Auf der Erfolgswelle schwimmend, nimmt Christina Schwanitz auch die Schattenseiten ihres Sports in Kauf. Ihren Verlobten Tomas, den sie im September heiraten wird, sieht sie im Moment nur selten. Sie ist einfach zu viel unterwegs. Der nächste Wettkampf ist am 7. Juni in Schönebeck, danach folgen einige weitere Meetings, dann die Deutschen Meisterschaften in Ulm.
Von da aus nimmt Christina Schwanitz dann schon Kurs in Richtung Weltmeisterschaft. „Sicher wäre es schöner gewesen, wenn ich bei den Olympischen Spielen in London schon diese 20-Meter-Form gehabt hätte. Aber hätte, wenn und aber – das bringt jetzt nichts mehr. Nun packen wir es eben in Moskau“, schaut sie optimistisch nach vorn.
Quelle: leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift