Christina Schwanitz - „Gehe freier in den Ring"
Mit ihren 19,79 Metern hat Kugelstoßerin Christina Schwanitz (LV 90 Erzgebirge) am Wochenende für das Highlight der Hallen-DM in Dortmund gesorgt und eine Bestleistung aufgestellt. Die 27-Jährige hat damit gute Aussichten auf eine Medaille bei der Hallen-EM in Göteborg (1. bis 3. März). Im Interview verrät die Olympiafinalistin, warum Sie sich trotz ihrer Spitzenleistung nicht in die Favoritenrolle drängen lassen möchte.

Christina Schwanitz: Im November habe ich die Schrauben meiner fünf Fuß-OPs rausbekommen. Ich bin meinen Metall-Ballast los. Das macht sich im Training und Privatleben bemerkbar. Ich kann barfuß laufen, ich kann Sprünge und Sprints machen. Im Hinterkopf weiß ich: Es kann nichts passieren, wenn ich mal mit dem Fuß an den Balken komme. Das tut nicht mehr weh. Früher habe ich dann gedacht, mir fällt der Fuß ab. Ich kann viel freier in den Ring gehen und mehr Gas geben.
Sie fahren als Favoritin zur Hallen-EM nach Göteborg, mögen Sie diese Rolle?
Christina Schwanitz: Ich mag die Rolle nicht so gerne. Man weiß nie, was für eine Konkurrenz kommt. Viele Leute sagen mir: Du hast den Titel sicher. Wer diese Situation im Sport noch nicht erlebt hat, kann kaum nachvollziehen, wie schwer diese Rolle ist. Da hilft es nichts, gesagt zu bekommen: Bleib cool.
Sehen Sie sich selbst als Favoritin?
Christina Schwanitz: Nein. Natürlich möchte ich gewinnen. Vor zwei Jahren haben nur fünf Zentimeter gefehlt. Da hätte ich vor Wut ins Gras beißen können. Dennoch baue ich mir keinen Druck auf. Diesen Stress lasse ich nicht an mich ran. Ich will Kugelstoßen und damit zufrieden sein und soweit wie möglich nach vorne kommen.
In einigen großen Finals ist es Ihnen in der Vergangenheit nicht gelungen, ihre Leistung abzurufen. Haben Sie gelernt, ihre Nerven in den Griff zu bekommen?
Christina Schwanitz:
Seit der WM in Daegu arbeite ich intensiver mit einer Psychologin zusammen - die Leistung im Finale dort war eine reine Nervenschwäche. Mit dem Körper hatte das nichts zu tun. Bei den Deutschen Meisterschaften habe ich unter Beweis gestellt, dass diese Arbeit Früchte trägt. Der Druck war hoch, alle haben es erwartet. Der Rucksack wird mit jedem 19-Meter-Wettkampf größer.
Wie sieht die Arbeit mit Ihrer Psychologin konkret aus?
Christina Schwanitz:
Wir sprechen Situationen durch. Beim Wettkampf in Rochlitz zum Beispiel kannte ich sehr viele Leute und habe vor dem Wettkampf mit ihnen geredet. Das hat mich abgelenkt und nervös gemacht. Es kamen zwar 19,20 Meter raus, ich hatte mir aber mehr vorgenommen. Meine Psychologin hat mir daraufhin Tipps gegeben, wie ich meinen Fans und Bekannten höflich beibringen kann, nach dem Wettkampf zu reden. Ich werde mich auch vor Göteborg noch einmal mit ihr hinsetzen.
2008 haben Sie schon einmal 19,68 Meter gestoßen, danach sind Sie von Baden Württemberg in die Trainingsgruppe von Sven Lang nach Sachsen gewechselt, was hat dieser Schritt für Sie bedeutet?
Christina Schwanitz: Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder, es funktioniert sofort mit einer Bestleistung als Befreiung. Oder, man braucht Zeit, um sich an das neue Umfeld und das neue Training zu gewöhnen. Es gibt einen neuen Umgangston. Bei den Deutschen haben wir bewiesen, dass wir ein gutes Team geworden sind. Dazu braucht es Zeit. Der Trainer muss sich auf die Macken seiner Athleten einlassen.
Welche Macken haben Sie?
Christina Schwanitz:
Ich bin ein Dickschädel, ein Sturkopf. Ich mache schon eine Weile Leistungssport und habe deshalb manchmal eigene, andere Ansichten als mein Trainer. Dieser Austausch fiel schon mal schwer, das ist besser geworden.
Auch an Ihrer Technik gab es Änderungen, welche?
Christina Schwanitz:
Früher bin ich vom Ballen angeglitten, das hatte mit meinen Fußproblemen zu tun. Jetzt gleite ich über die Ferse an - wie alle anderen in Deutschland auch. Das kann man damit vergleichen, wenn man bisher einfach so losgelaufen ist und plötzlich einen Tiefstart machen soll. Außerdem bin ich schneller geworden. Geschwindigkeit und Masse ergibt Weite. Das zusammenzubringen ist eine langwierige Sache.
Warum waren die Schrauben so lange in Ihrem Fuß, Ihre letzte OP war 2007?
Christina Schwanitz:
Ich hatte so viele schlechte Erfahrungen mit Ärzten und Krankenhäusern gesammelt, dass die Angst und der Respekt vor der nächsten OP zu groß waren. Man fällt vom Pferd und steht wieder auf, man fällt wieder vom Pferd und steht wieder auf. Irgendwann fängt man an zu grübeln und steigt nicht mehr auf.
Wie haben Sie die Zeit erlebt, in der es nicht so gut lief?
Christina Schwanitz:
Ich habe mich zwischenzeitlich gefragt: Ist es das Richtige, was ich tue? Kann ich wirklich so gut Kugelstoßen oder ist der Punkt erreicht, sich zu verabschieden? Ich war nicht immer voller Überzeugung. Das ist menschlich. Der Spaß am Sport hat meinen Willen und Ehrgeiz aber immer wieder angefacht. Für eine Werferin bin ich in einem guten Mittelalter, nicht mehr jung aber auch noch nicht so erfahren. Ich spüre, dass ich noch nicht das geschafft habe, was drin ist.
Was ist nach Ihrem Gefühl noch drin?
Christina Schwanitz:
Ich möchte weiterarbeiten und einmal die 20 vor dem Komma stehen haben. Das wäre schön. Ich traue mir das zu. Mein Trainer auch, sonst würde er nicht schon jahrelang mit mir arbeiten.
Wie ist es mit "starken Männern" wie David Storl zusammen zu trainieren?
Christina Schwanitz:
Eine Trennung von Frauen und Männern wäre Quatsch. Es ist ein Ansporn. Im Kraftraum haben wir zum Beispiel 30 oder 40 Kilo weniger als die Männer. Da versuche ich dran zu bleiben. Genauso beim Stoßen: Da habe ich ein geringeres Gewicht und versuche, genauso weit zu kommen. Die Wettkampfsituation wird im Training nachgestellt.
Was machen Sie, wenn Sie nicht trainieren?
Christina Schwanitz:
Um mich mal anders zu bewegen, spiele ich gerne Volleyball. Ich lese gerne und verbringe mal einen Nachmittag auf der Couch. Das Leben eines Sportlers ist stressig, mit viel Fahrerei und Fliegerei. Ich liebe mein zu Hause und bin dort sehr gerne, im Sommer besonders gerne in meinem Garten. Dort grabe ich schon mal ein Blumenbeet um oder beobachte Vögel. Jeden Moment gibt es im Leben nur einmal. Oft fehlt die Zeit, das zu genießen. Wenn sie da ist, versuche ich das auch wahrzunehmen.