| WM 2015 Peking

Christina Schwanitz: „Jetzt stehe ich da und bin Weltmeisterin“

Christina Schwanitz (LV 90 Erzgebirge) hat am Samstag im Vogelnest von Peking eine deutsche Tradition fortgesetzt: Mit 20,37 Metern holte sie die 14. deutsche WM-Medaille im Kugelstoßen der Frauen – es wurde eine goldene. Mit den Medienvertretern sprach sie anschließend über den Zweikampf mit der Lokalmatadorin Lijiao Gong, das besondere Talent ihres Trainers Sven Lang und darüber, wie sie mental so stark geworden ist.
Silke Morrissey

Christina Schwanitz, herzlichen Glückwunsch zu WM-Gold! Am Anfang sah es allerdings noch nicht danach aus, da hat die Chinesin Lijiao Gong vorgelegt…

Christina Schwanitz:

Ich hatte ja allen gesagt, dass ich einen spannenden Wettkampf haben möchte (lacht). Ich glaube, den habe ich geboten. Entspannt war es zwar nicht, aber dafür interessant!

Haben Sie sich zwischendurch Sorgen gemacht, dass es nicht zum Titel reichen könnte?

Christina Schwanitz:

Ich habe ja sechs Versuche. Und ich habe sonst auch immer noch mal einen rausgehauen. In Moskau habe ich im sechsten Versuch Silber geholt. 19,80 und 20,00 Meter im ersten und zweiten Versuch waren heute nicht so schlecht, da wusste ich, das kann ich ausbauen. Und ich arbeite lieber nach als vorzulegen.

Nach den 20,37 Metern im dritten Versuch haben Sie doch aber sicher Erleichterung verspürt…

Christina Schwanitz:

Natürlich! Ich wusste, das war auf jeden Fall die halbe Miete. Denn Lijiao Gong ist nicht so nervenstark. Aber sie hatte noch drei Stöße und drei Möglichkeiten, noch weiter zu stoßen. Danach ist sie aber sowas von verkrampft, ein Versuch ist ihr über die Finger gerutscht, zweimal war der Ellbogen zu tief, da hatte sie dann große technische Fehler drin.

Wie ist das Verhältnis zwischen Ihnen beiden?

Christina Schwanitz:

Lijiao ist eine ganz Liebe. Natürlich will im Wettkampf jeder gewinnen. Aber es ist das Schöne in unserer Disziplin, dass wir alle ehrlich gut miteinander klarkommen und uns gegenseitig anfeuern. Da gibt es keinen Nervenkrieg, das ist ein rein sportlicher Kampf, nichts Zwischenmenschliches.

Jetzt sind Sie Europameisterin und Weltmeisterin – fehlt nur noch der Olympiasieg.

Christina Schwanitz:

Jetzt im Moment freue ich mich darüber, dass ich hier bald die Goldmedaille in der Hand halten werde. Und dann freue ich mich auf den Urlaub! Auf Rio werde ich mich anschließend vorbereiten, und dann werden wir mal schauen, wie es läuft. Es gibt viele Facetten, die da mit reinspielen. Und vorher ist ja auch noch die EM in Amsterdam.

Sie haben sich in diesem Jahr ein konstant hohes Niveau erarbeitet. Wo kann es noch hingehen?

Christina Schwanitz:

Naja, wenn ich jetzt noch mal im Bereich von 20,77 Metern stoße und das irgendwann routiniert abrufen kann – dann ist für Rio die Ausgangssituation auch noch mal eine andere, eine bessere. Gut stoßen muss ich da aber trotzdem, geschenkt bekommt man nichts. Vielleicht ist dann auch Valerie [Anm. d. Red: Olympiasiegerin Valerie Adams] wieder da. Dann wird es wieder spannend.

Haben Sie während des Wettbewerbs auch noch mal zurückgedacht an andere Meisterschaften - vielleicht auch solche, bei denen es nicht so gut lief?

Christina Schwanitz:

Ja, als ich vor dem sechsten Versuch in den Ring gestiegen bin habe ich an Istanbul gedacht, an Daegu, an was weiß ich nicht alles… Wo ich einfach nervlich komplett versagt habe. Und jetzt stehe ich da und bin Weltmeisterin. Das ist unglaublich.

Den letzten Versuch haben Sie ungültig gemacht. Warum?

Christina Schwanitz:

Ich hätte gerne mit einem 20er aufgehört. Das war keiner.

Ihr Jubel im Stadion ist dann vergleichsweise moderat ausgefallen.

Christina Schwanitz:

Ich fasse das irgendwie noch gar nicht. Das ist noch so irreal. Ich habe noch nicht mal meinen Trainer umarmen können. Der war so weit weg und die tun hier ja alles dafür, dass man sich auch ja nicht zu nahe kommt. Das war schade.

Sie werden von Sven Lang betreut, der auch Kugelstoß-Weltmeister David Storl trainiert. Was zeichnet ihn aus?

Christina Schwanitz:

Er ist einer der wenigen Trainer, der es schafft, Männlein und Weiblein in der Weltspitze zu trainieren, leistungsfähiger zu machen, zu motivieren und individuell mit den Athleten umzugehen. Es ist ein Unterschied, ob ich eine Frau oder einen Mann vor mir habe. Nicht nur, was die Kraft oder die Technik betrifft, sondern auch emotional. Storli und ich sind Welten voneinander entfernt. Und trotzdem kriegt der Trainer es hin, uns optimal zu pushen.

Wie war die Zusammenarbeit heute im Wettkampf?

Christina Schwanitz:

Das war die geilste Kommunikation, die ich in meinem Leben in einem Wettkampf je hatte! Das waren schöne, knackige, kurze Sätze, er hat genau gewusst, wie er was sagen muss. Und ich konnte das auffassen, umsetzen – das war einfach geil!

Morgen steigt David Storl in den Ring. Werden Sie sich das ansehen?

Christina Schwanitz:

Na klar! Wir lieben beide dieselbe Disziplin, morgen werde ich im Stadion sein und dem Storli die Daumen drücken, das ist doch selbstverständlich.

Können Sie sich bei ihm noch Dinge abschauen?

Christina Schwanitz:

Rein sportlich nicht. Aber ich finde es gut, wie Storli mit den Medien umgeht. Da ist er wesentlich geübter als ich. In der Hinsicht möchte ich gerne noch professioneller auftreten. Da kann ich mir von Storli vielleicht noch das ein oder andere abgucken. Sportlich haben wir wenige Anknüpfungspunkte, da wir unterschiedliche Typen sind.

Etwas, das Sie in den vergangenen Jahren bereits sehr verbessert haben, ist Ihre Nervenstärke. Wie haben Sie das geschafft?

Christina Schwanitz:

Ich arbeite seit 2011 oder 2012 mit der Psychologin Grit Reimann zusammen. Sie hat mir sozusagen ein Problem im Kopf weg gemacht. Ich hatte während meiner Realschul-Prüfung ein Blackout. Und das hat sich dann so fortgesetzt, dass ich immer, wenn Stress auftrat, ein Blackout hatte. Grit Reimann hat rausgefunden, was los ist, und sie hat mir Übungen gezeigt, damit das nicht wieder passiert. Seitdem kann ich – meistens – weit stoßen.

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