"Wahlkampf" unter Deutschlands Leichtathleten
Das Wahljahr 2005 neigt sich dem Ende. Für die erfolgreichen Leichtathletinnen und Leichtathleten dieser Saison geht es zum Abschluss aber noch um einen sehr begehrten Titel. Bis zum 15. Dezember konnten die "Leichtathleten des Jahres" gewählt werden, momentan läuft die Auswertung und am 3. Januar werden die neuen Preisträger bekannt gegeben.
Titelverteidigerin Steffi Nerius würde den Titel auch Franka Dietzsch gönnen (Foto: Chai)
Titelverteidigerin bei den Frauen ist Steffi Nerius. Die Speerwerferin hat erneut eine glänzende Saison hinter sich gebracht und mit einer regelrecht umwerfenden Konstanz zahlreiche Siege errungen. Der Höhepunkt war sicherlich die Bronzemedaille bei den Weltmeisterschaften in Helsinki. Über die Titelverteidigung als "Leichtathletin des Jahres" würde sie sich riesig freuen, da "es nicht nur eine Anerkennung für die Leistungen der letzten Saison wäre, sondern auch für die Konstanz der letzten vier Jahre." Die Leverkusenerin findet aber auch, dass "Franka Dietzsch den Titel absolut verdient hätte. Wenn ich dann als Zweitplatzierte abschneide, wäre das ein super Ergebnis." Zweite ist Steffi Nerius aber schon geworden. Bei der Wahl zu "Nordrhein-Westfalens Sportlerin des Jahres" musste sie sich der Schwimmerin Anne Poleska geschlagen geben. "Diesen Titel hätte ich schon gerne gewonnen", gibt die Deutsche Meisterin offen zu.
Werbung in eigener Sache
Wenn es um die Wahl zur "Leichtathletin des Jahres" geht, wollte Steffi Nerius nicht tatenlos zusehen. Sie hat, neben ihrer sportlichen Leistung, auch Werbung in eigener Sache gemacht.
Über ihre Homepage (www.steffi-nerius.de), per E-Mail oder beim Tag der offenen Tür ihres Vereins in Leverkusen setzte sie sich für ihre eigene Wahl und die von ihrem Trainingskollegen Markus Esser ein. "Schließlich ist dies eine Publikumswahl, bei der man mit PR durchaus etwas erreichen kann."
Franka Dietzsch gilt als Favoritin
Franka Dietzsch hat am vergangenen Sonntag den dritten Platz bei der Wahl zur "Sportlerin des Jahres" belegt. Damit gilt sie auch als klare Favoritin für den Titel "Leichtathletin des Jahres". Sie selbst würde sich auch sehr über diese Anerkennung freuen, da es "ein schöner Abschluss" einer gelungenen Saison wäre.
Durch den einzigen deutschen Weltmeistertitel in Helsinki sieht die Diskuswerferin vom SC Neubrandenburg auch "gute Chancen", in der Gunst der Wähler ganz vorne zu landen. Extra dafür getrommelt hat sie aber nicht. "Dafür bin ich die Falsche, entweder die Leute wählen mich so, oder eben nicht", erklärt Franka Dietzsch. Eines ist ihr aber auch sicher. Nach Ansicht der meisten ihrer Mitstreiterinnen um diesen Titel hätte sie ihn am durchaus verdient.
Aufruf des Bürgermeisters
Ebenfalls zu den Favoritinnen zählt Christina Obergföll. Mit ihrem Speerwurf-Europarekord und der Silbermedaille in Helsinki fände sie die Wahl zur "Leichtathletin des Jahres" eine "schöne Würdigung der Leistung". Auf eine Eigeninitiative, um Wählerstimmen zu gewinnen, hat sie jedoch verzichtet.
"Ich möchte eigenständig gewählt werden", sagt die 23 Jahre alte Mahlbergerin. Ein wenig Unterstützung erfuhr sie aber dennoch von einem erprobten Wahlkämpfer. Der Bürgermeister ihrer Heimatgemeinde Mahlberg bei Offenburg rief im örtlichen Mitteilungsblatt zur Wahl für Christina Obergföll auf.
Wenn Kirsten Bolm an das Jahr 2005 denkt, blickt auch sie auf die erfolgreichste Saison ihrer Karriere zurück. Nach zahlreichen Verletzungen und vielen Rückschlägen konnte sie sich in diesem Jahr mit Top-Zeiten und dem vierten Platz bei der WM in die absolute Weltspitze des Hürdensprints katapultieren.
Hinsichtlich der Wahl zur "Leichtathletin des Jahres" bleibt sie aber sehr zurückhaltend. "Die Leute sollen die sportliche Leistung honorieren. Ich möchte sie bei ihrer Entscheidung nicht beeinflussen", erklärt Kirsten Bolm rückblickend.
Enger Dreikampf bei den Männern
Ähnlich eng wie bei den Frauen könnte es sich auch bei den Männern abspielen. Das sieht selbst der Titelverteidiger Tobias Unger so, der aber gewohnt selbstbewusst bleibt. Er hat sich erst einmal selbst gewählt. "Ich fand mich dieses Jahr recht gut", sagt der Sprinter von der LAZ Salamander Kornwestheim/Ludwigsburg spitzbübisch. Für die Überzeugung hat er auch allen Grund.
Er konnte seine erfolgreiche Saison von 2004 erneut toppen und holte sich nicht nur den Hallen-EM-Titel über 200 Meter, sondern auch gleich den Deutschen Rekord über diese Distanz in der Halle und im Freien.
Kugelstoßer Ralf Bartels und Zehnkämpfer André Niklaus gelten bei der Wahl als seine härtesten "Gegner". Und so rief er wie Steffi Nerius über seine Homepage (www.tobiasunger.de) potenzielle Wähler auf, ihre Stimme für ihn abzugeben. Bei allen ist dieser Aufruf jedoch nicht angekommen. "Mein Trainer hat leider vergessen, mich zu wählen", erzählt Tobias Unger.
Selbstbewusster Ralf Bartels
In Sachen Selbstbewusstsein steht Ralf Bartels dem Sprinter in nichts nach. Auf die Frage, wer für ihn der heißeste Titelanwärter bei Männern ist, antwortete er ohne zögern "Ich"! Wahlkampf habe er aber dennoch nicht betrieben, da er "die Wahl nicht beeinflussen" möchte.
"Die Leute sollen selbst entscheiden, wer ihrer Meinung nach die beste Leistung gebracht hat." Als Medaillengewinner von Helsinki und mit einer fantastischen neuen Bestleistung darf er sich gewisse Chancen auf den Titel ausrechnen. Besonders freuen würde er sich aber, wenn Franka Dietzsch bei den Frauen gewinnen könnte. "Ich weiß, was sie dieses Jahr durchgemacht hat und sie hätte es wirklich verdient", sagt ihr Vereinskollege vom SC Neubrandenburg.
"Die anderen muss ich noch überzeugen"
Als heißer Kandidat bei den Männern gilt auch der Aufsteiger des Jahres, André Niklaus. Mit dem überraschenden vierten Platz im Zehnkampf bei den Weltmeisterschaften hat er sich schlagartig in die Weltspitze geschoben. Der Berliner selbst glaubt aber eher nicht, dass er in diesem Jahr zum "Leichtathleten des Jahres" gewählt werden wird.
In Sachen "Wahlkampf" hat er nichts unternommen, auch wenn es für ihn eine große Ehre wäre, den Titel zu gewinnen. "Die Leute, die mich wählen wollen, die tun es und die anderen muss ich noch mit mehr Leistung überzeugen." Wir dürfen also noch mehr von dem lokalen Hoffnungsträger für die WM 2009 in Berlin erwarten. So wird er sicherlich nicht zum letzten Mal bei der Wahl zum "Leichtathleten des Jahres" zur Abstimmung stehen.