Christine Arron gönnt sich eine Pause
Die "Golden Gala" in Rom, dritte Etappe der lukrativen Golden League-Serie, lässt sie sausen. Christine Arron verzichtet. Freiwillig. Guy Ontanon, ihr Trainer, teilte mit, dass sie den Trip in die italienische Hauptstadt abgeblasen habe.
Christine Arron macht eine Schaffenspause
Sechs Rennen hat die 29-jährige Französin, die noch immer den Europarekord (10,73 sec in Budapest 1998) hält, in dieser Saison bereits absolviert. Sie bevorzugt jetzt eine kurze Verschnaufpause und sagt sich: Weniger ist manchmal mehr. Ihr Nahziel sind die Landesmeisterschaften vom 24. – 26. Juli in Narbonne und ihr Fernziel die Weltmeisterschaften Ende August vor heimischer Kulisse im "Stade de France" von St. Denis.Die Vollblutsprinterin hat die Kurve gekriegt. Sie ist wieder da. Ihr Comeback lässt hoffen für die WM, nachdem 2002 sportlich gesehen ein verlorenes Jahr war. Doch privat erlebte sie das höchste Glück auf Erden. Christine Arron, liiert mit dem Hürdensprinter Dan Philibert, hat im vergangenen Sommer einen Sohn zur Welt gebracht.
"Schönste Sache"
"Ein Kind zu bekommen, ist die schönste Sache, die einem im Leben passieren kann", erklärte Bernard Amsalem, Vizepräsident des Französischen Leichtathletik-Verbands (FFA), "und auch wenn Christine ihre beiden Titel bei der EM in München nicht verteidigen konnte, so darf sie sich mit dem besten Titel schmücken, den es gibt: Mutter zu sein."
Ethan heißt der kleine Wonneproppen, der am 28. Juni 2002 geboren wurde. Darum fehlte die junge Mutter auch in München, wo Griechin Ekaterini Thanou über 100 Meter Gold gewann.
Seit dem Winter feilte die schnelle Dame, die auch ein flottes Mundwerk hat, an ihrer Wiederkehr unter der Leitung von Guy Ontanon, der auch Muriel Hurtis, die amtierende Europameisterin über 200 Meter in der Halle und im Freien, trainiert. Christine Arron, die bei der Wahl zum Leichtathleten des Jahres 2002 nur auf Position 28 gelandet war, feierte ihre größten Erfolge bei der EM 1998, als sie im Budapester Nepstadion mit zwei Goldmedaillen dekoriert wurde.
Europarekord abgejagt
Nur 10,73 Sekunden war sie im 100-Meter-Finale bei einem Schiebewind von gerade noch erlaubten 2,0 Meter/Sekunde unterwegs und schnappte der zweitplatzierten Russin Irina Privalova ihren vier Jahre alten Europarekord (10,77 sec) vor der Nase weg. Schneller waren bis dato lediglich die Olympiasiegerin von Seoul 1988, Florence Griffith-Joyner (10,49 sec), die inzwischen verstorben ist, und Marion Jones (10,71 sec).
Drei Tage später im Staffelrennen über 4 x 100 Meter übernahm sie den Stab an dritter Position und führte ihr Quartett mit einem Atem beraubenden Finish noch zum Sieg. "Super", freute sich Christine Arron und strahlte damals mit ihren Kolleginnen um die Wette, "ich bin so stark wie nie zuvor." Silber ging in Budapest übrigens an die DLV-Auswahl mit Melanie Paschke, den Rockmeier-Schwestern Gabi und Birgit, sowie Andrea Philipp.
Christine Arron ist in Abymes auf der Karibikinsel Guadeloupe geboren. Ihr Vater war Weitspringer, ihr Opa und ihr Bruder versuchten ihr Glück im Sprint. Aber die Erfolgreichste einer sportbegeisterten Familie ist die krausköpfige Christine, die immer wieder mit neuen Haarfarben auch optische Akzente auf der Tartanbahn setzt.
In Seoul endeckt
Die Verbandsoberen aus Frankreich hatten sie 1992 bei der Junioren-WM in Seoul entdeckt. Dort war Christine Arron im Halbfinale ausgeschieden. Anschließend flog sie nach Europa, doch in den Pyrenäen, wo sie in einer Sportschule tagtäglich trainieren musste, ging ihr die Spaß am Sport verloren.
Sie brauchte Luftveränderung. Und fand sie bei Jacques Piasenta, dem Erfolgscoach, der sich kurz zuvor von Marie-José Pérec getrennt hatte. Mit ihm führte der Weg steil bergauf bis hin zum EM-Double in Budapest. 1999 bei der WM in der Hitze von Sevilla war ihr eigentlich die Rolle als Herausforderin von Marion Jones zugedacht.
Daraus wurde allerdings nichts. Christine Arron rannte im Endlauf hinterher, musste sich mit dem sechsten Platz trotz 10,97 Sekunden begnügen und erhob schwere Doping-Vorwürfe gegen ihre Konkurrentinnen: "Im Sport geht es nur noch um Geschäft, und die Offiziellen tun nicht das, was sie tun sollten, um für einen sauberen Sport zu sorgen. Wenn sie es tun würden, wäre der Sport sauber." Um das Problem in den Griff zu kriegen, seien Blutkontrollen notwendig. "Wir brauchen das große Aufräumen: Bluttests überall und zu jeder Zeit! Wenn das nicht kommt, kann man das ganze System vergessen."
Frühes Aus in Sydney
Seither trat die streitlustige Französin kaum mehr in Erscheinung. In Sydney, Schauplatz der Olympischen Spiele, schied sie im Halbfinale als Vorletzte aus, blieb mit der Staffel als Vierte ebenfalls ohne Medaille und fehlte auch bei der WM in Edmonton.
Aber nun ist sie wieder da. Im Herbst hatte Christine Arron Kontakt mit Erfolgstrainer Guy Ontanon aufgenommen. Nach einem kurzen, wenig berauschenden Gastspiel beim US-Coach John Smith, der in Los Angeles unter anderem auch Maurice Greene betreut, arbeitet sie nunmehr mit Ontanon zusammen. Zu seiner Trainingsgruppe, die ihre Zelte in Nogent-sur-Oise, nahe bei Paris, aufgeschlagen hat, zählen neben Muriel Hurtis auch Sylviane Félix, die mit dem französischen Staffelquartett über 4x100 Meter Gold in München gewonnen hat.
An schnellen Trainingspartnerinnen fehlt es ihr nicht. Christine Arron hat bereits eindrucksvoll bewiesen, dass sie in neuer Umgebung zu alter Stärke zurückgefunden hat. Sechs Wettkämpfe über 100 Meter stecken ihr bereits in den Beinen.
Sieg in Trikala
Zhanna Block, die Weltmeisterin von Edmonton, verlor das Duell gegen Arron im griechischen Trikala. Dort triumphierte Christine Arron in 11,09 Sekunden. Noch schneller war sie zuvor in Villeneuve-d'Ascq (11,08 sec) und in Florenz (11,07 sec), wo ihr der Sieg beide Male nicht zu nehmen war. Sie steckt voller Ehrgeiz. Und voller Pläne. Sie will am 24. August im "Stade de France" die Beste sein, um dann, 20 Tage später, mit der Goldmedaille auf ihren 30. Geburtstag anzustoßen. Prosit, Christine!